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Die Referenten von links nach rechts: Prof. Dr. Frenz, Prof. Dr.-Ing. Sabine Flamme, Prof. Dr. Müggenborg, RA Dr. Thärichen und RA Franßen (Bild: Erich Schmidt Verlag)
Berliner Tag der Kreislaufwirtschaft 2024

Prof. Dr. Frenz: „Die Produktwende wird deutlich aufwändiger als die Verkehrswende“

ESV-Redaktion Recht
15.03.2024
„Circular economy“ – ein Stichwort, das im Kontext des Klimaschutzes in der öffentlichen Diskussion an Bedeutung zunimmt. Der Hintergrund: Seit dem 1. Januar 2024 greifen wichtige Pflichten aus dem Einwegkunststofffondsgesetz – dem letzten Baustein zur Umsetzung der EU-Einwegkunststoffrichtlinie. Dieses Thema beleuchteten hochkarätige Referent/innen – mit vielen weiteren Themen – im Rahmen des „Berliner Tages der Kreislaufwirtschaft 2024“, den die ESV-Akademie am 12. März 2024 in Kooperation mit dem Medienpartner „Müll und Abfall, Zeitschrift für Kreislauf- und Ressourcenwirtschaft“ veranstaltet hat. 
Unter der Tagungsleitung von Prof. Dr. Walter Frenz, RWTH Aachen University, Lehr- und Forschungsgebiet Berg-, Umwelt- und Europarecht, rückten die Referentinnen und Referenten praxisnah verschiedene Facetten der Kreislaufwirtschaft und einige daraus folgende anwenderbezogene Einzelfragen in den Blick.

Prof. Dr. Walter Frenz: Klimaschutz ist auch im Bereich der Kreislaufwirtschaft nicht ohne Akzeptanz der Bürgerinen und Bürger zu realisieren

Den Auftakt machte Prof. Dr. Walter Frenz nach der Begrüßung und betonte, dass die Kreislaufwirtschaft eng mit dem Klimaschutz verknüpft ist. In diesem Zusammenhang griff er ein Zitat von Frau Lottermoser auf. Sie ist  Ministerialdirektorin im Bundesumweltministerium. Danach war die Verkehrswende erst das Vorspiel. Die Produktwende werde noch wesentlich aufwändiger. Frenz zufolge ist also zu überlegen, was aus der Heizungsgesetzgebung vom Sommer 2023 zu lernen wäre.
 
Nach seiner Darstellung der Eckpunkte der Kreislaufwirtschaft skizzierte er die Fortentwicklung der Kreislaufwirtschaftsstrategie, die schon im Koalitionsvertrag angekündigt wurde und quasi auf der Zielgeraden ist. Dabei geht es unter anderem um die verstärkte Nutzung von Sekundärrohstoffen, auch aus Gründen des Klimaschutzes.  
 
In der Diskussion, ob Primärrohstoffe vollständig durch Sekundärrohstoffe zu ersetzen sind, differenzierte Frenz am Beispiel von Lithium wie folgt: Insoweit reicht es nicht aus, den Bedarf – der auch aufgrund der Verkehrswende besteht – durch Sekundärrohstoffe zu ersetzen. Nur dort, wo der Bedarf offensichtlich durch Sekundärrohstoffe gedeckt ist, kann auf Primärrohstoffe verzichtet werden, so Frenz weiter. Bei der anstehenden Bergrechtsreform sei gerade im Hinblick auf den Klimaschutz darauf zu achten, dass der Abbau von Primärrohstoffen weiterhin möglich ist.
 
Darüber hinaus müsse das Recycling weiterentwickelt werden. Zur Abfallproblematik meinte Frenz, dass Abfälle nach ihrer Entstehung sofort wieder als Sekundärrohstoffe in den Kreislauf gelangen sollten. Zudem widmete er sich den Neuregelungen des Gebäude-Energie-Gesetz (GEG) und forderte stärkere wirtschaftliche und soziale Flankierungen.
 

