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Prof. Dr. Walter Frenz: Der Ukraine-Krieg bringt vor allem die Moblitätswende und den Ausbau des Ökostroms in Gefahr (Foto: privat)
Nachgefragt bei Prof. Dr. Walter Frenz

Prof. Dr. Walter Frenz „Klimaschutz bleibt machbar“

ESV-Redaktion Recht
04.05.2022
Kaum ein Rechtsgebiet ist so dynamisch wie das Klimaschutzrecht. Einen großen Anteil daran hat das BVerfG mit seinem Beschluss vom 24.03.2021. Auch die Ampelregierung hat den Klimaschutz angepasst. Überlagert wird dies von der Rohstoffkrise aufgrund des Ukraine-Krieges. Unter anderem hierüber hat sich die ESV-Redaktion mit Dr. Walter Frenz, Professor für Berg-, Umwelt- und Europarecht an der RWTH Aachen – auch im Rahmen der Podcastreihe: „ESV im Dialog: Sie hören Recht" – unterhalten. 
Herr Prof. Dr. Frenz, „Noch nie war es so warm wie heute“ hört und liest man überall. Auch das BVerfG hat sich mit seinen Beschlüssen vom 24.03.2021 und vom 18.01.2022 mit dem Klimawandel befasst. Was besagen diese Entscheidungen im Kern?

Prof. Dr. Walter Frenz: Bereits heute müssen wir langfristige Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse für den Klimaschutz einleiten, damit heutige und künftige Generationen sich auch in Jahrzehnten noch entfalten können, ohne radikale Enthaltsamkeit üben zu müssen. Daher müssen ihnen die natürlichen Lebensgrundlagen in einem dafür tauglichen Zustand hinterlassen werden. Das setzt eine verhältnismäßige Verteilung der CO2-Reduktionslasten zwischen den Generationen voraus. Es darf nicht eine Generation bei relativ milder Reduktionslast große Teile des CO2-Budgets verbrauchen.

Um dies sicherzustellen, muss der Gesetzgeber rechtzeitig handeln. Die Verantwortung dafür trägt der Bundesgesetzgeber, wie das BVerfG am 18.01.2022 entschied. Daher wurden die Verfassungsbeschwerden gegen verschiedene Bundesländer erst gar nicht zur Entscheidung angenommen.

Zum Podcast 
„ESV im Dialog: Sie hören Recht: Klimaschutz im Zeichen der Rechtsprechung des BVerfG und der Rohstoffknappheit“


Rest-Budget zwar nicht präzise ermittelbar – aber BVerfG setzt Eckpunkte fest

Das CO2-Restbudget für Deutschland, das bis 2030 aufgebraucht sein soll, spielt dabei also eine zentrale Rolle. Wie lässt sich ein  solches Budget überhaupt zuverlässig ermitteln – gerade auch im internationalen Kontext?

Prof. Dr. Walter Frenz:
Genau, dieses CO2-Restbudget leitet das BVerfG in seinen Eckpunkten ab, die endgültige Festlegung obliegt aber dem Gesetzgeber. Seine Eckpunkte gewinnt das BVerfG aus den Berechnungen des IPCC und des Sachverständigenrates für Umweltfragen.

Das so vom BVerfG zugrunde gelegte Restbudget von 6,7 Gigatonnen bis 2050 ergibt sich bei einer Umrechnung des noch möglichen deutschen Anteils an den weltweiten CO2-Emissionen auf der Basis seines Anteils an der Weltbevölkerung von 1,1 %. Nur daraus ergibt sich ohne weitere Anstrengungen das Aufbrauchen des auf Deutschland entfallenden Restbudgets bis 2031 (Beschluss des BVerfG vom 24.03.2021 Rn. 246).

Dabei beträgt der aktuelle deutsche Anteil an den CO2-Emissionen 2 %. Davon ausgehend wäre der deutsche Spielraum größer. Auch das BVerfG legt die 6,7 Gigatonnen nicht verbindlich zugrunde, sondern betont angesichts bestehender Unsicherheiten, dass es sich um kein zahlgenaues Maß für die verfassungsgerichtliche Kontrolle handeln kann.

