Das BAG sieht keine Anrechnung eines fiktiven Verdienstes bei Freistellung nach Kündigung eines Arbeitsverhältnisses (Bild: MQ-Illustrations / stock.adobe.com)
Freistellung bei Kündigung eines Arbeitsverhältnisses
BAG zur Pflicht des Arbeitnehmers nach Kündigung durch den Arbeitgeber trotz Freistellung vor Ende des Arbeitsverhältnisses einen neuen Job anzutreten
ESV-Redaktion Recht
13.02.2025
Wenn der Arbeitgeber einen Arbeitsvertrag ordentlich kündigt, hat er die Möglichkeit, den betreffenden Arbeitnehmer während der restlichen Vertragslaufzeit von dessen Arbeitspflicht freizustellen. Muss der Arbeitnehmer in diesem Fall aber schon vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zur Entlastung des Arbeitgebers eine andere Stelle antreten? Diese Frage hat das BAG aktuell entschieden.
In dem Streitfall war der Kläger seit November 2019 bei der Beklagten zuletzt als Senior Consultant beschäftigt. Seine Vergütung betrug monatlich 6.440,00 EUR brutto.
Mit Schreiben vom 29.03.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.06.2023. Dabei stellte sie den Kläger unter Anrechnung des Resturlaubs unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung frei. Gegen die Kündigung wendete sich der Kläger mit einer Kündigungsschutzklage, der das Arbeitsgericht am 29.06.2024 stattgab. Die von der Beklagten hiergegen eingelegte Berufung blieb erfolglos.
Nachdem der Kläger die Kündigung erhalten hatte, meldete er sich Anfang April 2023 arbeitssuchend und die Agentur für Arbeit übermittelte ihm erstmals Anfang Juli Vermittlungsvorschläge.
Allerdings übersendete ihm auch die Beklagte im Mai und Juni 2023 insgesamt 43 Stellenangebote, die sie Jobportalen oder Online-Stellenanzeigen von Unternehmen entnommen hatte. Nach Einschätzung der Beklagten wären diese Angebote für den Kläger infrage gekommen. Ende Juni bewarb sich der Kläger dann auf sieben dieser Stellenanzeigen.
Im Juni 2023 stellte die Beklagte dann die Gehaltszahlung ein, sodass der Kläger die Juni-Vergütung von 6.440,00 EUR brutto einklagte. Nach Auffassung der Beklagten war der Kläger aber dazu verpflichtet, sich während der Freistellung zeitnah auf die von der Beklagten übersendeten Stellenangebote zu bewerben. Dies habe er unterlassen. Die Folge: Für Juni 2023 müsse sich der Kläger einen fiktiven anderweitigen Verdienst anrechnen lassen. Die Höhe der Anrechnung, so die Beklagte weiter, entspreche seinem bisherigen Gehalt. Diese Rechtsfolge leitete die Beklagte aus § 615 Satz 2 BGB ab.
Eine Zahlungsklage des Arbeitnehmers hatte in der ersten Instanz keinen Erfolg. Weil die Berufungsinstanz – das LAG Baden-Württemberg – aber der Auffassung des Klägers folgte, zog die Beklagte mit einer Revision vor das BAG.
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BAG: Keine fiktive Anrechnung eines nicht erworbenen Verdienstes
Die Revision blieb vor dem Fünften Senat des BAG erfolglos. Demnach befand sich die Beklagte aufgrund ihrer einseitig erklärten Freistellung des Klägers während der Kündigungsfrist im Annahmeverzug. Die wesentlichen weiteren Erwägungen des Senats:
- Zahlungsanspruch: Der Vergütungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte ergibt sich aus § 615 Satz 1 BGB in Verbindung mit § 611a Absatz 2 BGB. Demnach schuldet die Beklagte dem Kläger die vereinbarte Vergütung für die gesamte Dauer der Kündigungsfrist.
- Fiktive Anrechnung eines nicht erworbenen Verdienstes ausgeschlossen: Der Kläger muss sich einen etwaigen unterbliebenen anderweitigen Verdienst aber nicht nach § 615 Satz 2 BGB anrechnen lassen. Eine Anrechnung wäre dem Senat zufolge nur dann gerechtfertigt, wenn die Untätigkeit des Klägers gegen den Grundsatz von Treu und Glauben im Sinne von § 242 BGB verstoßen hätte. Dies leitet der Senat aus § 615 Satz 2 BGB ab, der eine Billigkeitsregelung enthält.
- Keine isolierte Bewertung der Arbeitnehmerpflichten von den Pflichten des Arbeitgebers: Daraus folgt nach Senatsauffassung, dass eine Pflicht des Arbeitnehmers zu einem anderweitigen Erwerb nicht isoliert von den Pflichten des Arbeitgebers betrachtet werden kann. In diesem Zusammenhang hätte die Beklagte darlegen müssen, dass ihr die Erfüllung ihrer Pflichten während der Kündigungsfrist unzumutbar gewesen wäre. Der Kläger hatte aufgrund der einseitigen und unwiderruflichen Freistellung – die die Beklagte in den Annahmeverzug setzte – schon nicht die Pflicht, bereits vor Ablauf der Kündigungsfrist ein anderweitiges Beschäftigungsverhältnis einzugehen, um die Beklagte zu entlasten.
Quelle: PM des BAG 12.02.2025 zum Urteil vom selben Tag – 5 AZR 127/24
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