Prof. Dr.-Ing. Sabine Flamme: „Recycling im Baubereich braucht einen höheren Stellenwert“

In Anschluss daran setzte Prof. Dr.-Ing. Sabine Flamme, FH Münster und Sprecherin des Vorstands im IWARU, die Vortragsreihe fort: Ihr Thema: Die Umsetzung der zirkulären Wertschöpfung im Bausektor. Dabei gab sie zunächst einen Einblick in die Ressourcenrelevanz des Bausektors und stellte fest, dass dieser Sektor 63 % des Ressourcenverbrauchs ausmacht.
 
Anschließend stellte sie den regulatorischen Rahmen vor und ging hierbei auf das Kreislaufwirtschaftsgesetz von 2012 ein, das zuletzt am  02. März 2023 geändert wurde. Ebenso wies sie auf die MantelVO vom 25. Juni 2021 hin, die am 01.08.2023 in Kraft trat und merkte an, dass diese jeweils im August 2025 und 2027 evaluiert werden soll. Darüber hinaus thematisierte Sie den Koalitionsvertrag 2021, der unter anderem die sogenannte graue Energie, die Lebenszykluskosten, den digitalen Gebäuderessourcenpass sowie die Kreislaufwirtschaft im Gebäudebereich zum Gegenstand hat.
 
Vertieft widmete sie sich anschließend der „Zirkulären Wertschöpfung“, die sie als Herausforderung im Bausektor ansieht. Hierzu meinte Sie, dass Verbundbaustoffe die Umsetzung des KrWG erschweren und dass die ortsnahe Aufbereitung und Verwertung mineralischer Abfälle immer wichtiger wird. So mache es keinen Sinn, etwa Kies von München nach Hamburg zu transportieren.
 
Zudem regte sie an, mehr Anreize für nachhaltige Geschäftsmodelle,  z. B. „pay per use“ zu schaffen und regionale Netzwerke zu bilden – auch, um den Wissensaustausch unter den Akteuren zu fördern. Hier wären sognannte Bauwerkpässe hilfreich. Zudem plädierte sie für Bewertungssysteme im Hinblick die Ressourceneffizienz. Ebenso hält sie die Standardisierung von Produkten im Baubereich für notwendig.
 
Abschließend merkte sie an, dass das Recycling im Bausektor einen anderen Stellenwert braucht. So ist zum Beispiel die Kiesqualität, die  durch Aufbereitung erreicht wird, vergleichbar, mit der Qualität von Kies, der aus dem Steinbruch kommt. Insoweit fehle es noch an einem entsprechenden Mindset. 
 

Dr. jur. Holger Thärichen: „Bei der Mittelverwendung aus dem Einwegkunststofffonds ist grundsätzlich eine kommunalpolitische Verständigung herbeizuführen“

Um Gelder für Einwegkunststoffprodukte ging es bei dem Referat von Rechtsanwalt Dr. jur. Holger Thärichen, Geschäftsführer des Verbandes kommunaler Unternehmen e. V. Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit VKS.

Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand der Kunststofffonds und die Fragen, wo kommen die Gelder her und wohin Sie gehen?

Dabei skizzierte er zunächst die Umsetzung des Einwegkunststofffondsgesetzes und die Funktionsweise Einwegkunststofffonds. Sodann thematisierte er das Punktesystem als kommunale Herausforderung.

Anschließend ging es um die zweckkonforme Mittelverwendung aus dem Fonds und die Weiterentwicklung des „Anti-Littering-Fonds“. Zur Mittelverwendung aus dem Einwegkunststofffonds ist ihm zufolge grundsätzlich eine kommunalpolitische Verständigung herbeizuführen. Klarstellungsbedarf gebe es vor allem in der Frage, ob das Kommunalabgabenrecht zu beachten ist. In der Sache gehe es dabei um eine nachholende, stark pauschalierte Kostenerstattung. Auch wäre eine Analogie zu Fördermitteln zu diskutieren.

