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BVerfG: Die geforderten Nachweise über Impfungen bzw. Genesungen bei Pflegepersonal waren im Kampf gegen Corona auch Ende des Jahres 2022 noch geeignet im Sinne von § 20 a IfSG a. F. (Bild: Fiedels / stock.adobe.com)
Corona

BVerfG: Richtervorlage gegen § 20 a IfSG in der Fassung vom 18. März 2022 unzulässig

ESV-Redaktion Recht
21.02.2025
Das VG Osnabrück meinte, dass § 20 a IfSG in der Fassung vom 18.03.2022 (BGBl. I, 466) spätestends ab Oktober 2022 kein Arbeitsverbot für Pflegepersonal mehr rechtfertigen konnte. Das VG legte die Sache daher dem BVerfG vor. In der Sache ging es um ein Tätigkeitsverbot für Pflegepersonal ohne Impf-oder Genesungsnachweis in Bezug auf Corona. Nun hat das BVerfG über die Richtervorlage entschieden.
In dem Streitfall hatte das Vorlagegericht, also das VG Osnabrück, die Frage aufgeworfen, ob § 20 a IfSG in der Fassung vom 18.03.2022 in dem Zeitraum vom 07.11.2022 bis zum 31.12.2022 mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar war.
 
Die angegriffene Norm regelte für den Zeitraum vom 12.12.2021 bis zum 31.12.2022 die grundsätzliche Pflicht, in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen eine Schutzimpfung gegen Corona oder einen Genesungsnachweis vorzulegen.
 
Mit Beschluss vom 27.04.2022 hatte das BVerfG zwar eine Verfassungsbeschwerde gegen § 20a IfSG zurückgewiesen. Demnach verstieß die angegriffene Norm nicht gegen Art. 2 Absatz 2 Satz 1 und Art. 12 Absatz 1 GG. Sie war auch verhältnismäßig.
 
Bei der aktuellen Vorlage war die Klägerin des Ausgangsverfahrens als Pflegehelferin in einem Krankenhaus beschäftigt. Sie hatte ihrem Arbeitgeber im Jahr 2022 keinen Immunitätsnachweis in Bezug auf Corona vorgelegt. Ihr Arbeitgeber informierte daraufhin die zuständige Behörde. Diese verhängte nach mehreren Anhörungen gegen die Klägerin ein zeitlich begrenztes Tätigkeitsverbot nach § 20 a Absatz 5 Satz 3 IfSG in der benannten Fassung. Hiergegen zog die Klägerin vor das VG Osnabrück.
 

VG Osnabrück: § 20 a IfSG war spätestens ab Oktober 2022 nicht mehr verfassungskonform


Das VG meint, dass § 20 a IfSG im Laufe des Jahres 2022 verfassungswidrig geworden ist. Nach dem obigen Beschluss des BVerfG vom 27.04.2022 habe es neue Tatsachen gegeben. So wären die Einschätzungen des Robert Koch-Instituts (RKI) zum Übertragungsschutz, der von den Impfungen ausgehen sollte, wissenschaftlich nicht mehr belastbar gewesen. Daher sei die vorgelegte Norm ab Mitte 2022, spätestens aber ab Oktober 2022 nicht mehr dazu geeignet gewesen, das Leben und die Gesundheit vulnerabler Personen zu schützen. Daher legte das VG Osnabrück Sache per Richtervorlage mit Beschluss vom 03.09.2024 (3 A 224/22) dem BVerfG vor.

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BVerfG: Darlegungen des Vorlagegerichts zur Verfassungswidrigkeit von § 20 a IfSG unzureichend

 
Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat mit Beschluss vom 29.01.2025 (1 BvL 9/24) die Unzulässigkeit der Richtervorlage festgestellt. Demnach hat das Vorlagegericht die Verfassungswidrigkeit von § 20 a IfSG nicht ausreichend begründet. Die wesentlichen Erwägungen der Kammer:
 
