Theodor Storm an Johann Casimir und Lucie Storm, Potsdam, 6.–10. Juni 1854 (Foto: © Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel)
Nun liegt die erhaltene Korrespondenz mit dem Elternhaus in Husum erstmals vollständig vor: den Briefen Theodors liegen auch immer die seiner Frau Constanze bei, die, gemeinsam mit denen ihrer Schwiegermutter Lucie, einen besonders tiefgreifenden Blick in den Alltag der Mittelschicht des mittleren 19. Jahrhunderts bieten.
Dieses Lebensjahrzehnt Theodor Storms, verbracht zunächst als Gerichtsassessor in Potsdam und dann als Kreisrichter in Heiligenstadt, ist geprägt von Gegensätzen. Große körperliche Belastung, persönliche Schicksalsschläge und ein angespanntes Verhältnis zum preußischen Umfeld werden begleitet von literarischen Durchbrüchen und dem Ausbau seiner schriftstellerischen Karriere.
Erst mit der dänischen Niederlage im Deutsch-Dänischen Krieg 1864 kehren die Storms zurück in die Heimat.
Lesen Sie im Folgenden einen Auszug aus dem neu im Erich Schmidt Verlag erscheinenden
Band „Theodor Storm und seine Eltern“. Darin finden Sie die erstmals vollständig veröffentlichten Briefe Theodor und Constanze Storms an die in Husum zurückgebliebenen Eltern Lucie und Johann Casimir Storm:
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161. Theodor Storm an Johann Casimir und Lucie Storm,
Heiligenstadt, Montag, 8. Februar 1864
Liebe Eltern,
die Räthsel mehren sich; aber die Hoffnung nicht. Gestern Abend kam die Depesche von dem Aufgeben der Dannewirkstellung dänischer Seits unter Zurücklassung von einer Menge Geschützen. Ich gestehe, daß uns das mehr erschreckte, als erfreute; denn würden die Dänen eine so feste Stellung ohne Weiteres aufgegeben haben, wenn sie wirklich fürchten müßten, dadurch Schleswig zu verlieren? Diese unklare Politik, die eine Beleidigung der Nation ist, liegt wie ein Druck auf allen Gemüthern; die Leute geben das Blut ihrer Kinder hin und wissen nicht wofür; es werden Gefechte geliefert, Vortheile errungen, und der ganze Eindruck, den das hervorruft ist, daß man immer weiter in’s Rathen hineingeräth.
An ein selbstständiges Schleswig-Holstein scheint man kaum zu denken. – Wenn aber doch, – dann möchte ich heim; Alles hier im Hause träumt und denkt schon gar nichts Andres. So gering meine Hoffnung auch ist, so kann doch immerhin und zwar plötzlich die Möglichkeit der Heimkehr gegeben sein. Und da gilt es den rechten Augenblick nicht zu versäumen – wenn er nicht schon versäumt ist. Ich denke aber doch wohl, man wird mich nicht vor die Thür werfen. Sei doch so gut, lieber Vater, mir Deine Gedanken und Rathschläge darüber mitzutheilen. Gehe ich näher auf die Sache ein, so frage ich mich, als was könntest und möchtest du zu Hause wieder eintreten, als Advokat, als Beamter? Und reichten deine Kräfte, um dich – wenn du es erreichen könntest – dich in die dir bis jetzt unbekannten Geschäfte eines Landvogts oder Bürgermeisters od. dgl. hinein zu setzen? Doch würde das am Ende schon gehen. Eine amtlich so angenehme Stellung wie die meinige hier, ist zu Hause nicht für mich zu finden; es müßten denn schon eine Portion Justitiariate sein.
Ich habe große Lust, nach dem Schwurgericht, heute über 14 Tage, einmal nach Kiel zu gehen. Doch wer weiß, wie dann die Ereignisse liegen. Solltet Ihr meine Gegenwart zu irgend einer Zeit für ersprießlich halten, so vergeßt nicht, daß wir Telegraphen haben.
Hoffentlich bist Du, lieber Vater, wieder wohl, und die Aufregung dieser Tage wird Dir nicht zu sehr geschadet haben. Laß uns doch, bitte, sogleich durch Dich oder Mutter oder Tine – die könnte uns wohl einmal ausführlich über diese Tage schreiben – Nachricht zukommen. Zweierlei, Hoffnung der Heimkehr und Haß gegen die deutsche Feudalpartei hält jetzt mein Herz in beständiger Schwingung.
[…]
162. Johann Casimir Storm an Theodor Storm,
Husum, Dienstag, 9. Februar 1864
Lieber Sohn,
Die Dänen sind nach Alsen u Jütland nach vielen Gefechten etc. verjagt. Das Herzogthum also bis auf Alsen frei.