Kritisch äußerte er sich im Rahmen der abschließenden Diskussion zur Tübinger Verpackungssteuer. Zwar habe diese vor BVerwG standgehalten. Verwunderlich sei aber, dass dies ohne Anruf des EuGH geschah. Wie das BVerfG ggf. entscheiden würde, hält er für offen. Jedenfalls warnt er vor der Anwendung dieser Steuer, die sehr viel Diskussionsstoff berge.

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Gregor Franßen zu Neuheiten im Kunststoffrecht

Bei dem Vortrag von Rechtsanwalt Gregor Franßen, EMLE (Madrid), standen Produktverbote, Beschaffenheitsanforderungen, Kennzeichnungs- und Informationspflichten, im Blickpunkt.
 
Dabei stellte Franßen zunächst die Einwegkunstoffprodukte-Richtlinie mit ihren Produktverboten, Beschaffenheitsanforderungen, Kennzeichnungs- und Informationspflichten sowie ihren Alternativen-Pflichten vor.
 
Ein zentraler Gegenstand seines Vortrags war das Thema Mikroplastik und die Änderung der Reach-VO. Nach dieser darf Mikroplastik als solches oder in Gemischen in einer Konzentration von ≥ 0,01 Gewichts-% nicht mehr in den Verkehr gebracht werden, wenn es absichtlich zugesetzt wird.
 
Zudem gelte seit dem 17.10.2023 das „Glitzerverbot“. Es erfasse neben Glitzer auch Gemische, die Mikroperlen – also kleine Kunststoffkügelchen zum Peelen, Polieren oder Reinigen – enthalten.
 
Anschließend stellte Franßen weitere geplante Änderungen der Reach-VO vor. Diese beinhalten  zusätzliche Verbote des Inverkehrbringens von primärem Mikroplastik nach dem folgendermaßen gestaffelten Inkrafttreten:
 
  • für aus-/abzuspülende Kosmetika: ab dem 17.10.2027
  • für Detergenzien, Wachse, Poliermittel und Lufterfrischer, für Düngeprodukte, die nicht der EU-Düngeprodukteverordnung 2019/1009 unterfallen, sowie für landwirtschaftliche und gartenbauliche Produkte: ab dem 17.10.2028  
  • für das Verkapseln von Duftstoffen, für auf der Haut/in den Haaren verbleibende Kosmetika sowie für Medizinprodukte ab: dem 17.10.2029
  • für Pflanzenschutzmittel, damit behandeltes Saatgut und Biozidprodukte sowie für Einstreugranulat für synthetische Sportböden (insbesondere Kunstrasenplätze): ab dem 17.10.2031
  • sowie für Lippen- und Nagelmittel und die übrigen Make-up-Produkte: ab dem ab dem 17.10.2035. Voraussetzung ist hier, dass das Make-Up-Produkt dem Anwendungsbereich der VO (EG) Nr. 1223/2009 unterfällt.
  

Prof. Dr. Hans-Jürgen Müggenborg: „Viele Unternehmen betreiben einen Industriepark oder sie sind in einem Industriepark angesiedelt, sie wissen es nur noch nicht“

Prof. Dr. jur. Hans-Jürgen Müggenborg, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Honorarprofessor der RWTH Aachen und Vorsitzender des DAV-Umweltrechtsausschusses, stellte abschließend die Abfallentsorgung in Chemie-und Industrieparks in den Vordergrund.
 
Dabei thematisierte er zunächst das Phänomen von Industrieparks und verwandter Erscheinungsformen und stellte typische Service-Denstleistungen im Industriepark vor, wie etwa die Bereitstellung von Wasser, Gas, Dampf, Strom, Stickstoff, Kälte oder Wasserstoff, die Abwasserbeseitigung oder die Organisation der Abfallbeseitigung für den Betrieb einer Kantine.
 
Als Vorteile aus Sicht der Nutzer nannte er unter anderem kurze Kunden-Lieferantenwege, Kostenersparnis durch Bündelung von Aufgaben, wie etwa den Objektschutz oder effizientere Werbemöglichkeiten. Industrieparks hätten daher eine hohe Akzeptanz bei den Nutzern.
 
