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Die Verletzung von Normen zugunsten schwerbehinderter Bewerber kann Entschädigungen nach dem AGG auslösen (Foto: Gasspoll / stock.adobe.com)
Darlegungslast im Entschädigungsverfahren

BAG: Was schwerbehinderte Bewerber im Prozess um Entschädigung wegen Benachteiligung darlegen müssen

ESV-Redaktion Recht
22.09.2023
Zur Frage, was schwerbehinderte Bewerber, die sich bei einer Bewerbung benachteiligt fühlen, in einem gerichtlichen Entschädigungsprozess darlegen bzw. vortragen müssen, hat sich das BAG in einer kürzlich veröffentlichten Entscheidung geäußert.
In dem Streitfall hatte sich der Kläger – als Absolvent eines Studiums der Wirtschaftswissenschaften – auf eine Stelle als „Scrum Master Energy (m/w/d)“ beworben, die die Beklagte im Internet ausgeschrieben hatte. Dabei wies der Kläger auch auf seine Schwerbehinderung hin. Da die Beklagte dem Kläger absagte, beanspruchte er gegenüber der Beklagten eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
 
Die Beklagte wies diesen Anspruch des Klägers schriftlich zurück. Deshalb bat der Kläger die Beklagte um einen Nachweis, dass sie in Bezug auf ihre Auswahlkriterien sämtliche Bewerber gleichbehandelt hatte. Dieses Schreiben ließ die Klägerin unbeantwortet.
 

Kläger: Entschädigung von 10.000 EUR wegen Benachteiligung angemessen

Daraufhin verklagte der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung von 10.000 EUR und stützte seinen Anspruch auf § 15 Abs. 2 AGG. Er war der Auffassung, dass die Beklagte ihn wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat. Vor allem habe die Beklagte die Pflicht aus § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX, nach der der Betriebsrat unmittelbar nach Eingang der Bewerbung zu unterrichten ist, verletzt. Für den Vortrag des Klägers reiche es aus, dass er Verstöße der Beklagten gegen Vorschriften rügt, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten. Jedenfalls wäre ein solcher Vortrag keine Behauptung „ins Blaue hinein“.
 

Beklagte: Klager benennt keine greifbaren Anknüpfungstatsachen 

Nach Meinung der Beklagten hatte der Kläger schon keine Indizien im Sinne von § 22 AGG dargelegt, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Der Vortrag von Vermutungen reiche nur dann aus, wenn der Kläger greifbare Anknüpfungstatsachen darlegt. Hieran fehle es beim Klägervortrag, denn dieser beinhalte nur unbeachtliche Behauptungen „ins Blaue hinein“.
 
Unabhängig hiervon wäre eine Vermutung der Benachteiligung schon deswegen widerlegt, weil der Kläger mehrere unverzichtbare Voraussetzungen, die die Stellenausschreibung benannt hat, nicht erfüllt. Zum Beispiel fehle es ihm an einem in der Stellenausschreibung geforderten Studienabschlüsse. Dort waren Abschlüsse in einem der Studiengänge Wirtschafts-Informatik, Wirtschafts-Mathematik oder in einer vergleichbaren Fachrichtung gefordert. Ebenso wenig könne der Kläger die geforderten guten Kenntnisse von Software-Architekturen nachweisen und auch die insoweit vom Kläger angegebene Scrum Zertifizierung entspreche nicht den Anforderungen der Stellenausschreibung.
 
Darüber hinaus wäre zu vermuten, dass er sich nur deshalb auf die Stelle beworben hat, um sich als Reaktion auf die zu erwartende Absage auf Entschädigungstatbestände zu berufen. So habe der Kläger in mehreren parallel geführten Verfahren Entschädigungsansprüche wegen vorgeblich diskriminierender Stellenabsagen geltend gemacht. Zu diesem Thema wären auch die professionellen Geltendmachungsschreiben mit nahezu identischem Wortlaut relevant.

Da der Kläger in den Vorinstanzen keinen Erfolg mit seiner Klage hatte, zog er mit einer Revision vor das BAG.

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BAG: Kläger wurde unmittelbar benachteiligt

Das BAG hob die Entscheidung des Berufungsgerichts teilweise auf. Es sah aber im Ergebnis aber nur einen begründeten Entschädigungsanspruch in Höhe von 7.500 EUR. Die wesentlichen Erwägungsgründe des Senats:
 
  • Verletzung von Pflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen: Nach Auffassung des BAG erfüllt ein schwerbehinderter Bewerber seine Darlegungslast für die Benachteiligung grundsätzlich schon dann, wenn er Verletzungen des Arbeitgebers gegen Regelungen rügt, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen beinhalten.
  • Vermutung einer Verletzung: Ein Verstoß des potenziellen Arbeitgebers gegen solche Pflichten begründet grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der schweren Behinderung. Solche Pflichtverletzungen können prinzipiell den Anschein erwecken, dass der Arbeitgeber an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert ist.
  • Keine Darlegung konkreter sachlicher Anhaltspunkte erforderlich: Hierbei muss der Kläger in der Regel keine konkreten sachlichen Anhaltspunkte darlegen. Dies gilt auch und insbesondere für die Rüge, nach der der Betriebsrat nicht nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX über die Bewerbung unterrichtet wurde. Der Grund: Hierbei handelt es sich um tatsächliche Verhältnisse, die zur Sphäre des Arbeitgebers gehören, in die ein außenstehender Bewerber regelmäßig keinen Einblick hat und sich einen solchen auch nicht zumutbar verschaffen kann. Also musste der Kläger – entgegen der Auffassung Beklagten – den damaligen Betriebsratsvorsitzenden, dessen Name dem Kläger bekannt war, nicht entsprechend kontaktieren. Es ist dem Senat zufolge schon nicht zu erkennen, aus welcher Rechtsgrundlage der Betriebsrat verpflichtet sein soll, externe Bewerber über derartige interne Vorgänge zu informieren.
  • Unmittelbare Benachteiligung des Klägers: Nach den benannten Grundsätzen hat der Kläger auch eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung i.S.v.  § 3 Abs. 1 AGG erfahren – denn die Beklagte hat den bei ihr eingerichteten Betriebsrat nicht nach unmittelbar nach den Vorgaben von § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX über die Bewerbung des Klägers unterrichtet. Dies berechtigt zur der Vermutung, nach der die Schwerbehinderung des Klägers kausal für dessen Benachteiligung war. Diese Kausalitätsvermutung hat die Beklagte nicht widerlegt.
  • Gegenvortrag der Beklagten unzureichend: Zudem die Beklagte den Nachweis erbringen müssen, den Kläger nicht diskriminiert zu haben – und zwar im Sinne eines Vollbeweises. Der Vortrag der Beklagten, wonach der Kläger einige Anforderungen der Stellenausschreibung nicht erfüllt, reicht hierfür offensichtlich nicht aus, so der Senat weiter.  
  • Kein Rechtsmissbrauch: Aus den „professionellen Geltendmachungsschreiben“ ist nicht zu schließen, dass der Kläger rechtsmissbräuchlich gehhandelt hat. Dies lässt sich so erklären, dass er sich bei Verstößen gegen Vorgaben des AGG diskriminiert sieht und mit einer Entschädigungsklage zulässigerweise seine Rechte wahrnimmt.
Die Höhe des Entschädigungsanspruchs bezifferte das BAG aber nur mit dem Faktor 1,5 für zwei auf der Steller erzielbare Monatsgehälter. Diesen Faktor hatte der Kläger mit dem Faktor 2 angesetzt.

Quelle: Urteil des BAG vom 14.6.2023 – 8 AZR 136/22


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(ESV/bp)

Programmbereich: Arbeitsrecht