Zudem verlangt das vom BVerfG in Bezug genommene Pariser Klimaabkommen ein solches CO2-Restbudget gar nicht. Art. 4 Abs. 4 des Klimaabkommens fordert nur die Verpflichtung auf absolute gesamtwirtschaftliche Emissionsreduktionsziele und Art. 2 Abs. 2 sieht eine Realisierung der Klimaziele zwar nach unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, aber auch nach den jeweiligen Fähigkeiten angesichts der unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten vor. Damit besteht ein genügend flexibler Rahmen in Form von Eckpunkten, den der Gesetzgeber erst noch näher ausfüllen muss und darf, ohne durch das BVerfG strikt eingerahmt zu sein.

Zur Person
  • Prof. Dr. Walter Frenz, Maître en Droit Public, ist Professor für Berg-, Umwelt- und Europarecht an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen.
  • Darüber hinaus ist er Herausgeber des Gesamtkommentars Klimaschutzrecht – inzwischen in 2. Auflage erschienen – sowie Autor der Grundzüge des Klimaschutzrechts (ebenfalls 2. Auflage). Beide Werke sind im Erich Schmidt Verlag erschienen.


Neue Gesetze schnell verabschiedet


Wie hat der Gesetzgeber auf den Beschluss des BVerfG vom 24.03.2021 reagiert?

Prof. Dr. Walter Frenz: Die gesetzestechnischen Anforderungen wurden umgesetzt, vor allem aber das Ziel der Klimaneutralität von 2050 auf 2045 vorgezogen sowie für 2040 die CO2-Reduktion auf 88 % festgesetzt. Über die Anforderung des BVerfG-Klimabeschlusses hinaus wurde der CO2-Reduktionswert bis 2030 von 55 % auf 65 % erhöht. Selten wurde ein Gesetz so rasch verabschiedet!

Halten Sie die Maßnahmen des geänderten KSG im Hinblick auf den Beschluss des BVerfG vom März 2021 für hinreichend?

Prof. Dr. Walter Frenz:
Diese Maßnahmen sind hinreichend, um die Anforderungen des BVerfG-Klimabeschlusses zu erfüllen. Allerdings zeigt sich erst im Laufe der Zeit, ob diese Anstrengungen genügen. So hielt die Klimafolgekonferenz von Glasgow den Vertragsstaaten vor Augen, dass sie ihre Anstrengungen weiter verstärken müssen, um das für die Erhaltung adäquater Lebensbedingungen erforderliche 1,5 Grad-Ziel zu erreichen. Und der jetzige IPCC-Bericht mahnt in seinen Handlungsempfehlungen vom 04.04.2022 zu intensiven Maßnahmen.

Und die Pläne der neuen Bundesregierung? Wie sehen die aus?

Prof. Dr. Walter Frenz: Die Ampel-Koalition hat sich in ihrer Koalitionsvereinbarung sehr intensiv dem Klimaschutz gewidmet. Die Klimaschutzziele von Paris zu erreichen hat „oberste Priorität. Klimaschutz sichert Freiheit, Gerechtigkeit und nachhaltigen Wohlstand. Es gilt, die soziale Marktwirtschaft als eine sozial-ökologische Marktwirtschaft neu zu begründen“.

Im Kern will die neue Bundesregierung – in Übereinstimmung mit dem EU-Klimapaket – Wirtschaftswachstum durch Klimaschutz. Hinzu kommen Einzelziele, so den stärkeren Ökostromausbau, einen „idealerweise“ auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg und die Mobilitätswende.

Welchen Hintergrund hat in diesem Zusammenhang die Abschaffung oder besser gesagt die Umfinanzierung der EEG-Umlage?

