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Wer ist für die Unterweisung verantwortlich? (Foto: Fotolia/endostock)
Spitzfindigkeiten zu Schutz und Schuld

Wer ist für Unterweisungen verantwortlich?

Thomas Wilrich
23.09.2020
In dieser Kolumne berichtet Rechtsanwalt Dr. Thomas Wilrich regelmäßig von kuriosen Rechtsfällen und was wir von ihnen für den Arbeitsschutz lernen können.
Die „Spitzfindigkeiten“ haben sich schon mit der Frage befasst, wer „per se“ für den Arbeitsschutz verantwortlich ist – und die Antwort der KomNet-Wissensdatenbank im KomNet-Dialog 4428 klargestellt bzw. ergänzt. Auch der KomNet-Dialog 42805 (Stand: 21.08.2019) spezifisch zu Unterweisungen muss entsprechend korrigiert werden. Die Frage ist: „Der Unternehmer ist verantwortlich für die Durchführung von Unterweisungen. Ist es richtig, dass, falls keine Pflichtenübertragung an z.B. einen Abteilungsleiter stattgefunden hat, dieser auch keine Unterweisungen durchführen braucht?“

Wieder ist eine sinnvolle und nicht irreführende Antwort nur im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtung möglich: „Sobald jemand einen Paragraphen eines Gesetzbuches anwendet, so wendet er das ganze Gesetzbuch an“ (Rudolf Stammler). „Als Juristen haben Sie die Aufgabe, das Verhältnis Ihres speziellen Falles zum ganzen Universum zu sehen“ (Oliver Wendell Holmes Jr.). Es darf also nicht nur das verwaltungsrechtliche Arbeitsschutzrecht betrachtet werden – was aber KOMNET mit dieser Antwort tut: „Ist keine Pflichtenübertragung erfolgt, haftet der Arbeitgeber/Vorstand/Geschäftsführer für alle Versäumnisse des Arbeitsschutzes im Betrieb. … Unter § 13 des ArbSchG ist festgelegt, wer für die Erfüllung der sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Pflichten verantwortlich ist. Ausgehend von § 13 Abs. 1 Nr. 5 ArbSchG kann der Arbeitgeber zuverlässige fachkundige Personen damit beauftragen, seine öffentlich-rechtlichen Vorschriften nach dem ArbSchG in eigener Verantwortung wahrzunehmen (Abs. 2). Da diese Personen nicht zu dem Personenkreis nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 gehören müssen, muss diese Beauftragung schriftlich erfolgen. Dies dient der rechtlichen Absicherung sowohl des Arbeitgebers als auch der beauftragten Person. Darin werden dann auch Befugnisse und Kompetenzen der beauftragten Person festgelegt. Ist eine ordnungsgemäße Pflichtenübertragung erfolgt, so ergeben sich für den Verpflichteten die gleichen Konsequenzen wie für den Arbeitgeber. … Die Pflicht zur Unterweisung ergibt sich aus § 12 ArbSchG. Ist keine Pflichtenübertragung erfolgt, dann obliegt diese Pflicht weiterhin dem Arbeitgeber und die Unterweisung muss nicht durch z. B. dem Abteilungsleiter durchgeführt werden.“

Das ist wieder sehr missverständlich, denn diese Antwort berücksichtigt nur das ArbSchG. Besonders missverständlich wird es dadurch, dass im ersten Satz von „Haftung“ die Rede ist und eine ganzheitliche Rechtsbetrachtung suggeriert wird.

Bei der zivilrechtlichen Haftung auf Schadensersatz und der strafrechtlichen Haftung für fahrlässige Körperverletzung oder Tötung nach Arbeitsunfällen kommt es auf § 13 ArbSchG nicht an – und damit auch nicht auf die Schriftform der Pflichtendelegation, was aber dieser Satz hier suggeriert: „Ist eine ordnungsgemäße Pflichtenübertragung erfolgt, so ergeben sich für den Verpflichteten die gleichen Konsequenzen wie für den Arbeitgeber.“ Mit „ordnungsgemäß“ ist natürlich die zuvor geschilderte „Schriftlichkeit“ gemeint.

Richtig ist aber: Auch bei einer nicht gemäß § 13 ArbSchG „ordnungsgemäßen“ Pflichtenübertragung ergeben sich für den Verpflichteten die gleichen Konsequenzen wie für den Arbeitgeber. Auch bei einer nur mündlichen oder sogar durch Beginn einer entsprechenden Aufgabenwahrnehmung nur stillschweigenden („konkludenten“) Pflichtenübertragung ist der Pflichtenadressat automatisch aufgrund der Unternehmensposition heraus arbeitsschutz- und damit unterweisungsverantwortlich. Die DGUV Information 211-006 „Sicherheit und Gesundheitsschutz durch Koordinieren“ drückt es so aus: „Vorgesetzte ohne Verantwortung gibt es nicht. Wer es ablehnt, Verantwortung zu tragen, kann nicht Vorgesetzter sein.“

Das Amtsgericht Münsingen (siehe die Fallbesprechung in der BePr 6/2020) sagt es – ohne Begründung – so: „Als Abteilungsleiter des Abteilungszweiges Produktion ‚Trockenkammer‘ sind sie dafür verantwortlich, dass die Sicherheits- und Maschinenunterweisung vollständig und umfassend durchgeführt wird.“


Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung und Arbeitsschutz einschließlich Betriebsorganisation, Führungskräftehaftung, Vertragsgestaltung und Strafverteidigung. Er ist an der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht und Autor von Fachbüchern: Sicherheitsverantwortung (Erich Schmidt Verlag), Arbeitsschutz-Strafrecht (Erich Schmidt Verlag), Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), Rechtliche Bedeutung technischer Normen.

 


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