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Thomas Altgeld (LVG & AfS Nds.) (Foto: Sebastian Vogt)
Nachgefragt bei: Thomas Altgeld, Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e. V.

Altgeld: „Wir brauchen andere (Vor-)Bilder von Männlichkeit und dazu können Betriebe beitragen“

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
05.12.2019
Thomas Altgeld, Geschäftsführer der Landesvereinigung für Gesundheit Niedersachsen e. V., erläutert im Gespräch mit der ESV-Redaktion, warum wir einen genderorientierten Präventionsansatz brauchen.
Warum braucht es heute immer noch einen genderorientierten Präventionsansatz? Mittlerweile werden ja auch Männer in Yogakursen gesichtet.

Altgeld: Weil die Art, wie wir unseren Körper wahrnehmen, was wir bereit sind, dafür zu tun und welche Prioritäten wir setzen, immer noch sehr stark davon abhängig ist, welchem Geschlecht ich angehöre. Anders als Frauen bietet sich für viele Männer die Möglichkeit ihre Männlichkeit über gesundheitsriskante Verhaltensweisen zu inszenieren. Eine Frau, die beim Essen reinhaut oder viel Alkohol säuft, wird dadurch nicht als weiblicher wahrgenommen werden, aber die tief sitzenden Stereotypen machen eben aus einem Mann, der sich die Birne mit möglichst viel harten Alkoholika wegknallt, einen Mann, der „viel verträgt“, quasi ein kleiner männlicher Ritterschlag. Die wenigsten Präventionsangebote und -kampagnen sind bislang ernsthaft gendersensibel angelegt gewesen. Die größte deutsch Alkoholpräventionskampagne, in die jährlich fast 10 Millionen Euro fließen, heißt immer noch „Kenn Dein Limit“ und gibt unbeirrt Tipps zum Unmännlichsein. Das ist für männliche Jugendliche eher ein Anlass im Netz darüber zu spotten als auch nur ansatzweise ihr Verhalten zu hinterfragen. Die „One-fits-all-Strategie“ funktioniert eben nicht für beide Geschlechter gleichermaßen. Gender Mainstreaming müsste verpflichtend für alle Präventionsangebote als Qualitätsmerkmal festgeschrieben werden. Also vor gut gemeinten, aber zumeist schlecht gemachten Alibipräventionsansätzen regelhaft zu überprüfen, ob unterschiedliche Bedarfslagen für beide Geschlechter vorliegen und darauf entsprechende gendersensible Maßnahmen zu entwickeln. In Österreich und in der Schweiz gibt es bereits öffentliche Förderstränge, die genau das tun, in Deutschland leider nicht.


Wir wissen, dass Männer in Beziehungen länger leben, weil sie ein besseres soziales Netz haben und Vorsorgeuntersuchungen wahrnehmen. Wie kann Prävention diejenigen erreichen, die alleinstehend sind? Kann hier die Prävention im Betrieb mehr leisten?

Altgeld: Das mit den Vorsorgeuntersuchungen dabei ist leider nicht belegt. Es gibt auch gar keine Vorsorgeuntersuchungen, allein das Wort ist irreführend, weil es sich bei den Angeboten der gesetzlichen Krankenkassen um Früherkennungsprogramme handelt, die etwa Hautkrebs oder im Falle des Gesundheitscheckups auffällige Blutwerte früh erkennen und entsprechend behandlungsmäßig darauf reagieren können, klassische Sekundärpräventionsmaßnahmen also, die aber tatsächlich in Beziehungen häufiger in Anspruch genommen werden.

Aber auch in Bezug auf andere soziale Aspekte gibt es eine unglaubliche Heterogenität von Männlichkeiten. Ich finde zur Zeit Ansätze aus Neuseeland und der Schweiz am besten, die versuchen unter dem Kampagnenmotto #Menstarttalking oder in der Schweiz schlicht „Wie geht’s dir“ in Betrieben zu intervenieren, um eine andere Kommunikationskultur am Arbeitsplatz hinzukriegen und Männer zu motivieren, nicht alles mit sich alleine auszutragen und sich frühzeitig Rat und Hilfe zu organisieren. Ein Kampagnenmotiv aus der Schweiz zeigt dazu etwa Kollegen vor einer Lagerhalle im Gespräch und schreibt daneben: „Autos, Überstunden, Schlafstörungen“, um deutlich zu machen, dass es auf dem Arbeitsplatz auch immer um soziale Beziehungen geht, die hilfreich gestaltet werden können. Der Sozialdienst katholischer Männer in Deutschland wirbt mit dem Motto „Echte Männer reden“ aktuell. Ich glaube, wir brauchen andere (Vor-)Bilder von Männlichkeit und dazu können Betriebe auch einen entscheidenden Beitrag leisten. Ein wichtiges Feld wäre dabei auch die Väterfreundlichkeit von Betrieben, mit der Akzente für mehr Achtsamkeit und Fürsorglichkeit gesetzt werden können, die für Männer und ihre Familien unmittelbar gesundheitsförderlich wirken.

Psychische Fehlbelastungen und resultierende Erkrankungen werden heute breit diskutiert. Männer allerdings neigen stärker als Frauen zu Suchterkrankungen und riskantem Verhalten und haben eine viel höhere Suizidquote. Müssten wir nicht das Thema Angst viel stärker in den Diskurs nehmen? Rollenbilder und Lebensentwürfe reflektieren?

Altgeld: Psychische Gesundheit ist zwar ein echtes Trendthema geworden im letzten Jahrzehnt, aber unterm Strich wissen wir unter Genderaspekten viel zu wenig dazu. Die ganze Depressionsdiagnostik hat einen Genderbias, weil sie wahrscheinlich zuverlässig nur weibliche Depressionsdepressionssymptome abfragt und erkennt. Im den USA etwa wird das Thema der „Male Depression“ intensiv diskutiert, wahrscheinlich ist die männliche Depression viel aggressiver, reizbarer und suchtmittelaffiner als die weibliche. Solche gendersensible Gesundheitsforschung fehlt für fast alle psychiatrischen Erkrankungen. Das Thema Angst ist nur eines davon, aber auch die ganzen Suchtmittel oder Spielsucht wären wichtige Themenbereiche, über die wir unter Geschlechteraspekten zu wenig wissen, quasi nur nackte Zahlen, wenn es illegal wird, in Verschuldung endet oder in der Behandlung auftaucht. Lebensentwürfe, Rollenbilder und Geschlechterstereotype zu hinterfragen oder auf ihre Gesundheitsauswirkungen hin zu analysieren macht auf jeden Fall Sinn. Gerade Männer könnten davon gesundheitlich massiv profitieren, wenn sie nicht unrealistischen, zum Teil schon überholten Bildern von Männlichkeit hinterher hecheln würden.

Vielen Dank! 

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