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Schadenersatz von Arbeitnehmer möglich? (Foto: Martin Moritz/DGUV)
Praxisfall

Schadenersatz nach Zerstörung des Gabelstaplers "Steinbock"

Thomas Wilrich
21.03.2017
Ein Gerichtsurteil zur Wichtigkeit der Arbeitnehmer-Belehrung: In diesem Fall schildert Prof. Wilrich den Ausgang einer Schadenersatzklage eines Arbeitgebers, dessen Arbeitnehmer ein Arbeitsmittel - den Gabelstapler - zerstört hat.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) – und das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm nach Zurückverweisung durch das BAG – hatten folgenden Fall zu einem Gabelstapler des Fabrikats „Steinbock“ zu entscheiden:

Sachverhalt

Der Arbeitnehmer stapelte 1 Meter hohe Papierrollen 6-fach mit einem Gabelstapler des Fabrikats „Steinbock" aufeinander. Nachdem er eine Rolle in der obersten Lage gestapelt hatte, setzte er mit vollständig auf 5,20 Meter ausgefahrenem Hubgerüst zurück und der Stapler stürzte um. Der Beklagte blieb unverletzt, der Gabelstapler erlitt wirtschaftlichen Totalschaden und der Arbeitgeber verlangt Schadensersatz. In seinem Ausweis ist die „Dienstanweisung für Fahrer von motorisch antriebenen Flurförderzeugen“ abgedruckt. Darin heißt es:

  • „Während der Fahrt sollte das Lastaufnahmemittel (Gabelzinken oder Anbaugerät) in möglichst niedriger Stellung sein. Der Mast ist zum Fahrer hin zu neigen (§ 33 Abs. 1 UVV).“
  • „Das Ausfahren des Masts zum Absetzen von Lasten (Einstapeln) oder umgekehrt darf nur bei stehendem Fahrzeug erfolgen.“
  • Der in Bezug genommenen § 33 Abs. 1 der Unfallverhütungsvorschriften BGV D27 für Flurförderzeuge lautet:
    „Hochhubwagen und Gabelstapler sind in möglichst niedriger Stellung des Lastaufnahmemittels zu verfahren.“

Der Arbeitgeber klagt auf Ersatz eines Teils der Kosten als Schadensersatz – DM 20.000,–. Bestandteil des Arbeitsvertrages ist ein Tarifvertrag, in dem geregelt ist: „Der Arbeitnehmer haftet nur, wenn er rechtswidrig handelt und ihn ein Verschulden i.S.v. Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit trifft. Ob der Arbeitnehmer den Schaden vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, muss der Arbeitgeber beweisen. In welchem Umfange der angerichtete Schaden zu ersetzen ist, richtet sich nach den Umständen des einzelnen Falles.“

Urteile

Das BAG stellte zunächst fest, der Arbeitnehmer „hat die arbeitsvertragliche (Neben-) Pflicht, das ihm als Arbeitsmittel anvertraute Eigentum des Arbeitgebers nicht zu beschädigen, verletzt.“ Die Haftung des Arbeitnehmers setzt aber nach dem Tarifvertrag Verschulden in Form der groben Fahrlässigkeit voraus.

Grobe Fahrlässigkeit ist gegeben, „wenn gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in einem ungewöhnlich hohen Grade verstoßen wird. Erforderlich ist eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB erheblich übersteigt. Der Schädiger muss das außer acht gelassen haben, was in der gegebenen Situation einem jeden einleuchtet.“

Nach dem BAG ist die Dienstanweisung „für das Zurücksetzen des Gabelstaplers nicht klar“. Es „konnte vom Beklagten nicht erwartet werden, dass er die Bedeutung der Anweisung ohne weiteres erkannte. Zudem handelt es sich um eine abgeschwächte Sollvorschrift („sollte“). Ein etwaiger Verstoß gegen die Dienstanweisung begründet daher für sich genommen keine grobe Fahrlässigkeit.“ Hierzu müsste der Arbeitnehmer „konkret und hinreichend intensiv belehrt“ worden sein. „Die bloße Aushändigung komplizierter technischer Regelwerke kann nicht genügen.“

