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Prüfungen entscheiden über den späteren beruflichen Werdegang der Prüflinge (Foto: lexiconimages/stock.adobe.com)
Auszug aus „Mündliche Prüfungen in der Pflegeausbildung“

Prüfungsgespräche sind gatekeeping-Situationen

ESV-Redaktion Philologie
27.01.2025
Schriftliche Prüfungen spielen in der schulischen wie beruflichen (Aus)Bildung von Anfang an eine entscheidende Rolle. Die mündliche Prüfungsform hingegen stellt eher eine Seltenheit dar und wurde auch in der linguistischen Forschung bisher wenig beachtet. Dabei kommt ihnen eine entscheidende Selektionsfunktion zu: Sie können über das Erlangen von Bildungsabschlüssen entscheiden und haben damit auch einen großen Einfluss auf die Zuweisung von sozialem Status.

In ihrem Buch Mündliche Prüfungen in der Pflegeausbildung beleuchtet Dr. Sabine Amorocho detailliert, wie mündliche Prüfungen nicht nur als Prüfungsform, sondern auch als sozialer Filter fungieren. Ihre Analyse zeigt, wie diese Prüfungsform in der Pflegeausbildung nicht nur das Fachwissen, sondern auch die kommunikative Kompetenz der Auszubildenden auf die Probe stellt und damit die berufliche Qualifikation beeinflusst. Aus der Perspektive des Faches Deutsch als Zweitsprache und mit ihrem Fokus auf die Kandidatinnen und Kandidaten gibt Amorochos Untersuchung wertvolle Impulse für die Reflexion über die Struktur und die Wirkung von Prüfungen in der Fachausbildung.

Lesen Sie im Folgenden einen Auszug aus dieser spannenden Studie.

Prüfungsgespräche als Forschungsgegenstand und aus angewandter Perspektive

Prüfungen stellen ein zentrales Instrument dar, um bildungspolitische Ziele zu realisieren (s. Severing/Weiß 2011: 5) und um den Arbeitsmarkt zu regulieren. Mithin kommen ihnen zentrale gesellschaftliche Funktionen zu. Gleichzeitig haben sie auch auf individueller Ebene eine große Tragweite, denn sie entscheiden über Zugangsmöglichkeiten zu gesellschaftlichen Positionen und damit über die Allokation von Status (s. Deppermann 2018: 112, 2015). Wendet man hingegen den Blick auf die Forschungslandschaft, so zeigt sich, dass der hohen praktischen Relevanz eine als lückenhaft zu charakterisierende wissenschaftliche Beschäftigung mit mündlichen Prüfungen gegenübersteht. Diesen Befund möchte ich im Folgenden genauer darlegen, indem ich Forschungslinien skizziere und Desiderata benenne.

Betrachtet man den Forschungsstand zunächst unter quantitativen Gesichtspunkten, so fällt auf, dass sich ein beträchtlicher Teil der Studien der medizinischen Ausbildung widmet. Dies mag erstens darauf zurückzuführen sein, dass mündlichen Prüfungen im Medizinstudium traditionell ein hoher Stellenwert zukommt und dass zweitens angesichts großer Fallzahlen Aspekte wie eine möglichst ökonomische Prüfungsdurchführung und die Vergleichbarkeit der Beurteilungen besonders in den Fokus rücken. Drittens aber dürfte das Forschungsinteresse auch durch die Spezifik der Prüfungsinhalte befördert werden. Steht nämlich nicht die Überprüfung fachlichen Wissens im Vordergrund, sondern die Erfassung klinischer Kompetenzen, so erscheinen klassische Prüfungsformate weitgehend ungeeignet und entsprechend kommt einer praxisnahen Forschung die Aufgabe zu, die Entwicklung und Erprobung alternativer Formate voranzutreiben.

Ähnlich wie in der medizinischen Ausbildung geht es auch in den Abschlussprüfungen der Pflegeausbildung um die Erfassung „anwendungsbereite[r] berufliche[r] Kompetenzen“ (Bonse-Rohmann et al. 2008: 25). Und auch in diesen Ausbildungsgängen sind die mündlichen Prüfungen fest verankert. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass deren Beibehaltung selbst bei der Einführung der generalistischen Pflegeausbildung nie zur Debatte stand, obwohl die Ausbildungsstruktur grundlegend geändert wurde. Im Gegensatz zur medizinischen Ausbildung aber fehlt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen Prüfungsgesprächen nahezu vollständig. Insofern greift die vorliegende Studie ein aus anwendungsbezogener Sicht relevantes Desiderat der Forschung auf. Im Folgenden soll allerdings gezeigt werden, dass nicht nur mit dem Untersuchungsgegenstand, sondern auch mit der auf ihn eingenommenen Perspektive eine Forschungslücke geschlossen wird.

