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Fast 90 % der Arbeitsmediziner:innen und Fachkräfte für Arbeitssicherheit bewerteten das Angebot als eine geeignete Methode, um ihren Beratungsauftrag zu erfüllen. (Foto: thodonal/stock.adobe.com)
Erfolgreiches Projekt zur Erprobung von Videoberatungen

Tele-Arbeitsschutz: Die Videosprechstunde als Ergänzung zur Vor-Ort-Betreuung und -Beratung

ESV-Redaktion Arbeitsschutz/sis
17.07.2023
Seit Januar 2022 haben die Vertragspartner des arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Dienstes der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (ASD*BGN) die Möglichkeit zu prüfen, ob sie die arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Betreuung über Videosprechstunden – als Ergänzung zur Beratung vor Ort – anbieten. Dies ist das Ergebnis des Pilotprojekts „Tele-Arbeitsschutz in der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung“.
Das Projekt

Das Ziel des gemeinsamen Projekts von ASD*BGN und Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) war es, Videoberatungen in der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung nach DGUV Vorschrift 2 „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“ zu erproben und bei Erfolg nach dem Projektzeitraum als Ergänzung in den Regelbetrieb zu überführen.

Anlass des Projekts war der schon bestehende und prognostiziert sich weiter verschärfende Mangel an Arbeitsmediziner:innen sowie der gestiegene Betreuungsbedarf nach DGUV Vorschrift 2. Die knappen arbeitsmedizinischen Ressourcen werden dabei vor allem auch durch lange Fahrzeiten zu den Betrieben beansprucht [1], [2], [3]. Eine Lösung wurde dabei durch den Einsatz von Videosprechstunden gesehen, da die eingesparte Fahrzeit als Beratungszeit genutzt werden kann.

Die Erprobung der Videoberatungen in Form von Videosprechstunden über eine verschlüsselte Internetverbindung fand in ausgewählten Gesundheitszentren der B·A·D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH statt und wurde von den dortigen Arbeitsmediziner:innen sowie Fachkräften für Arbeitssicherheit durchgeführt. Dabei gingen diese in einer ersten Phase des Projekts auf die Betriebe zu und boten ihnen die Möglichkeit der Videosprechstunde an. In der nächsten Phase wurde dieses Angebot für alle Mitgliedsbetriebe in den Projektregionen geöffnet und in einer weiteren Phase boten die Vertragspartner zusätzlich feste Termine über einen Kalender an. Darüber hinaus führten weitere Zentren im Untersuchungszeitraum zwischen 2019 und 2021 Videoberatungen durch.

Für die Videoberatungen mit den Betrieben wurde eine Software speziell für die Durchführung von Videosprechstunden eingesetzt. Entscheidend für die Auswahl war eine Recherche auf der Grundlage einer Liste zertifizierter Videodienstanbieter. Diese Liste wird auf der Internetseite der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) angeboten und dort regelmäßig aktualisiert. Die dort gelisteten Videodienstanbieter müssen eine bestimmte Zertifizierung in Bezug auf IT-Sicherheit und Datenschutz nachweisen und zudem gewährleisten, dass die Videosprechstunde während der gesamten Übertragung Ende-zu-Ende verschlüsselt ist. Das zweite Kriterium für die Auswahl der Software neben der Zertifizierung war die Funktion eines Kalenders, über den Videosprechstunden gebucht werden können.

Zwei Ereignisse haben dem Projekt einen wichtigen Anschub gegeben:
  • Es war geplant, die Videoberatungen in einem Modellprojekt mit der Landesärztekammer Baden-Württemberg zu realisieren, da zu diesem Zeitpunkt (Ende 2017) Videosprechstunden noch nicht mit der ärztlichen Berufsordnung vereinbar waren und nur im Rahmen eines Modellprojekts möglich gewesen wären [4]. Diese Beschränkung fiel ab Mai 2018 weg (Beschluss des 121. Deutschen Ärztetages 2018 [5]).
  • Die Corona-Pandemie ab März 2020 mit ihren weitreichenden Beschränkungen hat zwar einerseits dazu geführt, dass zeitweise viele Mitgliedsbetriebe schließen mussten, insbesondere im Gastgewerbe, andererseits drängte sich mit der Videosprechstunde ein für diese Zeit ideales Format auf und hat diesem Format auch einen wesentlichen Schub gegeben.
Die Evaluation