Prof. Dr. Walter Frenz: Sie soll die ökonomische und soziale Komponente des Klimaschutzes verwirklichen, indem die Unternehmen sowie die Verbraucherinnen und Verbraucher entlastet werden. Dafür wird der Bundeshaushalt stärker belastet, sodass die Finanzierung durch Steuern erfolgt. Damit liegt wieder eindeutig eine unionsrechtliche Beihilfe vor, die aber nach den neuen Beihilfeleitlinien Klima, Umwelt und Energie genehmigungsfähig sind.

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Wie reihen sich die deutschen Beiträge zum Klimaschutz in den Rechtsrahmen der EU ein?

Prof. Dr. Walter Frenz: Die vorgenannte soziale Komponente mahnt das EU-Klimapaket an. Es sollen nicht Bevölkerungsgruppen abgehängt werden; soziale Schieflagen gilt es zu vermeiden. Daher sind diejenigen Personen staatlich zu fördern, welche durch die in Folge der Energiewende gestiegenen Energiepreise besonders betroffen sind. Auch kleine und mittelständische Unternehmen können deshalb besonders gefördert werden.
Dafür sorgt die Abschaffung der EEG-Umlage. Sie ist damit unionsrechtlich vorgezeichnet gewesen. Zudem will die EU-Kommission durch ihr Klimapaket „Fit for 55“ den Klimaschutz entschieden fördern und dies soll, wie eben erwähnt, auch durch ein Wirtschaftswachstum im Einklang mit dem Klimaschutz erfolgen.

Zudem soll der Ökostromausbau von bisher 32 % Zuwachs auf 40 % Ausbau bis 2030 gesteigert werden. Eine sehr wichtige Rolle spielt auch die Mobilitätswende; bis 2035 sollen die CO2-Emissionen durch neue Pkw praktisch um 100 % reduziert werden. Dazu passt es, dass die Ampel-Koalition bis 2030 15 Mio. Elektroautos auf die Straße bringen will.

Ein Vorziehen des Kohleausstiegs ist allerdings unionsrechtlich nicht vorgegeben. Wenn aber solche Möglichkeiten, in großem Umfang CO2 einzusparen, nicht genutzt werden, müssen die Anstrengungen möglicherweise auf anderen Feldern verstärkt werden, so im Bereich der Energieeffizienz von Gebäuden.

Gipfel von Glasgow ist Erfolg


Können Sie die Ergebnisse des Klimagipfels von Glasgow kurz skizzieren?

Prof. Dr. Walter Frenz: Der Klimagipfel von Glasgow bekräftigte und schärfte das Ziel des Pariser-Übereinkommens, den Temperaturanstieg der Erderwärmung bis 2050 auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Weiter nahm er ausdrücklich Bezug auf die alarmierenden Erkenntnisse des jüngsten IPCC-Berichts. Dieser wird also nicht nur wie auf dem Klimagipfel von Kattowitz in seinem rechtzeitigen Erscheinen begrüßt, sondern in seinem Inhalt zugrunde gelegt. Weiter wurde ein Einstieg in den Ausstieg aus der unverminderten Kohleverstromung begründet, wenngleich nicht verbindlich festgelegt. Alle Staaten bleiben aufgerufen, möglichst verstärkte Anstrengungen zur CO2-Reduktion zu unternehmen.

Ein paar Worte zur 2. Auflage ihres Werks „Klimaschutzrecht“. Was zeichnet die Neuauflage aus?

Prof. Dr. Walter Frenz: Der Gesamtkommentar Klimaschutzrecht enthält nicht nur eine Kommentierung zum nationalen KSG, sondern auch zum KSG NRW und zudem zum EU-Klimagesetz. Damit wird der Unionsrahmen ausführlich kommentiert. Verblieben sind weiterhin die Kommentierungen zum BEHG sowie zu diversen übergreifenden Fragen wie dem Klimavölkerrecht einschließlich Klimaschadenshaftung, dem Grundrechtsschutz sowie dem Kohleausstieg: Diese Abschnitte wurden erheblich ausgebaut. Unter anderem ausführlich dargestellt sind die Vereinbarungen des Ampel-Koalitionsvertrages, welche den Klimaschutz umfassend bis hin zum Naturschutz und zur Sekundärrohstoffwirtschaft konzipieren. Bereits enthalten sind die Auswirkungen des Russland-Ukraine-Krieges.

