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ArbG Weiden: Auf Baustellen herrschen rauere Umgangsformen als beispielweise in Banken – ein Symbolbild (Foto: Serhii / stock.adobe.com)
Kündigung von Arbeitsverhältnissen

ArbG Weiden: Sexuelle Belästigung, die als „Gaudi“ gedacht war, berechtigt zur ordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses

ESV-Redaktion Recht
13.04.2023
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist grundsätzlich ein Grund zur fristlosen Kündigung, meint das ArbG Weiden. Dass im Einzelfall auch nur eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt sein kann und was ein rauer Umgangston auf Baustellen damit zu tun hat, legt das Gericht in einem kürzlich veröffentlichen Urteil dar.
In dem Streitfall arbeitete der Kläger bei der Beklagten – die in der Regel mehr als 10 Mitarbeiter beschäftigt – seit Anfang 2018 als Maurer. Mit Schreiben vom 18.8.22 kündigte die Beklagte den streitgegenständlichen Arbeitsvertrag außerordentlich fristlos. Ihre Begründung: Der Kläger hatte am 9.8.2022 das Fahrzeug des Mitarbeiters M geöffnet. Anschließend habe er seine Hose aufgemacht, um in das Fahrzeug zu urinieren. Weil er sich dabei beobachtet gefühlt habe, brach er den Vorgang ab, so der Vortrag der Beklagten weiter.
 

Kläger: Kündigung unwirksam und sozial ungerechtfertigt

Gegen die Kündigung zog der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage vom 26.8.2022 vor das ArbG Weiden. Nach seinem Vortrag hatte er zwar tatsächlich die Tür geöffnet. Anschließend habe aber nur angedeutet, dass er seine Hose öffnen und in das Fahrzeug des M urinieren wollte. Gedacht war dies aber nur als Gaudi oder als einfach derber Spaß. Weder habe er seine Hose geöffnet noch hatte er vor, in das Fahrzeug zu urinieren. Zudem wäre es aufgrund der kurzen Zeit gar nicht möglich gewesen, die Hose aufzumachen und im Fahrzeug seine Notdurft zu verrichten. Auch auf dem Video, das die Beklagte vorlegte, sei zu sehen, dass die anderen Anwesenden den Vorgang als Spaß verstanden und ständig lachten. Deshalb sah der Kläger die Kündigung insgesamt als unwirksam und sozial nicht gerechtfertigt an.
 

Beklagte: respektloses und krasse Fehlverhalten des Klägers rechtfertigt fristlose Kündigung


Nach Meinung der Beklagten rechtfertigte das aus ihrer Sicht respektlose und krasse Fehlverhalten des Klägers eine fristlose Kündigung – und zwar ohne eine vorherige Abmahnung.

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ArbG Weiden: Im Ergebnis nur ordentliche Kündigung gerechtfertigt


Die Kündigungsschutzklage hatte vor dem ArbG nur zum Teil Erfolg. Das Gericht sah zwar die außerordentliche fristlose Kündigung als unwirksam an. Allerdings sah es in dem Verhalten des Klägers einen Anlass, der eine ordentlichen Kündigung zum 30.09.2022 rechtfertigt. Die wesentlichen Erwägungen des ArbG Weiden: 

Grund für außerordentliche Kündigung zwar prinzipiell gegeben

Dem ArbG Weiden zufolge wäre eine außerordentliche Kündigung prinzipiell gerechtfertigt gewesen, was das Gericht wie folgt begründete:
 
  • Handlung des Klägers ist sexuelle Belästigung: Zur Überzeugung des Gerichts stand fest, dass der Kläger vor seinen Kollegen seine Genitalien entblößt hatte und damit ganz bewusst die Innenseite der Fahrertür berührte. Hierbei kam es nicht drauf an, ob er hierfür die Hose ganz oder teilweise geöffnet oder teilweise heruntergezogen hatte. Die von den glaubwürdigen Zeugen geschilderte Handlung des Klägers war auch bei einem nur teilweisen Herunterziehen der Hose möglich. Weil der Kläger bewusst das Auto des M an der Innenverkleidung der Fahrertüre ekelerregend mit seinen Genitalien berührte und den M zudem als Schwein bezeichnete, lag dem Gericht zufolge im Prinzip ein Grund für eine fristlose Kündigung vor. In diesem Verhalten sah das Gericht ein grob respektloses und beleidigendes Verhalten gegenüber M, es zudem als sexuelle Belästigung der Kollegen im Sinne von § 3 IV AGG wertete.
  • Innere Haltung des Klägers unerheblich: Darauf, wie der Kläger selbst sein Verhalten empfand oder verstanden wissen wollte, kam es nicht an. Vielmehr liegt in dem Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung gleichzeitig ein Verstoß gegen die Verletzung der Würde der betroffenen Personen. Zudem habe der Arbeitgeber nach § 12 I und III AGG die Pflicht, Arbeitnehmer vor sexuellen Belästigungen zu schützen und mit angemessenen Maßnahmen zu reagieren, so das Gericht hierzu.

Aber – milderes Mittel möglich

Dennoch sah das Gericht nur eine ordentliche Kündigung als gerechtfertigt an. Diese Wertung folgt aus einer Gesamtbetrachtung aller Umstände.
 
  • Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis Ende der Frist zur ordentlichen Kündigung zumutbar: So wäre der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist als milderes Mittel und ausreichendes Mittel zumutbar gewesen. Insofern nahm das Gericht den Umstand, dass der Kläger nicht heimlich vorging und das Auto des M wohl nicht grob verunreinigen wollte, mit in seine Bewertung auf.
  • Rauer Umgangston in Baubranche: Demnach war die klägerische Aktion eher ein schlechter Scherz. Mit entscheidend war, dass das Gericht die anwesenden Mitarbeiter der Beklagten eher als „Männer der Tat“ sah. Diese arbeiteten in der Baubranche, in der ein rauerer Umgangston herrscht als etwa in einer Bank. Zwar führt dies nicht dazu, dass alle Herabwürdigungen ohne Folgen hinzunehmen sind. Dennoch wertete das ArbG Weiden dies als „mildernden Umstand“.
Quelle: Urteil des ArbG Weiden vom 13.03.2023 – 3 Ca 556/220


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