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Kann ein Mord ein Arbeitsunfall sein? (Bild: Vlastimil Sestak/stock.adobe.com)
Tödliche Arbeitsunfälle

Mord ist k(ein) Arbeitsunfall?

Sebastian Felz
08.08.2019
Bei tödlichen Arbeitsunfällen wird häufig geprüft, ob es sich dabei um fahrlässige Tötungen im Sinne des § 222 StGB handeln könnte. Leider geschehen auch immer wieder vorsätzliche Tötungsdelikte im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses. Ausgehend von der ASR V3 „Gefährdungsbeurteilung“ soll im nachfolgenden Beitrag die Frage „Mord als Arbeitsunfall“ anhand des vom LG Bielefeld strafrechtlich entschiedenen „Pausenbrotfalls“ aufgeworfen werden.
„Mord ist kein Arbeitsunfall“, so lautet ein Leitsatz des LSG Baden-Württemberg in einem sehr brutalen Fall.

Hier verletzte ein Sohn seinen Vater zunächst mit Hammerschlägen und zündete ihn danach an. Der Vater verstarb. Sie waren gemeinsam auf dem Weg zur Arbeitsstätte. Die Aussage des Leitsatzes ist so allgemein nicht zu halten: „Denn wäre das Opfer auf dem Weg zur Arbeit von einem Arbeitskollegen ermordet worden, weil dieser sich für jahrelange Schikanen im Betrieb rächen wollte oder für eine als ungerecht empfundene Behandlung, könnte die so motivierte Tötung durchaus ein Arbeitsunfall sein“.

Immer wieder geschehen solche schrecklichen Taten im Rahmen von Arbeitsverhältnissen. Dazu gehören z.B. auch die Morde der Terroristen des „Nationalsozialistischen Untergrundes – NSU“, die als Arbeitsunfälle einzustufen sind, weil es den Rechtsterroristen darum gegangen sei, ausländische Unternehmer bzw. Beschäftigte zu ermorden.

In der ASR V3 „Gefährdungsbeurteilung“ ist in Ziffer 11 „Gewaltanwendung“ unter den „sonstigen Einwirkungen“ richtigerweise als Ausprägung des § 4 Nr. 4 ArbSchG („soziale Beziehungen“) aufgeführt.

Ein aktueller Fall, der sogenannte Pausenbrotfall, der vor dem LG Bielefeld nun zu Ende gegangen ist, gibt Anlass, diese Überlegungen weiterzuführen. Das LG Bielefeld hat den Angeklagten zu lebenslanger Haft wegen versuchten Mordes, schwerer und gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Des Weiteren wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt und die anschließende Sicherheitsverwahrung verhängt, da das erkennende Gericht einen Hang des 57-Jährigen zu weiteren schweren Straftaten als gegeben ansah. Lebenslang wird bei Mordversuchen nur selten verhängt. Bis zum Urteilsspruch hatte der Angeklagte im Verfahren geschwiegen. Nach Überzeugung des Gerichts hat er Pausenbrote und Getränke seiner Kollegen in einem Betrieb in Schloß Holte-Stukenbrock bei Bielefeld von 2015 bis 2018 mit toxischen Stoffen kontaminiert. Einem Kollegen war 2018 ein weißes Pulver auf seinem Brot aufgefallen. Er fotografierte diese verdächtige Substanz und informierte seine Vorgesetzen. Diese ließen den Pausenraum des Unternehmens durch Videokameras überwachen und überführten so den nun verurteilten Angeklagten. Die Aufnahmen zeigen den Angeklagten, wie er die pulverige Substanz in einem durch die Kollegen unbeobachteten Moment auf das Brot aufbringt. Zwei der vergifteten Kollegen wurden nierenkrank und müssen heute mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen leben. Ein drittes Opfer liegt mit einem irreparablen Hirnschaden seit 2016 im Wachkoma und wird von seinen Eltern gepflegt. Die Motivlage blieb den psychiatrischen Gutachtern unklar. Ein Psychologe äußerte sich nach fünf Gesprächen mit dem späteren Angeklagten in der Untersuchungshaft dahingehend, dass dieser wie „ein Wissenschaftler“ seine Kollegen als Versuchskaninchen missbrauchte, um die Wirkung der selbst hergestellten Gifte zu testen. Für den Vorsitzenden Richter blieb das Motiv völlig unklar. Der Angeklagte ist voll schuldfähig. Die Verteidigung will in Revision gehen.

Ein Fall für den Staatsanwalt und den Strafrichter. Aber handelt es sich dabei auch um einen Fall für den Unfallsachbearbeiter der Berufsgenossenschaft? Ist ein Mordversuch ein Arbeitsunfall?

Arbeitsunfälle sind im SGB VII definiert als Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit, sog. versicherte Tätigkeit. Als Unfälle gelten begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verunfallte durch eine Verrichtung zur Zeit des fraglichen Ereignisses den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheits-Erstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben.

Die Plötzlichkeit des Ereignisses dürfte bei einmaliger, stark dosierter „Verabreichung“ des Giftes zu bejahen sein. Die Nahrungsaufnahme als eigenwirtschaftliche Tätigkeit ist grundsätzlich nicht versichert. Ein Angriff aus Gründen der versicherten Tätigkeit könnte vorliegen, wenn der Angreifer sich an Arbeitskollegen aus Gründen rächen will, die ihren Ursprung in der versicherten Tätigkeit haben. Ein Arbeitsunfall müsse in diesen Fällen anerkannt werden, so Stimmen in der Kommentarliteratur, weil er „infolge“ der versicherten Tätigkeit eintrete.

Problematisch ist vorliegend, dass die Motivlage völlig unklar ist. Es dürfte also schwierig sein, zu beweisen, dass der Täter betriebsbezogene Motive hatte. Die Motivlage des Täters kann hier aber dahinstehen. Die Verletzten wurden Opfer der Mordversuche, weil sie infolge ihrer versicherten Tätigkeit der Tatsituation ausgesetzt sind. Durch das gemeinsame Einnehmen der Mahlzeit im Pausenraum hatte der Täter Zugriff auf die verzehrten Lebensmittel der Kollegen.

Dies ist eine spezifische Gefährdung der versicherten Tätigkeit („besondere Betriebsgefahr“). Weil die Versicherten infolge der versicherten Tätigkeit ihr Pausenbrot im Betrieb einnehmen, sollen sie vor Gefahrenquellen aus dem Betrieb der Arbeitsstätte (hier ein giftverteilender Kollege) geschützt werden.

Folglich wäre hier ein Arbeitsunfall zu bejahen. Ansprüche aus dem Opferentschädigungsgesetz sind subsidiär (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB VII).

Der Autor
Dr. Sebastian Felz ist als Referent beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Referat III b 5 – Produktsicherheit, Anlagen- und Betriebssicherheit in Bonn tätig. 
 

 

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