Kommen wir zur aktuellen Lage bei der Rohstoffversorgung: War diese schon vor dem Krieg in der Ukraine sehr angespannt, hat nun der Krieg die Lage weiter verschärft. Wie wird sich dies nach Ihrer Einschätzung auf die deutsche Energiewende auswirken?

Prof. Dr. Walter Frenz: Die Rohstoffversorgung war schon vor dem Krieg in der Ukraine sehr angespannt. Dies betrifft elementare Rohstoffe für den Klimaschutz wie Lithium, welches unabdingbar für die Mobilitätswende ist (Lithium-Ionen-Batterien). Weil im Osten der Ukraine die größten europäischen Lithium-Vorkommen angenommen werden, hat sich die Versorgungslage durch den Russland-Ukraine-Krieg weiter erheblich verschärft.

Dadurch droht der Energiewende jedenfalls in Form der Mobilitätswende die gesetzten Ziele nicht zu erreichen. Das gilt auch für den Ökostromausbau. Auch dafür bedarf es in großem Maße Rohstoffe. So benötigen Windkraftanlagen Lacke, welche als chemische Grundstoffe bisher aus der Basis russischer Gaslieferungen hergestellt wurden. Fallen diese aus, droht insoweit eine Mangelsituation, sodass der vor allem auf den Windkraftausbau angewiesene Ökostromausbau ins Stocken zu geraten droht.

Was kann der Gesetzgeber tun, um die Gesetzesvorhaben zu entschlacken?

Es ist schon eine Zunahme der Normen zu beobachten, aber es muss auch berücksichtigt werden, dass hier viele Interessengegensätze aufeinanderprallen.  Darüber hinaus sind das EU-Recht und besonders der Artenschutz zu beachten. Auch den Arten- sowie den Habitatschutz brauchen wir, weil beides gehört ja auch zum Klimaschutz.

Klimaschutz bleibt machbar


Ihr Fazit: Ist Klimaschutz noch machbar?

Klimaschutz ist machbar, trotz aller Widrigkeiten und Herausforderungen. Deutschland ist ein starkes Land und hat eine Vorbildfunktion. Jetzt müssen wir vor allem die Rohstoffknappheit auffangen. Aber die Politik hat die Probleme erkannt und steuert auch entsprechend.


Große Herausforderungen – starke Unterstützung!

Klimaschutzrecht


Wie dynamisch sich das Klimaschutzrecht derzeit entwickelt, zeigt die Neuauflage dieses Gesamtkommentars. Praxisnah und pointiert werden erneut die jüngsten Entwicklungen erläutert:

  • BVerfG-Beschlüsse vom 24.03.2021 und 18.01.2022
  • Novellierungen des KSG Bund und des KSG NRW
  • neues EU-Klimagesetz und EU-Klimapaket
  • Beginn der ersten Handelsperiode des BEHG
  • Ziele des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung
  • Ergebnisse des Klimagipfels von Glasgow
  • vorgezogene Abschaffung der EEG-Umlage
  • Rohstoffproblematik angesichts des Ukraine-Krieges

Neben der Kommentierung des europäischen und nationalen Regelungsregimes werden auch die steuerrechtlichen Vorschriften und die verfassungsrechtlichen Hintergründe instruktiv beleuchtet. Weiterhin werden die interdisziplinären Querschnittsthemen gut verständlich dargestellt, darunter die ökonomischen, naturwissenschaftlichen und technischen Grundlagen.

Dem Tempo der fortlaufenden Neuerungen wird auch ein digitales Add-on gerecht, über das Sie als Nutzerin und Nutzer des Werkes komfortabel weitere aktuelle Informationen abrufen können.

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(ESV/bp)

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