Die Videoberatungen wurden projektbegleitend evaluiert. Dabei wurden sowohl die Vertragspartner des ASD*BGN, also die Arbeitsmediziner:innen sowie die Fachkräfte für Arbeitssicherheit, als auch die Unternehmer:innen und die Beschäftigten in den Betrieben befragt. Diese Befragungen fanden online mit einem standardisierten Fragebogen unmittelbar nach der Videoberatung statt. Dabei wurde der Fragebogen direkt im Anschluss an die Beratung auf dem Bildschirm eingeblendet. Zusätzlich wurden die Vertragspartner zum Projektabschluss noch einmal interviewt. Diese qualitativen, teilstandardisierten Leitfadengespräche fanden per Telefon bzw. mit der verwendeten Videokonferenzsoftware durch das Projektteam statt.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Evaluation war die Auswertung der dokumentierten Betreuungsdaten: Im Projektzeitraum von 2019 bis 2021 führten vom ASD*BGN beauftragte Vertragspartner insgesamt 386 Videoberatungen durch. Dabei wurden 115 Beratungen (30 Prozent) von Arbeitsmediziner:innen und 271 Beratungen (70 Prozent) von Fachkräften für Arbeitssicherheit durchgeführt.

Insgesamt konnten 238 Betriebe arbeitsmedizinisch und/oder sicherheitstechnisch beraten werden. Dabei gehört der Großteil der Betriebe, die beraten wurden, dem Hotel- und Gaststättengewerbe an (70 Prozent). Das Backgewerbe macht 10 Prozent aus. Die restlichen 20 Prozent verteilen sich auf 17 weitere Gewerbezweige der BGN. Hauptsächlich wurden Betriebe mit mehr als zehn Vollbeschäftigten beraten (75 Prozent). 25 Prozent hatten weniger als zehn Vollbeschäftigte. 77 Prozent der Betriebe wurden einmal beraten, 16 Prozent zweimal und sieben Prozent mindestens dreimal, wobei ein Großbetrieb insgesamt allein 42 Videoberatungen erhielt.

Im Rahmen des Projektes wurden sieben Szenarien identifiziert, die Handlungsanlässe für eine Videoberatung sein können: Teilnahme an einer Sitzung des Arbeitsschutzausschusses (ASA), Austausch mit Fachkolleg:innen, Einzelberatung von Unternehmer:innen sowie Beschäftigten, Teledermatologie, Nachbesprechung zur Umsetzung von Maßnahmen, Unterstützung bei der Unterweisung, Teilnahme an einem Gespräch im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BEM). Über die Hälfte der Videoberatungen konnte dem Handlungsanlass „Einzelberatung von Unternehmer:innen sowie Beschäftigten“ zugeordnet werden (54 Prozent), gefolgt von der Teilnahme an ASA-Sitzungen (19 Prozent) und der Nachbesprechung zur Umsetzung von Maßnahmen (16 Prozent) sowie der Unterstützung bei der Unterweisung (11 Prozent).

Im Folgenden sind die wichtigsten Ergebnisse der Online-Befragungen und der teilstandardisierten Leitfadengespräche zusammengefasst. Diese Ergebnisse basieren auf 41 (Arbeitsmediziner:innen und Fachkräfte für Arbeitssicherheit) und 21 (Mitgliedsbetriebe) ausgefüllten Online-Fragebögen bzw. 17 leitfadengestützten Interviews:
  • Fast 90 Prozent der Arbeitsmediziner:innen und Fachkräfte für Arbeitssicherheit bewerteten das Angebot als eine geeignete Methode, um ihren Beratungsauftrag zu erfüllen.
  • Ebenso waren fast 90 Prozent der Personen der Meinung, dass die Videosprechstunde für die Lösung der konkreten Anfrage genauso gut geeignet war wie ein Termin vor Ort. In den Interviews erwies sich vor allem die Zeitersparnis durch lange Anfahrten oder Wartezeiten in den Betrieben als Grund für diese positive Bilanz.
  • Die deutliche Mehrheit der befragten Mitgliedsbetriebe bewertete das Angebot der Videosprechstunde als einfach zu realisieren und als eine Entlastung im Arbeitsalltag. Sie haben sich bei der Videosprechstunde wohlgefühlt.
  • Sie stellten der Methode auch bezüglich der Qualität, mit der das Beratungsanliegen bearbeitet wurde, gute Noten aus: Den Vergleich zu einem Angebot vor Ort oder per Telefon muss die Videosprechstunde nicht scheuen. Für die gewählten Beratungsanlässe bewerteten die Mitgliedsbetriebe die Videosprechstunde als gut geeignet.
  • Die Mitgliedsbetriebe würden diese Art des Beratungsangebots auch in Zukunft nutzen. 80 Prozent der beteiligten Pilotbetriebe bejahten dies.
  • In den Interviews wurde deutlich, dass die befragten Arbeitsmediziner:innen und Fachkräfte für Arbeitssicherheit in der Gesamtsicht die klassische Beratungssituation vor Ort bevorzugen. Sie schildern aber Vorteile für beide Beratungsformen, die je nach Beratungssituation genutzt werden können und sollen.
Die Zukunft der Videosprechstunde im Arbeitsschutz

