LSG Baden-Württemberg: Tanken ist prinzipiell eine rein privatwirtschaftliche Verrichtung, die nur ausnahmsweise über die gesetzliche Unfallversicherung geschützt wird (Foto: Ku koc / stock.adobe.com – Symbolbild, generiert mit KI)
Gesetzliche Unfallversicherung
Unfall beim Tanken auf Weg zur Arbeitsstelle als Wegeunfall?
ESV-Redaktion Recht
19.12.2024
Kann ein Unfall auf dem Weg zur Arbeit ein Wegeunfall sein, wenn die Fahrerin unterwegs für den weiteren Weg zur Arbeit tanken und anschließend unmittelbar weiter zur Arbeit fahren wollte? Diese Frage hat das LSG Baden-Württemberg in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden.
In dem Streitfall wollte die Klägerin morgens von ihrem Wohnort aus mit dem Motorrad zu ihrer Ausbildungsstätte fahren. Unterwegs wollte sie noch tanken. Die Tankstelle lag jedoch in entgegengesetzter Fahrrichtung. Bevor sie die Tankstelle erreichte, musste sie auf der vorfahrtsberechtigten Hauptstraße drehen und einem PKW ausweichen, der von rechts kam.
Hierbei stürzte die Klägerin, fiel auf ihr rechtes Bein und wurde mit einem Rettungswagen in ein Klinikum in Rastatt gebracht. Aufgrund Ihrer Knie- und Unterschenkelprellung war sie mehrere Wochen arbeitsunfähig.
Ihren Antrag auf Anerkennung eines Arbeitsunfalls lehnte die zuständige Berufsgenossenschaft ab. Da auch der Widerspruch der Bikerin erfolglos blieb, klagte sie vor dem SG Karlsruhe.
Klägerin: Notwendigkeit des Tankens war unvorhersehbar
Hierbei trug sie vor, sie habe erst beim Anfahren gemerkt, dass das Benzin nicht mehr bis zu ihrer Ausbildungsstät reichte. Sie habe nicht gewusst, dass ihr Bruder den Tank am Abend zuvor leergefahren hatte. Damit sei für sie die Notwendigkeit einer Betankung unvorhersehbar gewesen. Dies wäre mit einem Benzindiebstahl zu vergleichen, mit der Folge, dass sie ausnahmsweise unter den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung falle.
Darüber hinaus sah sie auch den Weg zur Tankstelle als Vorbereitung zum Erreichen ihrer Arbeitsstätte an.
SG Karlsruhe: Betankung war rein privatwirtschaftliche Verrichtung
Vor dem SG Karlsruhe hatte ihre Klage keinen Erfolg. Nach Auffassung des SG war das Tanken eine rein privatwirtschaftliche Verrichtung, die vom Schutzbereich der Wegeunfallversicherung nicht erfasst wird. Dabei betonte das SG, dass sich die Klägerin während des Unfalls nicht auf dem unmittelbaren Weg zur Arbeit befand, sondern in entgegengesetzter Richtung fuhr.
Ebenso lehnte das SG das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes ab, der ausnahmsweise zur Einbeziehung des Tankens in den Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung führen würde. Gegen die Entscheidung der Ausgangsinstanz zog die Bikerin dann mit einer Berufung vor das LSG Baden-Württemberg.
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LSG Baden-Württemberg
Auch das Rechtsmittel blieb erfolglos. Der 10. Senat des LSG Baden-Württemberg hat die Entscheidung der Ausgansinstanz bestätigt. Demnach änderte vor allem der Vortag der Klägerin, nach dem ein außergewöhnlicher Umstand vorgelegen haben soll, der einem Benzindiebstahl gleicht, nichts an der Entscheidung des LSG. Die wesentlichen Erwägungen des Senats:
- Keine positive Feststellung des Spritmangels: Dem Senat zufolge fehlte es schon an der positiven Feststellung, dass der Sprit nicht ausreichte.
- Kein Vergleich mit Diebstahl: Aber selbst dann, wenn man dies unterstellen wollte, obliegt es nach Auffassung des Senats allein der versicherten Person, ungewollte Fahrzeugnutzungen zu unterbinden. Der vorgetragene Kraftstoffmangel beruhte im Streitfall aber gerade nicht auf einem unvorhersehbaren Diebstahl, sondern auf einer nicht verhinderten Fahrzeugnutzung durch ein Familienmitglied. Die Klägerin hätte ihren Bruder anweisen können, das Motorrad nach einer Nutzung aufgetankt wieder abzustellen. Dies ist jedoch unterblieben.
- Wertungswiderspruch: Nach den weiteren Ausführungen des Senats liegt ein Wertungswiderspruch vor, wenn ein vorausschauender Versicherter grundsätzlich keinen Versicherungsschutz genießen würde, aber derjenige, der nicht vorgesorgt hat, vom Schutzbereich der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst werden soll.
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