
„Wie Orpheus spiel ich auf den Saiten des Lebens“ – Erinnern an und mit Ingeborg Bachmann
Die Tage zwischen den Jahren bieten sich für dieses Aneinanderdenken besonders an, nicht zuletzt macht uns schon der Name auf die ‚Zeitlosigkeit‘ aufmerksam, die beides sein soll: zurück- und nach vorn gewandt. Der Kult um die germanischen Rauhnächte (die ebenfalls bei Celan in seinem letzten Band Lichtzwang in dem Gedicht Allmählich clowngesichtig vorkommen) erlebt im Moment Konjunktur, sie sind eine Zeit der Stille und des Innehaltens. Im germanischen Ursprung des Mythos wurden sie genutzt, um böse Geister auszutreiben und sich auf den Anbruch des neuen Jahres vorzubereiten.
Kein schlechter Moment, um an eine Autorin zu erinnern, die nicht zuletzt für Ihre düsteren Gedichte Berühmtheit erlangte. Das Zuendegehen findet sich schon im Titel des Bandes Die gestundete Zeit (1953) wieder, obwohl sie bei dessen Veröffentlichung noch 20 Jahre zu leben hatte. Doch dieser Limitierung, die „auf Widerruf […] sichtbar am Horizont“ wird, setzt Bachmann selbst in einer Vielzahl anderer Gedichte das pure Leben entgegen. Und da sie der Ansicht war, ‚jeder Nachruf sei zwangsläufig eine Indiskretion‘, wie es Uwe Johnson auch in seiner Reise nach Klagenfurt (1974) aufgreift, soll dies kein Nachruf sein, sondern Bachmann selbst zu Wort kommen:
Schöner als der beachtliche Mond und sein geadeltes Licht,
Schöner als die Sterne, die berühmten Orden der Nacht,
Viel schöner als der feurige Auftritt eines Kometen
Und zu weit Schönerem berufen als jedes andre Gestirn,
Weil dein und mein Leben jeden Tag an ihr hängt, ist die Sonne.
Schöne Sonne, die aufgeht, ihr Werk nicht vergessen hat
Und beendet, am schönsten im Sommer, wenn ein Tag
An den Küsten verdampft und ohne Kraft gespiegelt die Segel
Über dein Aug ziehn, bis du müde wirst und das letzte verkürzt.
Ohne die Sonne nimmt auch die Kunst wieder den Schleier,
Du erscheinst mir nicht mehr, und die See und der Sand,
Von Schatten gepeitscht, fliehen unter mein Lid.
Schönes Licht, das uns warm hält, bewahrt und wunderbar sorgt,
Dass ich wieder sehe und dass ich dich wiederseh!
Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein ...
Nichts Schönres als den Stab im Wasser zu sehn und den Vogel oben,
Der seinen Flug überlegt, und unten die Fische im Schwarm,
Gefärbt, geformt, in die Welt gekommen mit einer Sendung von Licht,
Und den Umkreis zu sehn, das Geviert eines Felds, das Tausendeck meines Lands
Und das Kleid, das du angetan hast. Und dein Kleid, glockig und blau!
Schönes Blau, in dem die Pfauen spazieren und sich verneigen,
Blau der Fernen, der Zonen des Glücks mit den Wettern für mein Gefühl,
Blauer Zufall am Horizont! Und meine begeisterten Augen
Weiten sich wieder und blinken und brennen sich wund.
Schöne Sonne, der vom Staub noch die größte Bewundrung gebührt,
Drum werde ich nicht wegen dem Mond und den Sternen und nicht,
Weil die Nacht mit Kometen prahlt und in mir einen Narren sucht,
Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst
Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.
An die Sonne (1956)
Mit dieser Hommage als Kontrastfolie erlangt die letzte Strophe des Orpheus-Gedichts einen anderen Klang. Die Farbe Blau durchzieht als Hoffnungsschimmer das gesamte Werk der Autorin, sogar in Malina (1971) durchbricht die Wiederaufnahme der Verse aus An die Sonne den Akt der Gewalt. Denn Bachmann war vor allem auch eine fulminante Autorin, die mittendrin sein wollte – ihre Liebe zu Rom ist der Beweis. In Die blaue Stunde formuliert sie dies wie nirgends sonst: „Vom hohen Trapez im Zirkuszelt/ spring ich durch den Feuerreifen der Welt“, schreibt sie und tut’s. Ihr Gedicht rezipiert nicht zuletzt ein ganz bestimmtes Element des Orpheus-Mythos, die Unsterblichkeit der Seele, denn:
Aber wie Orpheus weiß ich
Auf der Seite des Todes das Leben,
und mir blaut
dein für immer geschlossenes Aug.
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Programmbereich: Germanistik und Komparatistik