Videosprechstunden im Sinne von Videoberatungen im Rahmen der arbeitsmedizinischen und sicherheitstechnischen Betreuung nach DGUV Vorschrift 2 sind als neues Format eine sinnvolle Ergänzung im Dienstleistungs- und Produktportfolio der Unfallversicherungsträger. Sie sind eine geeignete Methode, den Beratungsauftrag zu erfüllen und werden auch von den Adressaten der Betreuung, den Mitgliedsbetrieben, als Entlastung im Arbeitsalltag beurteilt.

Um den Mitgliedsbetrieben Entscheidungshilfe zu bieten, für welche Handlungsanlässe Videoberatungen sinnvoll sein können, hat die BGN auf ihrer Internetseite Praxishilfen als PDF-Downloads zur Verfügung gestellt. Die jeweils einseitigen Faktenblätter beschreiben den Anlass einer Beratungssituation und geben einen kurzen Hinweis zur Datensicherheit und zum Datenschutz bei der Verwendung der Software eines zertifizierten Videodienstanbieters.

Zum Beispiel wird in diesem Zusammenhang dringend empfohlen, für die Videoberatung ausschließlich DSGVO-konforme Software eines gemäß ISO/IEC 27001 oder IT-Grundschutz zertifizierten Videodienstanbieters zu nutzen. Durch die Zertifizierung ist sichergestellt, dass die persönlichen Daten geschützt sind.

Eine wichtige Rolle spielen auch die Fragen, ob digitale Kommunikation, z. B. bei Videoberatungen, die Vielfalt der Kommunikation einschränkt und welche Strategien Nutzer:innen (von Videosprechstunden/Videokonferenzen) entwickeln, um mediale Einschränkungen aktiv zu kompensieren. Ganz konkret geht es dabei darum, wie die Nutzer:innen mit Unterbrechungen, Störungen, Einschränkungen und Missverständnissen umgehen. Hier besteht Forschungsbedarf.

Es wird auch eine Frage sein, ob Videoberatungen in einer „Zeit nach Corona“ den gleichen Stellenwert behalten werden, den sie in den vergangenen Jahren hatten, oder ob wieder vermehrt die persönliche Nähe in der Betreuung und Beratung vor Ort gesucht wird. Als Ergänzung bzw. zusätzliche Möglichkeit zu den bekannten Beratungswegen hat sich die Videoberatung jedenfalls etabliert.

[1] Eichendorf, W., Bell, F. (2015): Ärztinnen und Ärzte im Betrieb – Phänomen mit Seltenheitswert? In: DGUV Forum 4/2015, S. 10– 11.

[2] Barth, C., Hamacher, W., Eickholt, C. (2014): Arbeitsmedizinischer Betreuungsbedarf in Deutschland. Hrsg. von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund/Berlin/Dresden.

[3] Schäfer, K., Hollich, H. & Charissé, M. (2021): Betriebsärztlicher Betreuungsbedarf in Deutschland. In: DGUV Forum 6/2021, S. 31– 38. https://forum.dguv.de/ausgabe/6­2021/artikel/betriebsaerztlicherbetreuungsbedarf­in­deutschland (aufgerufen am 27.04.2022)

[4] Erens, O. (2017): Grünes Licht für Telemedizin. Paradigmenwechsel in der ärztlichen Behandlung. Arbeitsmed Sozialmed Umweltmed, Jg. 52, S. 403­404.

[5] Bundesärztekammer (Hrsg.) (2018): 121. Deutscher Ärztetag. Beschlussprotokoll. Erfurt, 8. bis 11. Mai 2018. Berlin, https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/pdf­Ordner/121.DAET/121_ Beschlussprotokoll.pdf (aufgerufen am 27.04.2022)

Autor:innen: Stefan Keller M.A., Constanze Nordbrock, Florian Elsässer

Der Beitrag erschien zuerst in unserer Fachzeitschrift:



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(ESV/fg)

Programmbereich: Arbeitsschutz