Hier ist nichts vorgefallen – wir haben kein Militär – keine Beamte! Heute haben Eiderstedter- u Husumer Eingeseßne ihre Beamten gewählt – und Dich als Landvogt erwählt. Du wirst per Telephe dieß erfahren. Den Rathmann Thomsen in Oldensworth zum Oberstaller u Amtmann, ist auch schon auf dem Schlosse.
Dieß ist also aus dem Volke ohne weitere Authorisation u wenn man will aus Nothwendigkeit, da keine Beamte dahier sind, geschehen. Civilcommissare von Preußen u Osterreich sind nicht hier, auch kein Militär! – Rathen kann ich nicht – weiß auch nicht, ob Du Urlaub erhalten kannst, um die Sache anzusehen.
Ich habe nur den Zusammenhang zur bessern Beurtheilung mittheilen wollen.
Wir sind sonst von Kriegsunglück aller Art verschont geblieben.
Gott führe Alles zum Besten
Herzlich Dein Vater
Storm
H. 9 Febr 1864
163. Johann Casimir Storm an Theodor Storm,
Husum, Mittwoch, 10. Februar 1864
Die Sorge um Dich, mein theurer Sohn, hat mir eine schlaflose Nacht gemacht. Ich habe
Dir gestern die thatsächlichen Verhältnisse mitgetheilt, wie Du einfach von den Eingeseßnen des Amts erwählt bist, und der Wahl irgendwie keine andere Authorisation zum Grunde liegt. Ich hoffe daß dieser Brief Dich so rechtzeitig erreicht hat, ehe Du einen Entschluß gefaßt. Rathen kann ich nicht, weil wir seit dem 28 Januar ohne Zeitungen sind, ich also nicht weiß, wie Alle hier, wie es in der Welt steht. Wrangel hat gestern eine Proclamation erlassen, worin er befiehlt, daß alle Beamten bis weiters bestätigt fortfungiren sollen, daß jede Demonstration in Belange des Herzogs von A. verboten, im Preußischen Herr v. Seidlitz Civilcommißär sei, u mit einem noch zu ernennenden Osterreicher die Verwaltung des Herzogthums übernehmen sollen.
Wenn auf der Welt es möglich wäre, daß Du Urlaub erhalten, u Deine Stelle offen halten könntest, so wär mir Deine Anherkunft sehr angenehm, und Du könntest dann Alles besser überlegen lassen, beurtheilen, u mit den Civilcommissairen besprechen. So aufs Geradewohl hin Deine dortige Stelle aufzugeben, scheint mir bei der Ungewißheit der Dinge, wie sie enden werden, doch sehr bedenklich. Ueberlege Alles, u übereile Dich nicht. Geld zur Reise, wenn Du diese ohne Gefahr antreten kannst, wirst Du wohl dorten vorläufig erlangen, ich würde Dir es erstatten.
Ich habe dir gestern nicht gesagt, daß Friedrichstadt dies mal nicht angegriffen worden, die Dänischen sind über die Schlei gegangen.
Adv. Godburgsen in Rendsburg, der heute bei uns mit Herrn Valentiner, hat die ihm in Schleswig u hier angebotene Bürgermeister Stelle nicht angenommen, will in Rendsburg bleiben. Nun ist sie Stuhr, Amtssecretair, angeboten, u hat indessen sie mit Zustimmung des H v Zetelitz angenommen.
So viel denn für heute – unter Civilisten ist die Postverbindung<,> sagte uns gestern H v Insterstedt, nach dem Süden für Briefe offen – Zeitungen haben wir noch immer nicht. Mutter ist leidlich wohl.
Dein
JSt
H. 10 Febr. 4 Uhr Nachm.
Die Dänen haben nichts vom Herzogthume Schleswig, die Preußen östlich von Flensburg, also nur guter Stund vor den Düppeler-Schanzen u Alsen; im Grunde müssen wir nun Allem ernst entgegen sehen.
164. Theodor Storm an Johann Casimir Storm,
Heiligenstadt, Freitag, 11. März 1864
Mein lieber Vater
Von allen Seiten erhalte ich Briefe voll lebhafter Zustimmung über den Schritt den ich gethan; insonders schreibt mir meine treffliche Freundin Clara vGoßler aus Berlin: „Auch mein Schwager (der Cultusminister vMühler) dem ich die Sache erzählte – Sie können denken, nicht ohne liebenswürdige Schärfe gegen seinen edlen Collegen – meinte, als Privatmann befragt, würde er entschieden zur Annahme der Stelle rathen und sehe er kein besondres Risico darin.“ Das ist mir doch recht angenehm zu erfahren gewesen.
