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BVerfG: BGH verkennt Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens (Foto: U. J. Alexander / stock.adobe.com)
Entschädigung wegen Dopingsperre

Wende im Fall Claudia Pechstein? BVerfG kassiert BGH-Urteil

ESV-Redaktion Recht
19.07.2022
Im Juni 2016 hatte der BGH entschieden, dass Claudia Pechstein die Internationale Eislauf-Union (ISU) nicht in Deutschland auf Schadensersatz und Schmerzensgeld verklagen darf. Hintergrund war eine Dopingsperre, die die ISU gegen die fünfmalige Olympiasiegerin im Februar 2009 ausgesprochen hatte. Nun hat das BVerfG die BGH-Entscheidung kassiert.
In dem Streitfall hatte die ISU die Eisschnellläuferin im Jahr 2009 wegen zu hoher Retikulozytenwerte im Blut gesperrt. Die Sportlerin führte diese Blutwerte auf eine vererbte Anomalie ihres Vaters zurück und legte hierzu mehrere medizinische Gutachten vor. Sie bestritt die Dopingvorwürfe und zog – aber ohne Erfolg – vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS).

Daraufhin wendete sie sich – ebenfalls erfolglos – an das LG München I und beanstandete die Struktur des Verbandes. Dem CAS warf sie mangelnde Neutralität vor und meinte, dass sie gezwungen war, sich aufgrund einer Schiedsvereinbarung dem Sportgericht zu unterwerfen. Aus diesem Grund wäre diese Vereinbarung rechtswidrig.

Mehr Erfolg hatte die Sportlerin dann vor der Berufungsinstanz, dem OLG München. Das OLG sah bei den Sport-Verbänden ein strukturelles Übergewicht im Hinblick auf die Besetzung der Schiedsrichter des CAS. Gegen die Berufungsentscheidung legte dann die ISU Revision zum BGH ein.

BGH: Athleten und Verbände verfolgen im Kampf gegen Doping dieselben Interessen


Der BGH hielt die Schiedsklausel für wirksam und wies die Klage damit als unzulässig ab. Der Kartellsenat des BGH ließ den Einwand von Pechstein, nach dem die Athleten zu wenig Einfluss auf die Besetzung der Sportgerichte haben, nicht gelten. Demnach verfolgen Verbände und die Athleten mit dem Kampf gegen das Doping die gleichen Interessen. Zudem könne Pechstein noch immer die Gerichte in der Schweiz anrufen.

Nach BGH-Auffassung ist die Schiedsgerichtsklausel also wirksam, obwohl die ISU als Weltverband und einziger internationaler Veranstalter eine marktbeherrschende Stellung hat. Gegen die BGH-Entscheidung zog Pechstein dann mit einer Verfassungsbeschwerde vor das BVerfG.

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BVerfG: Kartellsenat des BGH verkennt Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens

Hier hatte sie mehr Glück, denn die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hob das BGH-Urteil auf und verwies die Sache an das OLG München zurück. Nach Ansicht der Kammer verletzt das BGH-Urteil die Sportlerin in ihrem Justizgewähranspruch aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des GG. Die tragenden Gründe der Kammer:

  • Öffentlichkeit der Verhandlung ist zentrales Rechtsstaatsprinzip: Vor dem CAS wurde nicht öffentlich verhandelt, obwohl Pechstein dies beantragt hatte. Doch der CAS folgte seinen Statuten, die keinen Anspruch auf eine öffentliche Verhandlung vorsahen. Nach  Auffassung der Kammer hat der CAS damit ein ganz zentrales Rechtsstaatsprinzip verletzt, mit der Folge, dass schon die Ausgestaltung des schiedsgerichtlichen Verfahrens insgesamt weder den Garantien des Art. 6 Abs. 1 EMRK noch den damit einhergehenden grundgesetzlichen Anforderungen an den Justizgewähranspruch des Betroffenen entsprechen.

  • Abwägungsfehler des BGH: Auch der Kartellsenat des BGH hat die Bedeutung des Anspruchs auf Öffentlichkeit des Verfahrens verkannt. Damit erfüllte die Abwägung des BGH zwischen Justizgewährungsanspruch einerseits sowie der Vertragsfreiheit und der Verbandsautonomie andererseits nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben.

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Wie es weiter geht

Die Türen für die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen vor den deutschen Gerichten sind für Claudia Pechstein nun wieder offen. Letztlich ist das aber nur ein Etappensieg. Das OLG München wird nun voraussichtlich Beweis darüber erheben, ob Pechstein vor vielen Jahren gedopt war oder nicht. 

Nicht entscheiden muss das OLG darüber, ob ein etwaiges strukturelles Übergewicht der Verbände – vor allem bei der Benennung der „neutralen“ dritten Schiedsrichter – ebenfalls gegen den Justizgewährleistungsanspruch verstößt. Denn hierauf kommt es aufgrund der Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung nicht mehr an. Die Karlsruher Verfassungsrichter betonten aber, dass eine richterliche Tätigkeit stets von einem nichtbeteiligten Dritten auszuüben ist. Dies ist ganz wesentlich und gilt auch für die Ausgestaltung von nationalen oder internationalen Schiedsverfahren.

Quelle: PM des BVerfG vom 12.07.2022 zum  Beschluss des BVerfG vom 03.06.2022 – 1 BvR 2103/16


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Der Berliner Kommentar zum Grundgesetz analysiert dogmatisch fundiert und kritisch reflektierend. Dabei folgt das Werk bei den einzelnen Erläuterungen einem einheitlichen Gliederungsraster und bietet dem Leser:

  • die Entwicklungslinien der Verfassungsbestimmungen einschließlich der dogmatischen und entstehungsgeschichtlichen Aspekte,
  • die gemeinschaftsrechtlichen, internationalrechtlichen und rechtsvergleichenden Bezüge,
  • die eigentliche Kommentierung, die die herausragende Bedeutung der Judikatur des BVerfG ausführlich würdigt, ohne damit aber einem „Bundesverfassungsgerichtspositivismus“ das Wort zu reden,
  • eine zusammenfassende Bewertung der Verfassungsbestimmungen und ihrer Wirkung auf die einfache Rechtsordnung.
  • sowie eine Auflistung der einschlägigen Leitentscheidungen.
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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht