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Hebe- und Tragebelastung muss regelmäßig sein (Foto: Angela Kausche)
Unfallversicherung und Recht

Wann sind Erkrankungen von Knie und Wirbelsäule berufsbedingt?

Eberhard Jung
15.01.2018
Im Gegensatz zum Arbeitsunfall werden die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit in § 9 SGB VII sehr detailliert und auch aufgegliedert nach einzelnen Krankheitsbildern aufgeführt. Wie sind die Voraussetzungen für eine Anerkennung?
Im Gegensatz zum „Arbeitsunfall“ des § 8 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) werden die Voraussetzungen für die Anerkennung einer „Berufskrankheit“ in § 9 SGB VII und den diese Regelung ergänzenden Vorschriften sehr detailliert und auch aufgegliedert nach einzelnen Krankheitsbildern aufgeführt (vgl. dazu Becker, Die anzeigepflichtigen Berufskrankheiten, Handbuch, 2010).

So sind nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII Berufskrankheiten „Krankheiten, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind“. Die Einzelheiten dazu regelt die Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) mit ihrer Anlage 1 (Liste der Berufskrankheiten), die gerade wieder – zum 1.8.2017 – um fünf weitere Krankheiten ergänzt worden ist (vgl. Verordnung vom 10.7.2017, BGBl. I S. 2299). Beispielsweise hat nach der BK-Nr. 2112 dieser Liste die Anerkennung einer Arthrose des Kniegelenks („Gonarthrose“) als Berufskrankheit folgende Voraussetzungen: „Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungszeit von insgesamt einer Stunde pro Schicht.“

Anerkennung einer Gonarthrose als Berufskrankheit ausgeschlossen

Lassen sich diese speziellen Voraussetzungen nicht nachweisen, ist die Anerkennung einer Gonarthrose als Berufskrankheit ausgeschlossen, so wie dies beispielsweise das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 14.9.2016 – L 17 U 252/14 – zu Recht entschieden hat.

Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Bei einem 1957 geborenen gelernten Kfz-Mechaniker, der bis zum Jahre 2002 auch als Kraftfahrer, Baggerfahrer und Pflasterer gearbeitet hatte, war im Jahr 2003 linksseitig eine Gonarthrose festgestellt worden. Die Präventionsabteilung des zuständigen Unfallversicherungsträgers hatte auf einen Entschädigungsantrag des Erkrankten hin ermittelt, dass dieser nur insgesamt 7.822 Stunden (und nicht wie für eine BK-Nr. 2112 erforderlich mindestens 13.000 Stunden) kniebelastend tätig gewesen war. Daraufhin hatte der Versicherungsträger mit Bescheid vom 19.4.2012/Widerspruchsbescheid vom 9.8.2012 die Anerkennung einer Gonarthrose als entschädigungspflichtige Berufskrankheit abgelehnt. Dem waren das Sozialgericht Dortmund mit Urteil vom 18.3.2014 – S 36 U 598/12 – und das LSG mit seinem Urteil vom 14.9.2016 (s. o.) gefolgt. In seiner Begründung hatte das LSG u. a. ausgeführt: Die Feststellung einer Berufskrankheit setze grundsätzlich voraus, dass die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen erfüllt seien, d. h. dass der Versicherte im Rahmen seiner Berufstätigkeit schädigenden Einwirkungen (hier im Sinne der BK-Nr. 2112) ausgesetzt gewesen war, die geeignet gewesen seien, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken. Hier aber sei der Erkrankte nicht mindestens 13.000 Stunden kniebelastend tätig gewesen.

Nachweis der arbeitstechnischen Voraussetzungen allein genügt nicht für die Anerkennung

Wie das Hessische Landessozialgericht im Fall einer Erkrankung der Lendenwirbelsäule mit Urteil vom 22.11.2016 – L 3 U 76/13 - entschieden hat, genügt aber der Nachweis der arbeitstechnischen Voraussetzungen allein nicht für die Anerkennung einer Berufskrankheit, wenn also beispielsweise der wesentliche berufliche Entstehungszusammenhang nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden konnte. Dabei ging es um die BK-Nr. 2108, die folgende Voraussetzungen hat: „Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.“

Die Entscheidung vom 22.11.2016 (s. o.) betraf folgenden Sachverhalt: Ein 1955 geborener Maschinenschlosser war nach seiner Ausbildung von 1971 bis 1998 überwiegend als Zweiradmechaniker tätig, später aber auch als Lagerist, Haustechniker, Kundenberater und Elektromechaniker. Nach seiner Kündigung im Jahr 1998 beantragte er bei dem zuständigen Unfallversicherungsträger die Anerkennung einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule als Berufskrankheit (BK Nr. 2108), nachdem er im März 1998 einen Bandscheibenvorfall zwischen 4. und 5. Lendenwirbelkörper (LWK 4/5) erlitten hatte. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 10.11.1998/Widerspruchsbescheid vom 21.4.1999 abgelehnt.

