Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Theodor Storm und seinen Briefen an die Familie: Regina Fasold (Foto: Thomas Lorenzen)
Nachgefragt bei Dr. Regina Fasold

„Ausgesprochene Erzählbriefe, mit denen Storm den Eltern so lebendig wie möglich den Alltag der Familie in der ‚Fremde‘ und sein Berufs- und Künstlerleben schildern wollte“

ESV-Redaktion Philologie
24.08.2023
Der Briefwechsel Theodor Storms mit seinen Eltern zwischen 1852 und 1864 ist Gegenstand des neuesten Storm-Briefwechselbands. Zusammen mit den noch nie veröffentlichten Briefen von Constanze Storm, die den Schreiben ihres Mannes oft beilagen, und den ebenfalls noch unbekannten Gegenbriefen von Lucie Storm, der Mutter Storms, sowie einigen wenigen Schreiben von Storms Vater Johann Casimir gewähren die Briefe einen tiefen Einblick in ein biografisch wie literarisch bedeutsames Lebensjahrzehnt des Dichters.
Nach jahrelanger Forschungsarbeit hat Dr. Regina Fasold das gewaltige Editionsprojekt nun zu einem glücklichen Abschluss gebracht. Die Literaturwissenschaftlerin ist 2022 für ihre Verdienste um die Storm-Forschung mit dem Theodor-Storm-Preis der Stadt Husum ausgezeichnet worden. Wir haben mit ihr gesprochen.

Liebe Frau Fasold, der Briefwechsel von Theodor Storm und seiner Frau Constanze mit Storms Eltern Lucie und Johann Casimir Storm wird Anfang September in zwei Teilbänden erscheinen. Es ist großartig, dass diese Briefe nun in einer zuverlässigen Edition und zugleich ausführlich kommentiert vorliegen. Können Sie uns erzählen, wann Sie mit der Arbeit an der Edition begonnen haben und welche Steine Sie bei diesem langwierigen Unternehmen aus dem Weg räumen mussten?

Regina Fasold: Die Arbeit am Briefwechsel erfolgte mit großen Unterbrechungen und unterschiedlicher Intensität: Mit den Transkriptionen der Briefhandschriften habe ich bereits nach 2010 begonnen, mit der intensiven Arbeit am Kommentar dann aber erst ab 2018. Es war für mich von Anfang an ein Lieblingsprojekt, weil ich mich diesem Jahrzehnt in Storms Biografie bereits durch meine Museumsarbeit am Literaturmuseum „Theodor Storm“ in Heilbad Heiligenstadt besonders gewidmet hatte und ich sozusagen mitten in die Materie stand.

In welchem Umfang ist der Briefwechsel der Familie Storm erhalten und auf welchem Weg ist er uns bis heute bewahrt geblieben?

Regina Fasold: Die Handschriften der Familienbriefe befinden sich vor allem im Storm-Nachlass der Schleswig-Holsteinischen Landesbibliothek Kiel, Teile auch im Storm-Archiv Husum und in Privatbesitz. Viele Briefe sind über den großen Zeitraum von fast zwei Jahrhunderten hin natürlich verloren gegangen. Manches, wie z. B. die Briefe des Vaters an Theodor Storm, wurde jedoch wohl vernichtet, vielleicht bereits durch Gertrud Storm, die erste Herausgeberin der Briefe an die Eltern. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren.

Die Korrespondenz beginnt und endet mit dem über zehn Jahre andauernden Exil, das Theodor Storm fern von Husum in Potsdam und Heiligenstadt verbrachte. Welche Schwierigkeiten prägten diese Zeit für die Familie?

