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Keine Aufhebung oder Rückabwicklung bereits vor dem 19.03.2020 ergriffener Vollstreckungsmaßnahmen (Foto: blende11.photo/stock.adobe.com)
Abgabenordnung

BFH zur coronabedingten Aufhebung von bereits vor dem 19.03.2020 erfolgten Vollstreckungsmaßnahmen

ESV-Redaktion Steuern
07.09.2020
Das BMF hat zur Vermeidung unbilliger Härten mit Schreiben vom 19.03.2020 festgelegt, dass unter bestimmten Voraussetzungen bis zum Jahresende 2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden soll. Ob diese Anweisung der Verwaltung auch bereits zuvor ergriffene Maßnahmen erfasst, darüber hat der BFH aktuell in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren entschieden.
Nach dem nun veröffentlichten Beschluss im einstweiligen Rechtsschutzverfahren des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 30.07.2020 – VII B 73/20 (AdV) ist es nicht zu beanstanden, dass die Finanzbehörden das BMF-Schreiben betreffend „Steuerliche Maßnahmen zur Berücksichtigung des Coronavirus COVID-19/SARS-CoV-2“ vom 19.03.2020 nicht auf Vollstreckungsmaßnahmen anwenden, die bereits vor Bekanntgabe dieses Schreibens durchgeführt worden sind. Diese Verwaltungsanweisung erfasst nicht bereits vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden.

Steuerschuldner, gegen die bereits vor Bekanntgabe dieses Schreibens vollstreckt worden ist, können nach der Entscheidung des BFH um Rechtsschutz nach den allgemeinen Regeln (z.B. § 258 AO) ersuchen.

Im Entscheidungsfall hatte die Antragstellerin, ein in der EU ansässiges Unternehmen, erhebliche Steuerschulden, die bereits im Jahr 2019 festgesetzt worden waren. Aufgrund dieser Rückstände richtete jener EU-Mitgliedstaat ein Vollstreckungsersuchen an Deutschland. Das zuständige Finanzamt erließ daraufhin im Februar 2020 Pfändungs- und Einziehungsverfügungen gegen mehrere deutsche Banken, bei denen die Antragstellerin Konten unterhielt.

Hiergegen wendete sich die Antragstellerin, und zwar u.a. mit dem Argument, aufgrund ihrer durch die Corona-Pandemie bedingten erheblichen Einnahmeausfälle müsse entsprechend dem BMF-Schreiben vom 19.03.2020 von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden.

Keine Zweifel an Rechtmäßigkeit der Vollstreckungsmaßnahmen

Dies sah der BFH anders. Bei der im vorliegenden Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung anhand der präsenten Akten bestehen nach Auffassung der Richter des BFH keine Zweifel daran, dass die Pfändungs- und Einziehungsverfügungen rechtmäßig sind. Danach hat die  Vollziehung für die Antragstellerin auch keine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge (§ 69 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO).

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Erfordernis der Aufhebung oder Rückabwicklung dem BMF-Schreiben nicht zu entnehmen

Der Begriff des „Absehens“ i.S. der Nr. 3 Satz 1 dieses Schreibens deute auch darauf hin, dass Maßnahmen gemeint seien, die noch nicht durchgeführt worden sind. Jedenfalls könne dem Schreiben nicht entnommen werden, dass – wie die Antragstellerin begehrt –Vollstreckungsmaßnahmen, die vor Veröffentlichung dieses Schreibens ergriffen worden sind, wieder aufzuheben oder rückabzuwickeln sind. Danach ist davon auszugehen, dass die Verwaltungsanweisung mit ihrer Bekanntgabe in Kraft getreten ist.

Somit könnten auch Inländer in einer vergleichbaren Situation eine AdV nicht unter Berufung auf dieses Schreiben erreichen. Die unterlassene Anwendung dieses Schreibens stelle deshalb keinen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 ff. AEUV dar, so der BFH.

Anwendung nur auf nach 19.03.2020 ergriffene Maßnahmen kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG

Die Annahme der Finanzbehörde, das BMF-Schreiben in BStBl. I 2020, 262 betreffe nur Vollstreckungsmaßnahmen, die nach seiner Bekanntgabe am 19.03.2020 ergriffen werden, führt nach Ansicht des BFH auch nicht zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, denn Art. 3 GG lasse Stichtagsregelungen zu, sofern diese nicht zu willkürlichen Ergebnissen führten. Werde eine Begünstigung eingeführt, so sei es regelmäßig nicht geboten, bereits verwirklichte Sachverhalte in die Begünstigung mit einzubeziehen.

Vollstreckungsschuldner nicht rechtschutzlos gestellt – Hinweis des BFH auf § 258 AO

Dies bedeute jedoch nicht, dass Vollstreckungsschuldner in derartigen Fällen rechtsschutzlos gestellt seien. Vielmehr würden insoweit die allgemeinen Regeln gelten, insbesondere § 258 AO. Der Antragsteller sei dann, wenn die Verwaltung die Regelung in Nr. 3 des BMF-Schreibens in BStBl. I 2020, 262 nicht zu seinen Gunsten anwendet, lediglich stärker gefordert, darzulegen, weshalb die Aufrechterhaltung der Vollstreckungsmaßnahme wegen der Corona-Pandemie oder aus anderen Gründen unbillig sei bzw. weshalb ihm einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren sei. Diese Verteilung der Darlegungslast sei gerechtfertigt, denn in den Fällen, in denen vor dem 19.03.2020 Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen worden seien, könne die Corona-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen Maßnahmen für die der Vollstreckung vorangehende Nichtbegleichung von Abgaben- und Steuerschulden (trotz Mahnung) kaum ursächlich sein.

Kein Grund für generelle Anwendung des BMF-Schreibens auf vor dem 19.03.2020 ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen

Es gebe nach der Entscheidung des BFH keinen Grund, Schuldner, die vor und völlig unabhängig von der Corona-Pandemie und den staatlichen Beschränkungen ihre Steuer- und Abgabenschulden nicht getilgt haben – denen gegenüber somit Vollstreckungsmaßnahmen erforderlich waren –, besser zu stellen als diejenigen, die ihren Zahlungsverpflichtungen (gegebenenfalls erst nach Aufnahme eines Bankkredits) nachgekommen sind, indem man zu ihren Gunsten die Regelung in Nr. 3 des BMF-Schreibens generell auf vor dem 19.03.2020 ergriffene Maßnahmen der Zwangsvollstreckung anwendet.

Dies widerspräche dem aus Art. 3 GG abgeleiteten Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Die Finanzbehörden seien nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die wegen Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestands entstandenen Steueransprüche (§ 38 AO) festzusetzen und die Steuer zu erheben. Einen im Belieben der Finanzverwaltung stehenden, freien Verzicht auf Steuerforderungen gebe es nicht. Auch im Wege von Verwaltungserlassen dürften die Finanzbehörden Ausnahmen von der gesetzlich vorgeschriebenen Besteuerung nicht zulassen, denn auch der Verzicht auf den Steuereingriff bedürfe einer gesetzlichen Grundlage. Fehle diese, könnten die Finanzbehörden von der Festsetzung und Erhebung gemäß § 38 AO entstandener Steueransprüche nicht absehen.

Quelle: PM des BFH Nr. 038/20 vom 03.09.2020

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(ESV/fl)

Programmbereich: Steuerrecht