Die hiergegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Frankfurt am Main mit Gerichtsbescheid vom 21.9.2004, dann - nach Vorlage weiterer medizinischer Gutachten – auch das Landessozialgericht mit Urteil vom 18.8.2009 ab. Der Erkrankte erfülle zwar die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2108, nicht aber deren medizinische Voraussetzungen. So lasse sich eine Schädigung zwar nicht ausschließen, sie sei jedoch nicht in dem erforderlichen Maße wahrscheinlich, und dies gehe im Rahmen der objektiven Beweislast zu Lasten des Erkrankten. Ein Jahr später, am 7.10.2010 stellte der Erkrankte einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X (Antrag auf Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes). Dies wurde mit Bescheid vom 30.11.2010/Widerspruchsbescheid vom 31.3.2011 abgelehnt. Dem folgte dann auch mit Urteil vom 26.3.2013 das Sozialgericht.

Kläger: Sachverhalt war nicht umfassend ermittelt

Im anschließenden (neuen) Berufungsverfahren vor dem Hessischen Landessozialgericht (LSG) hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass der Sachverhalt in den früheren Verfahren nicht umfassend ermittelt worden sei, so habe er insbesondere vielfach schwere Hebe- und Tragearbeiten beim Motorradtransport verrichten müssen. Dennoch hat das LSG in seinem Urteil vom 22.11.2016 (s. o.) erneut die Anerkennung der Wirbelsäulenerkrankung als Berufskrankheit BK Nr. 2108 abgelehnt, insbesondere mit der Begründung, dass es bei der Tätigkeit des Klägers an der von der Rechtsprechung in Fällen dieser Art geforderten Regelmäßigkeit der schweren Hebe- und Tragebelastungen gefehlt habe. Der berufliche Zusammenhang der Bandscheibenvorfälle erscheine daher weiterhin nicht als wahrscheinlich.

Allerdings hat das LSG jetzt im Hinblick auf die abweichende Bewertung dieser Problematik durch andere Landessozialgerichte, die eine positive Entscheidung im Sinne des Klägers durchaus rechtfertigen würde, die Revision zum Bundessozialgericht (BSG) zugelassen, da der Rechtsstreit nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes grundsätzliche Bedeutung habe: Die vom Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 23.4.2015 – B 2 U 10/14 R – noch offen gelassene Kausalitätsfrage (als für die damalige Entscheidung nicht erheblich) bedürfe nunmehr für den hier vorliegenden Fall (und mittlerweile auch für vergleichbare andere Fälle, z. B. dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21.12.2016 – L 17 U 275/14 -) einer Klärung.

Praxishinweis:

Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt grundsätzlich voraus, dass die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen gegeben sind, dass also die versicherte Person im Rahmen einer versicherten Tätigkeit schädigenden Einwirkungen im Sinne der Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung ausgesetzt war, die geeignet sind, einen entsprechenden Gesundheitsschaden zu bewirken, und dass die Einwirkungen eine entsprechende Krankheit verursacht haben. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkung und die Krankheit mit Vollbeweis – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – nachgewiesen sein.

Für die Ursachenzusammenhänge genügt hingegen die hinreichende Wahrscheinlichkeit, wenn also mehr für als gegen diese Zusammenhänge spricht und ernste Zweifel ausscheiden; eine bloße Möglichkeit reicht nicht aus (vgl. dazu Brandenburg, in: Becker/Franke/Molkentin (Hg.), Kommentar zum SGB VII, 4. Auflage 2014, § 9 SGB VII, Rn. 12 ff.). Die Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge erfolgt auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes (vgl. dazu beispielsweise Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, Rechtliche und medizinische Grundlagen für Gutachter, Sozialverwaltung, Berater und Gerichte, 9. Auflage, 2017).

Lassen sich Nachweise nicht führen, geht dies nach den Grundsätzen der sog. objektiven Beweislast zu Lasten der versicherten Person. Wie die beiden oben aufgeführten LSG-Entscheidungen zeigen, ist es daher für diejenigen, die einen Antrag auf Anerkennung einer Berufskrankheit stellen, von größter Wichtigkeit, dass der Sachverhalt umfassend aufgeklärt wird, dass also alle bedeutsamen Details eines Arbeitslebens ermittelt werden (beispielsweise: welche Hebe- und Tragearbeiten wurden durchgeführt, welche Gewichte wurden dabei bewegt, wie war der zeitliche Umfang, erfolgten die Transporte regelmäßig, gab es Belastungsspitzen, etc.). Schließlich sollten auch Änderungen in der Rechtsprechung, insbesondere der des BSG, beachtet werden.

Auch die neueste Rechtsprechung knüpft an das Erfordernis der „Regelmäßigkeit“ der Hebe- und Tragebelastung an, um zu einer positiven Feststellung des beruflichen Zusammenhangs zu kommen.


Der Autor
Prof. Dr. jur. Eberhard Jung unterrichtete viele Jahre lang am Fachbereich Rechtswissenschaft der Unversität Gießen und an der Ärzteakademie der Landesärztekammer Hessen, Bereich Arbeits- und Sozialmedizin. Außerdem war Prof. Jung Verwaltungsdirektor bei der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft und Dozent an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Fachbereich Sozialversicherung. In der Betrieblichen Prävention stellt er jeden Monat eine Rechtsthematik aus dem Bereich Arbeits- und Gesundheitsschutz vor.

Programmbereich: Arbeitsschutz