Regina Fasold: Die größten Schwierigkeiten erwuchsen der Familie daraus, dass Theodor Storm wohl unterschätzt hatte, dass seine Ausbildung als Jurist in Schleswig-Holstein den Anforderungen des modernen preußischen Justizsystems nicht entsprach. Und der Schnellkurs, den er in den ersten beiden Jahren in Potsdam erhielt, richtete ihn physisch und psychisch fast zu Grunde. Zudem bezog er in dieser Zeit kein Gehalt, nur unregelmäßige „Diäten“. Die Familie war in Potsdam finanziell gänzlich auf den Vater Johann Casimir Storm in Husum angewiesen, der sie auch noch in Heiligenstadt unterstützen musste, da das Richtergehalt für den Lebensunterhalt der Familie nie ausreichte. Dazu kam das große Heimweh von Theodor und Constanze Storm nach der „graue[n] Stadt am Meer“.

Auszug aus „Theodor Storm und seine Eltern“ 14.08.2023
Briefe aus dem Exil
Nachdem Theodor Storm sich immer wieder gegen die dänische Herrschaft in Schleswig-Holstein engagiert hatte, verweigern ihm die dänischen Behörden die Zulassung als Rechtsanwalt in Husum. Im Jahr 1853 geht er mit seiner Frau Constanze und den gemeinsamen Kindern ins Exil nach Preußen. mehr …

Theodor Storms Briefen liegen auch die seiner Frau Constanze bei. Wodurch unterscheiden sich die beiden Schreibenden voneinander? Wer erzählt vorrangig über welche Dinge?

Regina Fasold: Theodor Storms Briefe sind der bedeutendste Teil der Korrespondenz, vom Umfang, vom Inhalt und vom sprachlichen Ausdruck her. Viele sind ausgesprochene Erzählbriefe, mit denen er den Eltern so lebendig wie möglich den Alltag der Familie in der „Fremde“ und sein Berufs- und Künstlerleben schildern wollte. Sein Hauptadressat dabei ist der Vater. Constanze Storms Briefe ergänzen die ihres Mannes durch Mitteilungen über häusliche Angelegenheiten, über die Entwicklung der Kinder, über gesellschaftliche Ereignisse in Potsdam und Heiligenstadt. Oft quälte sie sich allerdings beim Schreiben, zumal in den beengten Wohnverhältnissen und bei der immer weiterwachsenden quirligen Kinderschar, die ihr kaum Zeit ließ für ein ruhiges Korrespondieren. Sie wendet sich brieflich fast ausschließlich an ihre Schwiegermutter, die ja auch ihre Tante war.

Inwiefern kommt das künstlerische Schaffen Storms in den Briefen zum Gespräch?

Regina Fasold: Theodor Storm rang zu diesem Zeitpunkt noch um seine künstlerische Anerkennung – gerade auch bei seinen Eltern. Er ließ sie teilhaben an der Entstehungsgeschichte seiner künstlerischen Arbeiten, informierte sie über Verlegerbeziehungen, Honorarverträge, Verkaufserfolge sowie über positive Kritiken in Literaturzeitschriften. Und er widmete z. B. die Erstausgabe von „Im Sonnenschein. Drei Sommergeschichten“ (Berlin: Duncker 1854) seiner Mutter. Besonders bei seinem Vater kämpfte er aber darum, als Persönlichkeit und Künstler wahrgenommen zu werden, und bat ihn deshalb geradezu inständig, dass er z. B. eines seiner persönlichsten Werke aus dieser Zeit einmal lesen möge, die Novelle „Im Schloß“ (Münster: Brunn 1863).

Jeder Brief ist aufwendig kommentiert und erläutert. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Regina Fasold: Ein Schwerpunkt der Kommentierung war die Kontextualisierung des edierten Briefgesprächs. Dies wurde vor allem durch eine Vielzahl bisher unveröffentlichter Briefe von und an Theodor Storm möglich. Es galt, den Inhalt des brieflich Mitgeteilten zu verifizieren bzw. zu konterkarieren und nicht zuletzt das Vater und Mutter aus verschiedenen Gründen Verschwiegene zu erläutern. Ziel dabei war es, die künstlerische Entwicklung in einem Lebensjahrzehnt, in dem Storm am Ende der literarische Durchbruch gelang und das nur in seinen Briefen an die Eltern so kontinuierlich zu verfolgen ist, von den Quellen her möglichst umfassend zu dokumentieren.