Es war dem BAG aber auch nicht klar, ob der Arbeitnehmer belehrt wurde. Deshalb verwies es zurück an das LAG, um die „Kenntnisse des Beklagten zur Handhabung des Gabelstaplers“ zu ermitteln: „Fehlt es an einer entsprechenden Belehrung, kann eine grobe Fahrlässigkeit nicht angenommen werden. Ist dagegen eine Schulung und ständige Anweisung erfolgt, das Hubgerüst nach Abschluss des Stapelvorgangs abzusetzen, kommt eine grobe Fahrlässigkeit durchaus in Betracht.“

Nach dem abschließenden Urteil des LAG Hamm vom 6. Mai 1996 ist dem Arbeitgeber „der Beweis nicht gelungen […], dass der Beklagte über die einzuhaltende Sicherheitsvorschrift genügend belehrt worden ist“ – es „kann von einer regelrechten Ausbildung des Beklagten in praktischer und theoretischer Hinsicht keine Rede sein“. Der Kollege sagte als Zeuge, er habe dem Beklagten „zunächst gezeigt, wie man mit dem kleineren Stapler ‚Mücke‘ umgeht, d.h. wie man ihn bedient, wie man Papierrollen aufnimmt und wo die Rollen abgesetzt werden“. Aber: „Über Unfall- und Sicherheitsbestimmungen informierte er den Beklagten nicht. Ob ein ausdrücklicher und wiederholter Hinweis auf das Verbot, mit hochfahrendem Mast zu fahren, erfolgte, lässt sich seine Aussage nicht entnehmen. Der Zeuge hat dies als selbstverständlich vorausgesetzt.“ Das Gericht fast zusammen, eine „Unterweisung und die Erläuterung der Dienstanweisung und der UVV hat nicht stattgefunden“.

Ein anderer Kollege sagte, dass es keine besonderen Richtlinien für die Einweisung und keinen Ausbildungsplan gab. Er „hat sich darauf beschränkt, zu prüfen, ob der Kläger mit dem Stapler umgehen kann. Er hat sich angesehen, wie der Beklagte mit dem Stapler fährt.“ Dabei habe er zwar „das Problem der möglichst niedrig zu haltenden Last und auch die mögliche Beschädigung von Rollen angesprochen“. Aber ihm war „nicht bewusst, jemanden – auch nicht den Beklagten – wegen des Fahrens mit ausgefahrenem Mast angesprochen zu haben“.

Dem Staplerfahrer kann also – so das LAG Hamm – keine grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden – also „dass er das außer acht gelassen hätte, was ihm im Rahmen seiner Ausbildung als besonders gefährlich vor Augen geführt worden ist“, denn das wurde ja gerade versäumt. Daher weist das Gericht die Klage ab. Der Arbeitgeber bekommt keinen Schadensersatz.

Der Autor
Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkt- und Führungskräftehaftung und Arbeitsschutz einschließlich der entsprechenden Betriebsorganisation, Vertragsgestaltung und Strafverteidigung. Er ist an der Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht und Fachbuchautor zur Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), zum Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) sowie Arbeitsschutzmanagement und Unfallversicherungsrecht.


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Im Recht gibt es viele spezielle Sicherheitsvorschriften. Immer gilt aber auch die Verkehrssicherungspflicht – nämlich in jeder Situation alles (technisch) Mögliche und (wirtschaftlich) Zumutbare zu tun, um andere nicht zu schädigen. Wie weit diese Sicherheitspflicht geht, hängt von den – zuweilen nicht leicht erkennbaren – tatsächlichen Umständen des Einzelfalles und von – zuweilen schwierigen – Wertungen ab. Das ist der Hintergrund dafür, dass Fragen zum Umfang der Verantwortung im Vorhinein nicht abschließend und eindeutig beantwortet werden können. Erst wenn es um die Haftung in einem konkreten Fall geht, wird die Frage der Verantwortung – in diesem einen Fall – beantwortet.
Das Arbeitsschutzrecht verlangt kein Nullrisiko, sondern dass Gefährdungen nach dem Stand der Technik und unter verantwortungsvoller Abwägung der Sicherheitsinteressen und – vorsichtiger – Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit so gering wie möglich sind. Es geht also nicht um die Gewährleistung absoluter, sondern ausreichender Sicherheit. Was ausreicht, ist eine schwierige Wertungsfrage und verantwortungsvolle Entscheidung.

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Programmbereich: Arbeitsschutz