Müggenborg sieht aber auch Nachteile, die durch das Umwelt- und Technik-Recht bedingt sind. Dies Recht ist ihm zufolge nicht auf den Betrieb mehrerer Anlagen auf engem Raum und Betriebsbereiche ausgerichtet. Es kennt auch keine speziellen Vorschriften, wenn solche Anlagen von verschiedenen rechtlich je selbständigen Unternehmen betrieben werden.
 
Daraus folgt, dass Industrieparknutzer dazu verpflichtet sind, ihre Abfälle selber zu beseitigen. Dieses Defizit könne aber privatrechtlich aufgefangen werden mit klaren vertraglichen Regelungen zu vielen Einzelfragen.
 
De lege ferenda regt er an, dass der Gesetzgeber für Industrieparks in § 17 Abs. 1 Satz 2 KrWG auf das Merkmal „eigen“ verzichtet. Alternativ könne  auch auf die räumliche Nähe abgestellt werden. Damit wäre es möglich, Abfälle auch in Anlagen anderer Akteure im Industriepark zu entsorgen.
 
Ebenso könne man in § 50 Abs. 2 KrWG die Abfallentsorgung auch in Anlagen anderer Betreiber desselben Industrieparks zulassen und diese von der Nachweispflicht befreien, wenn die Anlage „im engen räumlichen Zusammenhang“ mit der Anfallstelle des Abfalls steht.
 

Schlussdiskussion

Bei der abschließenden Diskussion kristallisierten sich unter anderem folge Thesen heraus:
 
  • Gesetze müssen verständlicher sein: So ist nach Auffassung von Prof. Dr. Frenz Vieles im Recht der Kreislaufwirtschaft und im Umweltrecht nicht mehr auf den ersten Blick verständlich. Eine These, der sich Prof. Dr. Müggenborg anschloss. Frenz sieht deshalb die auch Gefahr, zahlreiche Bürgerinnen und Bürger zu verlieren und stellt die Frage, ob wirklich alles im Detail mit Ausnahmen und Unterausnahmen reguliert werden müsse. Sein Denkanstoß an die Politik: Gesetze sollten so formuliert werden, dass sie auch für die Bürger und Bürgerinnen verständlich sind.  
  • Mehr Anreize schaffen: Förderung mehr über Anreize anstatt über kleinteilige Regulierungen regte Prof. Dr. Müggenborg an. Er wies dabei auch auf viel zu viele Gesetze und deren zu starke Verschachtelung mit Ausnahmen und Unterausnahmen hin. Letztlich führe die Überregulierung dazu, dass viele Unternehmen nicht mehr in Deutschland investieren, so Müggenborg weiter. Frenz brachte dann noch mehr steuerliche Anreize ins Spiel. 
  • Kein schnelles Vorpreschen des Deutschen Gesetzgebers mehr: Dr. Thärichen kritisierte, dass der deutsche Gesetzgeber immer wieder vorprescht, obwohl schon absehbar sei, dass die EU entsprechende Regulierungen plant. Dies führt ihm zufolge immer wieder zu Doppelregulierungen und schafft einen Korrekturbedarf. Anstatt dessen sollte der Gesetzgeber lieber abwarten und ergangene EU-Regelungen besser umsetzen. Klimaschutz an sich hält er für unstreitig. Umstritten wäre aber die Ausgestaltung und die Frage der Lastenverteilung.


Handbuch Kreislaufwirtschaft

Herausgegeben von: Prof. Dr. jur. Walter Frenz

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Hören Sie hier den Interview-Podcast mit Prof. Dr. Frenz:



Die Kreislaufwirtschaft ist vor dem Hintergrund der EU-Kreislaufstrategie, der „circular economy“ für den Klimaschutz sowie auf der Grundlage des Green Deals und des KrWG 2020 reichlich in Bewegung geraten. Über die neuen Entwicklungen hat sich die ESV-Redaktion mit Prof. Dr. Walter Frenz, Professor für Berg-, Umwelt- und Europarecht an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, unterhalten.

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(ESV/bp)

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