Sie haben bereits zuvor zwei Briefwechselbände von Theodor Storm im Erich Schmidt Verlag veröffentlicht: Zuerst den Briefwechsel mit seiner Braut Constanze Esmarch, der – ebenfalls zweibändig – 2002 erschienen ist, einige Jahre später dann, 2009, den Briefwechsel der Eheleute Theodor und Constanze Storm. Und nun dieses zweibändige Mammutwerk der Korrespondenz mit den Eltern. Gibt es noch unveröffentlichte Briefe von Theodor Storm, die in den Archiven der Edition harren, oder ist der Fundus ausgeschöpft?

Regina Fasold: Es gibt noch eine Reihe von unveröffentlichten Briefen, die im Storm-Nachlass der SHLB Kiel erhalten sind, vor allem aus dem Familienkreis. Hervorzuheben ist hier vor allem der umfangreiche und sehr interessante Briefwechsel Theodor Storms mit seinem ältesten Sohn Hans, der seit Kindheitstagen das „Sorgenkind“ seiner Eltern war. Vor allem die spätere Suchterkrankung von Hans (Alkoholismus), durch die er immer wieder seine Anstellungen als Arzt verlor und die wohl schließlich auch zu seinem frühen Tod 1886 führte, bereitete dem Vater schweres Leid. Und seine, auch in den Briefen unternommenen, letztlich vergeblichen Versuche, den Ältesten „zu halten“, erschüttern heute noch.

Wir danken Ihnen für dieses interessante Interview, liebe Frau Fasold, und wünschen Ihnen für Ihr weiteres Schaffen viel Erfolg!

Zur Herausgeberin
Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Regina Fasold nahm 2022 den von der Stadt Husum verliehenen Theodor-Storm-Preis entgegen, mit dem ihre langjährigen Beiträge zur Storm-Forschung ausgezeichnet wurden – insbesondere ihre editorischen Leistungen in der Veröffentlichung der 2002 und 2009 im Erich Schmidt Verlag erschienenen Briefwechsel zwischen Theodor und Constanze Storm. 15 Jahre lang war sie als Leiterin des Literaturmuseums „Theodor Storm“ in Heiligenstadt tätig.

Theodor Storm und seine Eltern
Herausgegeben von Regina Fasold


Die erstmals vollständig vorgelegten Briefe, die Theodor Storm zwischen 1852/53 und 1864 aus dem Exil in Preußen, aus Potsdam und Heiligenstadt, an die in Husum im Familienhaus zurückgebliebenen Eltern richtete, gehören zu den erzählerisch schönsten, die wir von dem Dichter kennen. Zusammen mit den noch nie veröffentlichten Briefen von Constanze Storm, die den Schreiben ihres Mannes oft beilagen, und den gleichfalls noch unbekannten Gegenbriefen von Lucie Storm – die Briefe von Johann Casimir Storm sind bis auf wenige leider nicht erhalten –, gewähren sie einen tiefen Einblick in ein wichtiges Lebensjahrzehnt des Dichters. In diesen Jahren, in denen er im preußischen Justizdienst die beruflich schwierigste und körperlich aufreibendste Zeit durchlitt, gelang ihm gleichwohl der literarische Durchbruch und der Aufstieg zu einem überregional anerkannten Autor.
Die Briefe Theodor Storms umfassen inhaltlich das gesamte Spektrum seiner beruflichen, familiären und künstlerischen Existenz: Man liest zutiefst Privates, aber auch hoch Politisches.
Der Band versammelt ein vielstimmiges Briefgespräch. Die Briefe der Frauen, von Constanze Storm und Lucie Storm, waren als Ergänzungen zu den Mitteilungen ihrer Ehemänner gedacht. Sie gewinnen aber oft völlige Eigenständigkeit und sind von kulturhistorisch besonderem Wert, da sie einen Blick in die Alltagskultur der kleinstädtisch-bürgerlichen Mittelschicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts erlauben.



Programmbereich: Germanistik und Komparatistik