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VGH Baden-Württemberg: Die Pflicht der Demo-Veranstalterin, Personen, die bestimmte Parolen rufen, zum Verlassen der Versammlung aufzufordern, kann eine sinnvolle Auflage sein (Foto: wellphoto / stock.adobe.com)
Versammlungsrecht

VGH Baden-Württemberg äußert sich zu Versammlungsverbot wegen befürchteter Äußerungen bei Demo zu Nah-Ost-Konflikt

ESV-Redaktion Recht
10.11.2023
Kann die Befürchtung des unfriedlichen Verlaufs einer Versammlung aufgrund von Äußerungsdelikten im Zusammenhang mit der aktuellen Situation im Israel ein Versammlungsverbot rechtfertigen? Diese Frage hat der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss entschieden.
In dem Streitfall hatte die zuständige Versammlungsbehörde eine für den 21. Oktober 2023 geplante Versammlung auf dem Marktplatz in Mannheim verboten, obwohl  nach der nach der Gefährdungsbewertung des Polizeipräsidiums Mannheim vom 18.10.2023 keine konkreten gefährdungsrelevanten Erkenntnisse vorlagen.  

Nach dem erfolglosen Antrag der Veranstalterin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs wiederherzustellen, sowie nach einem ebenfalls erfolglosen Eilantrag vor dem VG Karlsruhe zog die Veranstalterin mit einer Beschwerde vor den VGH Baden-Württemberg.

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VGH Baden-Württemberg: Auflage als milderes Mittel möglich

Der 3. Senat des VGH Baden-Würtemberg änderte den Beschluss des VG Karlsruhe vom 20.10.20238 (1 K 4222/23) wie folgt:

1) Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Verfügung der Antragsgegnerin wurde wiederhergestellt – und zwar mit der Maßgabe, dass auf der streitgegenständlichen Versammlung keine Parolen wie

  • „From the river to the sea, …“,
  • „Israel Kindermörder“,
  • „Juden Kindermörder“
  • oder „Israel bringt Kinder um“
gerufen oder gezeigt werden dürfen.

2) Die Antragstellerin muss Personen, die grob gegen diese Auflage verstoßen, zum Verlassen der Versammlung auffordern.


Die wesentlichen Erwägungen des Senats

  • Bloße Befürchtungen von strafbaren Äußerungen rechtfertigen noch kein Versammlungsverbot: Nach Senats-Auffassung ist ein Versammlungsverbot nicht schon deshalb gerechtfertigt, weil eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit hauptsächlich von zu erwartenden Äußerungsdelikten der Teilnehmer ausgeht oder weil ein unfriedlicher Verlauf der Versammlung aufgrund von antisemitischen Parolen droht.
  • Keine konkreten gefährdungsrelevanten Erkenntnisse: Dabei hatte der Senat zunächst im Blick, dass aufgrund des Massakers der Hamas an der israelischen Bevölkerung bei pro-palästinensischen Demonstrationen zwar ein sehr hohes Mobilisierungs- und Emotionalisierungspotential besteht, das jederzeit dynamische Veränderungen der Stimmungslage der Teilnehmer ermöglicht. Dennoch, so der Senat weiter, kam die obige Gefährdungsbewertung des Polizeipräsidiums Mannheim zu dem Ergebnis, dass keine konkreten gefährdungsrelevanten Erkenntnisse vorliegen.
  • Milderes Mittel möglich: Bei derartig gelagerten Fällen ist dem Senat zufolge der Erlass einer Auflage zu prüfen, nach der die Veranstalterin Personen zum Verlassen der Versammlung auffordern muss, die die genannten Parolen rufen und/oder zeigen. Voraussetzung hierfür wäre aber, dass die Veranstalterin dazu bereit ist, die befürchteten Äußerungen zu unterbinden. Insoweit wies der Senat darauf hin, dass die Antragstellerin im Kooperationsgespräch und in ihrer eidesstattlichen Versicherung ausdrücklich erklärt hatte, auf der Demo keine Parolen zulassen zu wollen. Somit habe sie auch selber auf entsprechende Meinungsäußerungen verzichtet. Darüber hinaus sollten etwa 40 Ordner für zusätzliche Sicherheit sorgen.
  • Strafbarkeit der benannten Äußerungen unerheblich: Ob die oben benannten oder inhaltsgleichen Äußerungen strafbar sind, ließ der 3. Senat des VGH Baden-Württemberg offen, weil im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur eine summarische Prüfung möglich ist.
Quelle: Beschluss des VGH Baden-Württemberg vom 21.10.2023 – 3 S 1669/23


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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht