
BAG zur Diskriminierung wegen Behinderung sowie zum Ende des Auswahlverfahrens bei einer Bewerbung
Die Beklagte entschied sich allerdings für einen anderen Bewerber. Der zuständige Divisionsleiter hatte bereits am 24.08.2021 um 11:09 Uhr per E-Mail der Einstellung des Mitbewerbers zugestimmt. Noch am selben Tag, um 15:39 Uhr, sendete er dem Mitbewerber einen Entwurf des Arbeitsvertrags zu, dessen Zugang dieser um 16:01 Uhr bestätigte. Am 26.08.2021 um 10:03 Uhr erklärte der Mitbewerber per E-Mail dann seine Zustimmung zum Vertrag. Der von beiden Seiten unterzeichnete schriftliche Arbeitsvertrag lag der Beklagten frühestens am 03.09.2021 vor.
Die ausgeschriebene Stelle war bis zu diesem Tag noch online und am selben Tag teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie dessen Bewerbung nicht berücksichtigen könne.
Kläger fordert Entschädigung von mindestens 8.752,50 EUR
Im Anschluss hieran machte der Kläger eine Entschädigung geltend. Nach seiner Auffassung ist die Beklagte zur Zahlung einer Entschädigung von mindestens 8.752,50 EUR verpflichtet – und zwar auf Basis eines Monatseinkommens von 5.835,00 EUR brutto, das der Stelle entsprechen soll.
Seine Begründung: Die Beklagte habe ihn aufgrund seiner Schwerbehinderung im Auswahlverfahren diskriminiert. Ein Anzeichen hierfür sei, dass die Beklagte schon keine Verbindung mit der Agentur für Arbeit aufgenommen habe, wozu sie nach § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX verpflichtet gewesen wäre. Die Beklagte habe der Agentur auch keinen Vermittlungsauftrag erteilt. Die automatisierte Einstellung der Suchanzeige in die Jobbörse der Agentur reiche hierfür nicht aus.
Beklagte: Auswahlverfahren war zurzeit der Bewerbung bereits beendet
Demgegenüber wies die Beklagte darauf hin, dass ihr entscheidungsbefugter Mitarbeiter die Einstellung des Mitbewerbers am 24.08.2021 schon um 11:09 Uhr per E-Mail – also noch vor Eingang der Bewerbung des Klägers – genehmigt habe. Nachdem eine Klage in den Vorinstanzen ohne Erfolg blieb, landete die Sache vor dem BAG.
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BAG: Über die Besetzung der Stelle war zum Zeitpunkt der Bewerbung schon entschieden
Nach Auffassung des Achten Senats des BAG waren die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (siehe auch unten) nicht erfüllt. Die wesentlichen Erwägungen des Senats:
- Diskriminierung vermutet: Zwar hatte die Beklagte gegen § 164 Abs. 1 Satz 2 SGB IX (siehe unten) verstoßen, sodass eine Diskriminierung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung nach § 22 AGG (siehe unten) zu vermuten war.
- Vermutung widerlegt: Die Beklagte hat diese Vermutung allerdings widerlegt. Sie hat insoweit substantiiert vorgetragen, dass das Auswahlverfahren bereits abgeschlossen war, bevor die Bewerbung des Klägers bei ihr einging. Der verantwortliche Mitarbeiter der Beklagten hatte bereits am 24.08.2021 um 11:09 Uhr über die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle entschieden, während die Bewerbung des Klägers an diesem Tag erst um 12:30 Uhr bei der Beklagten einging.
- Zum Ende des Auswahlverfahrens: Nach Auffassung des Senats war das Auswahlverfahren bereits zu dem Zeitpunkt beendet, als der zuständige Mitarbeiter der Beklagten seine abschließende Einstellungsentscheidung zugunsten des Mitbewerbers getroffen hatte. Mit der Übersendung und der Rücksendung des schriftlichen Arbeitsvertrags wollte die Beklagte lediglich ihre bereits getroffene Einstellungsentscheidung formal umsetzen. Dies hatten der verantwortliche Divisionsleiter der Beklagten, deren Personalleiterin sowie eine weitere Mitarbeiterin in der Beweisaufnahme, die die Berufungsinstanz durchgeführt hatte, bestätigt. Die entsprechende Beweiswürdigung der Vorinstanz beanstandete der Senat nicht.
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Im Wortlaut: § 164 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 3 SGB IX – Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen |
(1) 1 Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. 2 Sie nehmen frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf. 3 Die Bundesagentur für Arbeit oder ein Integrationsfachdienst schlägt den Arbeitgebern geeignete schwerbehinderte Menschen vor. § 15 Abs. 2 AGG (2) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann der oder die Beschäftigte eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. § 22 AGG - Beweislast Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. |
(ESV/bp)
Programmbereich: Arbeitsrecht