[…]

Dass Prüfungen der Beurteilung von Lernleistungen dienen, erscheint unmittelbar augenfällig, münden sie doch in der Regel in Noten, welche auf Zertifikaten dokumentiert werden und dadurch offiziellen Status erlangen. Der Beurteilungsprozess selbst folgt dabei der Logik, dass „[a]ufgrund einer Stichprobe aus dem Wissens- oder Kompetenzbereich des jeweiligen Bildungsgangs eine allgemeine Aussage über den Grad der Beherrschung des Fachs bzw. die entsprechende Kompetenz des Prüflings abgeleitet wird“ (Severing 2011: 16).

Nun stellen mündliche Prüfungen allerdings insofern eine besondere Situation dar, als die Beurteilenden zugleich die InteraktionspartnerInnen sind und ihr Verhalten folglich die Zusammensetzung der Stichprobe beeinflusst (s. Engemann 1983: 29). Dies ist ein Grund, warum die Validität mündlicher Prüfungen häufig kritisch hinterfragt wird und weshalb deren Überprüfung traditionell im Fokus der quantitativen Prüfungsforschung steht (s. Teilkapitel 3.1).

Sofern Prüfungsleistungen in ein Zertifikat münden, sind damit Berechtigungen verbunden. Entsprechend ermöglicht der Nachweis über die (bestandene) Abschlussprüfung in der beruflichen Bildung den Zugang zum Beruf (s. Reetz/ Hewlett 2008: 10–15; Dembski 1978: 29–30). Dies bedeutet zugleich, dass Prüfungen die Funktion erfüllen sollen, Individuen zu Arbeitsplätzen und gesellschaftlichen Funktionen zuzuweisen; oder anders ausgedrückt, sie regulieren die Allokation von Status (s. Deppermann 2018: 112, 2015). Damit lassen sich Prüfungsgespräche als gatekeeping-Situationen beschreiben, in denen die Prüfenden als gatekeeper eine wichtige Entscheidungsposition einnehmen. Denn ebenso wie eine bestandene Prüfung den Zugang zum Beruf ermöglicht, wird dieser bei Nicht-Bestehen verwehrt. Prüfungen dienen folglich zugleich der Selektion und sind damit auf Differenzierung ausgerichtet (s. Severing 2011: 19). Gesellschaftspolitisch wird dies durch die Aufgabe des Bildungssystems legitimiert, einen qualifizierten Berufsnachwuchs zu sichern (s. Dembski 1978: 29).

Die Autorin
Simone Amorocho arbeitet als Akademische Rätin an der Pädagogischen Hochschule Freiburg. Im Jahr 2022 hat sie das Habilitationsverfahren an der Universität Leipzig abgeschlossen. In aktuellen Forschungsprojekten beschäftigt sie sich u.a. mit Anleitungsgesprächen in der praktischen Berufsausbildung und entwickelt gemeinsam mit Christian Pfeiffer eine sprachdidaktische Konzeption, die auf den theoretischen Annahmen der Konstruktionsgrammatik beruht (Konstruktionsdidaktik).

Mündliche Prüfungen in der Pflegeausbildung

von Simone Amorocho

Mündliche Prüfungen erfüllen eine Gatekeeping-Funktion: In der Pflegeausbildung dienen sie dazu, die berufliche Eignung der Kandidatinnen und Kandidaten zu überprüfen, und regulieren so den Zugang zum Beruf. Dennoch waren sie bislang kaum Gegenstand empirischer Forschung.
Diesem Desiderat widmet sich die vorliegende Studie aus der Perspektive des Faches Deutsch als Zweitsprache. Dabei ist das Untersuchungsinteresse auf eine Rekonstruktion der sprachlichen Anforderungen gerichtet, die die Kandidatinnen und Kandidaten in der Prüfungsinteraktion bewältigen müssen. Am Material von Prüfungsgesprächen mit 29 Auszubildenden wird im ersten Schritt deren Musterhaftigkeit beschrieben, um auf dieser Folie im zweiten Schritt Unterschiede zwischen den Kandidatinnen und Kandidaten zu rekonstruieren. Unter Hinzuziehung weiterer Datenarten werden die interindividuellen Varianzen im dritten Schritt zu den institutionsseitigen Erwartungen in Bezug gesetzt.
Durch diesen methodischen Dreischritt gelingt es, die kommunikativen Praktiken herauszuarbeiten, die in dem gegebenen Setting als angemessen gelten. Damit leistet die Studie einen grundlegenden Beitrag zur Schärfung des Konstrukts der berufsbezogenen Bildungssprache.

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache