„Vertrauen ist lebensnotwendig, es darf aber nicht mit Naivität verwechselt werden“
Birgit Galley: Eine Bedrohung ist eine Ermittlung immer nur dann, wenn sie unprofessionell durchgeführt wird, dann kann schon mal richtig viel verbrannte Erde entstehen: Misstrauen, falsche Verdächtigungen, unkorrekte Sachverhalte, unhaltbare Sanktionen, enorme Reputationsschäden usw.
Aber natürlich sind die Ermittlungen für Täter bedrohlich, wenn deren Entdeckungswahrscheinlichkeit erhöht wird und sie ihre Spuren nicht mehr verwischen können.
Ein redlicher Mitarbeiter oder Geschäftspartner muss eine professionelle unternehmenseigene Ermittlung überhaupt nicht fürchten, im Gegenteil: irgendwann sind wir vielleicht auch soweit, dass sie begrüßt wird, weil sie redliches Verhalten zeigt und unredliches aufdeckt.
Und leider: Vertrauen stößt genau dann an seine Grenzen, wenn wir es mit raffinierten Tätern zu tun haben. Vertrauen ist für jedes Geschäft absolut lebensnotwendig, es darf aber nicht mit Naivität verwechselt werden.
Ein Schwerpunkt in dem Buch „Unternehmenseigene Ermittlungen“ betrifft die IT. Aus der Sicht der Wirtschaftskriminalität: Ist die IT ein Segen oder ein Fluch?
Birgit Galley: Sie ist eindeutig ein Segen, weil sie geholfen hat, unsere Prozesse zu beschleunigen. Aber auch mit einem Brotmesser können Sie jemanden umbringen – so können natürlich auch mit Hilfe der IT Spuren verwischt oder verschleiert werden oder auch Täter ihre Prozesse optimieren. Letztlich gehört die IT zum Handwerk der Unternehmen und zum Werkzeugkoffer des Ermittlers. Und sie ist Tatmittel der Täter.
Was raten Sie Unternehmen, die durch unternehmenseigene Ermittlungen Erkenntnisse gewonnen haben, die das Unternehmen in der Öffentlichkeit nicht gut aussehen lassen: Transparenz, Salamitaktik, Schweigen oder Aussitzen?
Birgit Galley: Zunächst einmal muss der Sachverhalt soweit klar sein, bevor überhaupt etwas gesagt wird. Und ein paar Grundsätze sind gut: Lieber Schweigen als Lügen! oder: Erst denken, dann reden! oder auch: Ehrlichkeit wehrt immer noch am Längsten! Vielleicht auch: Manchmal ist weniger mehr! Wirtschaftskriminalität kann überall passieren, es kommt nur immer darauf an, wie professionell die Unternehmen mit den Vorkommnissen umgehen. Wie Helmut Schmidt schon sagte: „in der Krise beweist sich der Charakter“. Wenn auch Wirtschaftskriminalität nicht immer zu einer Krise führen muss, im langfristigen kollektiven Gedächtnis bleibt jedoch immer hängen, wie professionell oder eben unprofessionell sich das Unternehmen und seine Organe in dem Fall verhalten haben.
Im Buch sprechen Sie in Bezug auf unternehmenseigene Ermittlungen von einem Spagat zwischen Sehen und Suchen. Was meinen Sie damit?
Birgit Galley: Unternehmen sind in Bezug auf schädigendes Verhalten nicht angehalten, dieses zu suchen, also förmlich überall eine Straftat zu wittern und alles und jeden zu kontrollieren – das ist höchst schädlich für die Kultur des Hauses. Sollten aber Sachverhalte durch regelmäßige Kontrollen oder auch eingegangene Hinweise zu Tage treten, die einer Verfolgung bedürfen, dann muss man schon in der Lage sein, dies zu erkennen. Alles andere wäre unprofessionell und ebenfalls für die Unternehmenskultur schädlich… es ist also ein Spagat, immer im richtigen Maß mit Fehlverhalten oder sogar Täterverhalten im Unternehmen umzugehen.
Sie verantworten seit 2004 als Direktorin den MBA in Compliance und Wirtschaftskriminalität und den Master Kriminalistik an der Steinbeis-Hochschule Berlin. Haben sich in den letzten Jahren die Schwerpunkte in der Ausbildung verändert?
Birgit Galley: Nicht wirklich. Wir passen natürlich die Lehrinhalte den aktuellen Gegebenheiten und Gesetzgebungen an, aber die Komplexität und der Facettenreichtum dieser Themen bleiben über die Jahre unverändert.
Was sind die Motivationen der Studenten, sich im Bereich Compliance, Wirtschaftskriminalität und Kriminalistik weiterzubilden?
Birgit Galley: Es ist nicht damit getan, sich in wenigen Tagen einschlägig fortgebildet zu haben, erst durch Trainings, Dilemma-Situationen, Vernetzung von verschiedenen Sachverhalten und komplexen Fragestellungen formt sich ein spezifischer Denkprozess, der nicht durch reine Wissensvermittlung erledigt ist… Gerade bei so komplexen und themenübergreifenden Wissenschaften, wie Kriminalistik oder bei Wirtschaftskriminalitätsbekämpfung ist eine solche Ausbildung umfangreich und nicht für jeden geeignet. Das ist es aber auch, was die Studierenden motiviert. Sich wirklich mit der Materie auseinanderzusetzen und zu sehen, wie sich eigene Denkansätze verändern. Es macht Spaß, das zu sehen und die Studierenden dabei zu begleiten.
Weiterlesen. Teil 1 des Interviews lesen Sie hier.
(ESV/ms, map)
| Zur Person |
Birgit Galley studierte Betriebswirtschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Schwerpunkt Recht. Sie ist Betrugsermittlerin (Certified Fraud Examiner) und Geschäftsführerin der Forensic Management GmbH, mit der sie seit Mitte der 1990er Jahre Unternehmen verschiedener Branchen in der Aufbereitung eingetretener Schadensfälle und in der präventiven Beratung zum Aufbau geeigneter Compliance-Strukturen betreut. Sie hat mehrere Aufsichtsratsmandate und ist Initiatorin, Gründungsmitglied und Mitglied im Verwaltungsrat des DICO - Deutsches Institut für Compliance e.V. Als Direktorin der School GRC und School CIFoS an der Steinbeis-Hochschule Berlin verantwortet sie den MBA in Compliance & Wirtschaftskriminalität sowie den Master Kriminalistik. Soeben ist im Erich Schmidt Verlag das Buch „Unternehmenseigene Ermittlungen“ von Birgit Galley, Dr. Ingo Minoggio und Prof. Dr. Marko Schuba erschienen. Das eBook steht Abonnenten von COMPLIANCEdigital kostenfrei zur Verfügung. Noch kein Abonnent? Testen Sie COMPLIANCEdigital 4 Wochen lang gratis. Weitere Informationen finden Sie hier. |