Diese letzten Tage sind höchst aufreibend für mich gewesen, nicht allein wegen des, was ich Alles zu beschaffen hatte, sondern auch wegen aller Liebe, die man mir hier noch entgegenbringt; mein Herz ist in der That ganz zerrissen bei dem Abschied von hier, mir ist als schiede ich von einer zweiten Heimath; Ihr könnt es Euch gar nicht vorstellen, mit welchem Enthusiasmus, ich kann wohl sagen, welcher Verehrung die Menschen aus den verschiedensten Schichten der Gesellschaft an mir hängen, und wie hoch und wie lieb Constanze gehalten wird. Gestern Abend hielten wir noch das Concert „Die Zerstörung Jerusalems“, worauf wir fünf Viertel Jahr geübt haben, und als ich zuletzt den vollen prächtigen Chor von über fünfzig Sängern den ich gestiftet, dirigirte, als so Aller Blicke an meinem Stäbchen hingen und die Tonwellen nun zum letzten Mal aus begeisterter
Menschenbrust brausend hervorströmten, da mußte ich mein Herz in beide Hände fassen, um nicht in Thränen auszubrechen. Auch ich sang noch und sang aus meinem bewegtem Herzen und mit mächtiger Stimme die schöne Arie: „Du wirst ja dran gedenken denn meine Seele sagt es mir.“
Es war eine lautlose Stille. So, nachdem eben der volle Chor aus gebraust, zu singen und so gehört zu werden, ist eins’ der glückseligsten Momente des Menschenlebens. – Es war für mich zum letzten Mal.
Heut Abend ist noch große Feierlichkeit für mich.
Dienstag treffe ich mit Hans in Husum ein. Meine Gesundheit verlangt es durchaus, daß ich Sonntag u. Montag, auf neutralen Boden, d. h. in Scherffs stillem Hause ausruhe. Was hilft’s, wenn ich einen Tag früher komme und dann auf Wochen krank werde. Denn ich bin fast am Rande meiner Kräfte. Nach Kiel gehe ich also jetzt nicht.
Mutter soll ruhig sein; denn ich habe recht gehandelt; ein Andres hätte mir nicht geziemt.
Euer
Theodor.
Eben erhalte ich Deinen ausführlichen Brief. Dank dafür!
Sollten Sie Lust bekommen haben, mehr aus dem Briefwechsel zu lesen, bestellen Sie das Buch gerne hier.
Zur Herausgeberin |
Die Literaturwissenschaftlerin Dr. Regina Fasold nahm 2022 den von der Stadt Husum verliehenen Theodor-Storm-Preis entgegen, mit dem ihre langjährigen Beiträge zur Storm-Forschung ausgezeichnet wurden – insbesondere ihre editorischen Leistungen in der Veröffentlichung der 2002 und 2009 im Erich Schmidt Verlag erschienenen Briefwechsel zwischen Theodor und Constanze Storm. 15 Jahre lang war sie als Leiterin des Literaturmuseums „Theodor Storm“ in Heiligenstadt tätig. |
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Theodor Storm und seine Eltern Herausgegeben von Regina Fasold
Die erstmals vollständig vorgelegten Briefe, die Theodor Storm zwischen 1852/53 und 1864 aus dem Exil in Preußen, aus Potsdam und Heiligenstadt, an die in Husum im Familienhaus zurückgebliebenen Eltern richtete, gehören zu den erzählerisch schönsten, die wir von dem Dichter kennen. Zusammen mit den noch nie veröffentlichten Briefen von Constanze Storm, die den Schreiben ihres Mannes oft beilagen, und den gleichfalls noch unbekannten Gegenbriefen von Lucie Storm – die Briefe von Johann Casimir Storm sind bis auf wenige leider nicht erhalten –, gewähren sie einen tiefen Einblick in ein wichtiges Lebensjahrzehnt des Dichters. In diesen Jahren, in denen er im preußischen Justizdienst die beruflich schwierigste und körperlich aufreibendste Zeit durchlitt, gelang ihm gleichwohl der literarische Durchbruch und der Aufstieg zu einem überregional anerkannten Autor. Die Briefe Theodor Storms umfassen inhaltlich das gesamte Spektrum seiner beruflichen, familiären und künstlerischen Existenz: Man liest zutiefst Privates, aber auch hoch Politisches. Der Band versammelt ein vielstimmiges Briefgespräch. Die Briefe der Frauen, von Constanze Storm und Lucie Storm, waren als Ergänzungen zu den Mitteilungen ihrer Ehemänner gedacht. Sie gewinnen aber oft völlige Eigenständigkeit und sind von kulturhistorisch besonderem Wert, da sie einen Blick in die Alltagskultur der kleinstädtisch-bürgerlichen Mittelschicht in der Mitte des 19. Jahrhunderts erlauben.
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