  • Nachlassende Wirkung der Maßnahmen von § 20 a IfSG nicht nachvollziehbar: Für die Schlussfolgerung des Vorlagegerichts, nach der § 20 a IfSG spätestens ab Oktober 2022 unter der Omikronvariante nicht mehr geeignet gewesen soll, vulnerable Personen zu schützen, liegen keine widerspruchsfreien Feststellungen vor. Insoweit betont die Kammer, dass das Vorlagegericht selbst von einem gewissen Übertragungsschutz ausging, den die angegriffene Norm im Jahr 2022 vermittelt hatte. Die Kammer kann nicht nachvollziehen, wie das vorlegende Gericht nun zu dem Ergebnis kommt, dass die Einschränkungen der angegriffenen Norm nun vollkommen ungeeignet geworden sein sollten.  
  • Keine hinreichende Auseinandersetzung mit einschlägigen wissenschaftlichen Einschätzungen: Das Vorlagegericht beschäftigt sich beispielsweise nicht mit den Einschätzungen der Ständigen Impfkommission, den Bewertungen des Paul-Ehrlich-Instituts oder mit den vielen Expertenmeinungen anlässlich des Gesetzgebungsverfahrens. Zudem lässt es zahlreiche weitere fachkundige Stellungnahmen im Verfassungsbeschwerdeverfahren unberücksichtigt. Das Vorlagegericht begründet auch nicht, warum die Annahmen des Gesetzgebers für die Grundrechtseinschränkungen, die von § 20 a IfSG ausgingen, ab Oktober 2022 nicht mehr gegolten haben sollten. Soweit das Vorlagegericht dem Gesetzgeber vorwirft, sich uneingeschränkt auf das RKI verlassen zu haben, hat es selbst weitere fachwissenschaftliche Einschätzungen nicht mit in seine eigene Bewertung einbezogen. Auch im Rahmen des fachgerichtlichen Beweisverfahrens gab es Hinweise auf die Studienlage im Jahr 2022, nach der die Übertragungswahrscheinlichkeit bei Personen mit aufgefrischten Impfungen um etwa 20 Prozent geringer war als bei ungeimpften Personen.
  • Keine verständliche Begründung zur angeblich fehlenden Erforderlichkeit: Nach den weiteren Ausführungen der Vorlageinstanz sollen die Impfungen oder Genesungsnachweise nach § 20 a IfSG nicht erforderlich gewesen sein,  weil  regelmäßige Testungen des Pflegepersonals als mildere Maßnahmen mindestens gleich geeignet gewesen wären. Allerdings lieferte das Vorlagegericht der Kammer zufolge hierfür keine verständliche Begründung.
Quelle: PM des BVerfG vom 20.02.2025 zum Beschluss vom 29.01.2025 – 1 BvL 9/24


Im Gespräch mit Niko Härting

Corona im Rechtsstaat


Herausgeber: Prof. Niko Härting und Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz

Wer hätte sich vor Corona vorstellen können, es schon bald mit Grundrechtseingriffen zu tun zu bekommen, die es zumindest im Westen Deutschlands so seit 1949 nicht gab? Oder wie schnell sich das gesamte gesellschaftliche Leben herunterfahren lässt? Zu schnell? Bleiben in der Krise Bürgerrechte und der Rechtsstaat auf der Strecke?

Den Verlauf der gesellschaftlichen Diskussion im ersten Pandemiejahr zeichnet dieses Buch eindrucksvoll nach. Im Austausch zwischen Niko Härting und seinen prominenten Gesprächspartnern entsteht ein vielstimmiges Kaleidoskop zu so vielseitigen wie grundlegenden Fragen einer beispiellosen Krisenlage:

  • Wie weit hält das Grundgesetz in diesen Krisenzeiten stand, funktioniert die Gewaltenteilung eigentlich noch?
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  • Wie ist der Datenschutz zu bewerten, verhindert er die Pandemiebekämpfung?
  • Wie steht es um die Verlässlichkeit z.B. von Rechenmodellen zum Pandemiegeschehen?
  • Wer hat das Sagen? Die Wissenschaft, die Exekutive? Die Parlamente, die parlamentarische Opposition? Welche Rolle spielen die Medien?

Vielstimmig und kritisch in 39 Interviews: Sie finden Gespräche mit Konstantin Kuhle, Peter Schaar, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Katja Keul, Stefan Brink, Ulrich Kelber, Thomas Ramge, Nikolaus Forgó, Frederick Richter, Konstantin von Notz, Saskia Esken, Henning Tillmann, Ulrich Battis, Kyrill-Alexander Schwarz, Till Steffen, Malte Engeler, Paul Schwartz, Justus Haucap, Linda Teuteberg, René Schlott, Johannes Caspar, Barbara Thiel, Hans Michael Heinig, Horst Dreier, Michael Will, Indra Spiecker, Kai von Lewinski, Andrea Kießling, Johannes Fechner, Florian Schroeder, Manuela Rottmann, Stefan Brink, Paul van Dyk und Jonas Schmidt-Chanasit.

Das Buch zum PinG-Podcast: Die vielseitigen Erfahrungen und Perspektiven bekannter Persönlichkeiten, die im PinG-Podcast „Corona im Rechtsstaat“ geteilt wurden, durchleuchten dabei auch viele Nebenfolgen der Krise kritisch – auf den Datenschutz, auf ökonomische und soziale Folgen, auf leere Theater und Hörsäle.

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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht