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Abbildung aus dem „Brüsseler Tristan“ (Foto: Bibilothèque royale de Belgique, Ms. 14697, fol. 546v-547r)
Klassiker-Lektüren: Wolfram von Eschenbach

Der höfische Roman in Frankreich und Deutschland

ESV-Redaktion Philologie
25.01.2018
Was heißt eigentlich „höfischer Roman“ oder „höfische Epik“? Was macht einen Text aus dem 12. Jahrhundert zu einem Roman? Lassen sich Texte aus dieser Zeit mit unserem heutigen Gattungsverständnis kategorisieren? Und was genau meint „höfisch“?
In der Reihe Klassiker-Lektüren (KLR) ist ein Band über den Parzival Wolframs von Eschenbach erschienen. Der Autor Michael Dallapiazza geht darin auch auf die Besonderheiten des höfischen Romans ein. Lesen Sie hier einen Textauszug:

Der höfische Roman

Die Begriffe „höfischer Roman“ oder „höfische Epik“ werden, zumindest in der deutschen Germanistik, weitgehend synonym für die altfranzösischen und mittelhochdeutschen Versromane der Zeit von der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts, in der die frühesten Spuren höfischer Antikenromane in Frankreich überliefert sind, und dem 14. Jahrhundert gebraucht. Auch wenn Chrétien de Troyes ausdrücklich den Begriff romanz für seine Werke benutzt, hat sich der Begriff Roman für Texte dieser Art erst in neuerer Zeit durchgesetzt.

Viele der deutschen und französischen Versepen sind auch zumindest als Vorläufer des modernen Romans aufzufassen, was ihre narrativen Strategie betrifft, ihre Konstruktion als Erzählungen vom Einzelhelden her und vor allem wegen des oft ausgeprägten Bewusstseins von der Fiktionalität ihres Erzählens und deren Besonderheit. Darin unterscheiden sie sich zuallererst von der Heldendichtung und davon in zweiter Linie natürlich auch durch die unterschiedlichen Stofftraditionen. Die Anonymität der Heldendichtung hat im Roman, bei nur seltenen Ausnahmen, einem oft ausgeprägten Autorbewusstsein Platz gemacht.

Verschiedene Traditionen

Generell lassen sich für diese Dichtungen bereits schriftliterarische Traditionen belegen, aber die Bedeutung der von Chrétien auch explizit benannten mündlichen Traditionen als Quellenmaterial darf keinesfalls unterschätzt werden, auch nicht für die Werke deutscher, englischer oder nordischer Dichter, die lange Zeit als bloße Übersetzungen aufgefasst wurden.

Die beiden wichtigsten Typen der höfischen Epik sind der Antikenroman sowie der Roman keltischer Herkunft, in dem die so genannte matière de Bretagne verarbeitet wird. Dieser Stofftradition gehören die Artusepik an, der Gralroman und der Tristanroman.

„Stimme und Ort“ 22.01.2018
Markus Greulich über „Die Einkleidung der Enite”
Um 1200 wurde an den Höfen im deutschsprachigen Raum eine damals neuartige Erzählliteratur populär: die höfisch-weltliche Epik. Diese Höfische Erzählliteratur entwickelt sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher sozialer, literarischer und medialer Faktoren. mehr …


Höfisch

Höfisch bezieht sich als Terminus zum einen auf das Publikum und den Entstehungsort des jeweiligen Romans, also die Gesellschaft der Fürstenhöfe und die Mäzene, aber ebenso auf die Thematiken, die Wertvorstellungen und die ästhetischen  Ansprüche der Werke, in denen die Darstellung höfischer idealisierter (literarischer) Lebensformen breiten Raum einnimmt.

Die Idealisierung solcher Formen und der damit einhergehenden Wertvorstellungen wird oft als höfische Ideologie bezeichnet, zu der die als höfisch angesehenen Texte aber nicht notwendigerweise eine affirmative Position beziehen müssen. Kritik, auch radikale, an bestimmten ritterlichen Normvorstellungen ist durchaus typisch für viele höfische Romane, aber auch Publikum, Gönner und Autorschaft jenseits der höfischen Welt, wie möglicherweise beim Tristan Gottfrieds von Straßburg der Fall, belassen dem Werk dennoch das Prädikat „höfisch“.

Vorbild Chrétien de Troyes

Chrétien de Troyes wird vor allem in der deutschsprachigen Forschung als Begründer des Artusromans sowie seiner besonderen Struktur angesehen. Um 1170 entsteht wohl der als Prototyp angesehene Roman Erec et Enide. Der Perceval, geschrieben für Philipp von Flandern, als Chrétiens letzter Roman, entsteht zwischen 1182 und, spätestens, 1191, dem Todesjahr Philipps. Bei Chrétien werden Stoffe keltischer Herkunft zu einem fiktionalen Sinnangebot an die höfische Gesellschaft, in deren Mittelpunkt König Artus und seine Tafelrunde stehen.

Anders als in den mittelenglischen arthurischen romances oder in der Historia regum Britanniae des Geoffrey of Monmouth (um 1138/40) ist dieses Idealbild einer elitären aristokratischen Gesellschaft in einer märchenhaften, geschichtsenthobenen und auch geographisch nicht fassbaren Welt angesiedelt. Artus ist nicht mehr der dux bellorum, sondern eine passive, statische Figur, von der jedoch jede Handlung ihren Ausgangspunkt nimmt. Erzählt wird der Bewährungsweg eines Ritters, der seinen Platz, meist als Herrscher, in der Gesellschaft finden muss und dessen Abenteuer, avanture, bzw. mittelhochdeutsch aventiure, auf die Beziehung zu einer Frau ausgerichtet sind.

Da alle Stationen des Weges sowie die Krise des Helden offensichtlich Sinn- und Ordnungsstrukturen konstituieren und auf einer nicht immer klar zu rekonstruierenden Erwartungshaltung des Publikums fußen, spricht man, vor allem in den deutschsprachigen Forschungstraditionen, von einer Symbolstruktur, und die durch die Krise des Helden bedingte Handlungsdoppelung wird dort auch „Doppelwegstruktur“ genannt. Aber diese schematische Interpretation und Strukturfestschreibung ist so nie von der romanistischen Mediävistik geteilt worden. In letzter Zeit wurden allerdings auch von deutscher germanistischer Seite aus deutliche Zweifel an diesem Modell laut (Schmid 1999).

Wolfram von Eschenbach: Parzival
Autor: Professor Dr. Michael Dallapiazza

Wolframs von Eschenbach „Parzival“ ist nicht nur aufgrund seiner regen Rezeptions- und Wirkungsgeschichte eines der wichtigsten Werke der mittelhochdeutschen Literatur. Beruhend auf dem altfranzösischen „Perceval“ Chrétiens de Troyes ist dieser knapp 800-jährige Roman weit mehr als nur eine Übertragung der Geschichte um den Gralsritter. Aufgrund seiner innovativen erzählerischen Strategien kann Wolframs Roman als Beginn modernen Erzählens in deutscher Sprache gesehen werden. Michael Dallapiazza ordnet Wolfram und sein Werk in die historischen Zusammenhänge ein und bringt eine eingehende inhaltliche Darstellung des Romans, die immer auch den Bezug zur französischen Hauptquelle herstellt.

Diese Lektüre eines Klassikers des deutschen Literaturkanons kann sowohl als Einführung für den Lesenden ohne Vorwissen als auch als konziser Überblick für Fachkundige dienen. Es eignet sich als Lektürebegleitung für Studierende germanistischer sowie romanistischer Studiengänge vom Einführungsseminar bis zum Examen.

 


(ESV/ke)

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik