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Fraktale Strukturen finden sich in der Natur, aber auch in Sprache und Kunst. (Foto: stock.adobe.com – RPL-Studio)
Auszug aus: „Kürze, Verdichtung und Fraktalität. Minimalismus in der Sprache“

Der Wortbildungstyp „K-Frage“ ist ein ausgesprochen virulenter Typ

ESV-Redaktion Philologie
20.06.2025
„Fass Dich kurz!“, ist eine Aufforderung, die manchmal gar nicht so leicht umzusetzen ist. Die Kurzform fällt uns oft schwerer, weil man entscheiden muss, welche Information man auf welche Weise verkürzt wiedergibt, ganz weglässt oder was auch unbedingt bleiben muss. „Verdichtung“ ist notwendig, um im Zeitalter der Informationsflut den Überblick zu behalten.
Hans-Werner Eroms hat zum Thema „Kürze, Verdichtung und Fraktalität. Minimalismus in der Sprache“ ein Buch geschrieben, das viele Aha-Effekte auslöst. Es geht um fraktale Strukturen – die übrigens auch in der Natur begegnen –, um das Verhältnis von Minimal- und Maximalstruktur, um das Große im Kleinen. Mit dem Fraktalitätsprinzip lässt sich z. B. die Baustruktur von Texten optimal nachzeichnen, aber auch kleinere sprachliche Ebenen zeigen fraktale Züge.

Verkürzung und Minimalisierung in der Sprache findet in vielen Lebensbereichen statt, die uns täglich begegnen. Einiges ist selbstverständlich geworden: So sprechen wir von der „K-Frage“, fahren E-Bike (oder auch eBike) und nutzen ChatGPT, das uns mit einer kleinen, kurzen, möglichst präzisen Anfrage längere Texte generiert. Aber auch in Malerei und Dichtung lassen sich Verdichtungsstrategien erkennen, die neue Formen der Ausdruckmöglichkeit bieten.

Lesen Sie im Folgenden einen Auszug aus Kapitel 4: Fixierung auf Buchstaben und Buchstabengruppen

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4.4 Der Wortbildungstyp „K-Frage“

In das Kapitel der Buchstaben und Buchstabengruppen gehört auch der Wortbildungstyp „K-Frage“. Es ist ein ausgesprochen virulenter Typ, der geradezu wuchernd um sich greift und dessen Wirken auch in verwandten Wortbildungsbereichen festzustellen ist. Dabei handelt es sich um sehr unterschiedliche Bildungen, wie die weiter unten behandelte Beispielliste erkennen lassen wird. Das Kurzwort „K-Frage“ hat einen starken Motivationsschub für die Wortbildung mit Einzelbuchstaben ausgelöst, insbesondere für die Typen D-Day oder E-Commerce. Darauf wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Der offenbare Anstoßgeber, der Typ „K-Frage“, ist in Eroms (2002) ausführlicher behandelt worden. Auf den ersten Blick ist die Wortbildung „K-Frage“ ein unauffälliges, sprachökonomisches Phänomen. Mit dem Wort wird der längere Ausdruck „Kanzlerfrage“ vermieden. Als der Ausdruck aufkam, ging es zunächst um die Frage, ob Angela Merkel als Kanzlerkandidatin geeignet sei. Die Verkürzung auf K-Frage vermeidet die direkte Benennung der Kandidatur um dieses Amt. Die Vermeidungsstrategie ist, wie sich im Vergleich mit ähnlichen Wortbildungen zeigen lässt, überhaupt ein wichtiger Gesichtspunkt, der bei der Verwendung dieses Wortes und anderer, ähnlich strukturierter, eine Rolle spielt. Weiter lässt sich erkennen, dass die Zusammenhänge, in denen solche Wörter verwendet werden, häufig einen ironischen, kritischen oder distanzierenden Unterton aufweisen. So in den folgenden Beispielen:

  • Von K-Fragen, Nasen und Tante Angela – zwei Betroffene über ein Leben als Namensvetter (Süddeutsche Zeitung 10.1.2002)
  • K-Frage: Ausgemerkelt. Das Rennen ist gelaufen. CDU-Chefin Angela Merkel hat offiziell ihren Verzicht auf die Kanzlerkandidatur der Union erklärt. (manager magazin 11.1.2002)
Wichtiger noch ist die Beobachtung, dass nach der Erledigung der K-Frage, also nicht nur der Kandidatur, sondern dem tatsächlichen Antritt der Kanzlerschaft Angela Merkels, der Ausdruck „K-Frage“ sozusagen frei geworden war für andere Benennungen und vor allem Verhüllungen heikler Debattengegenstände. Dies waren und sind etwa die Kernkraft, die Karriere oder die Kunst. Die Wortbildung „K-Frage“ ist aber keineswegs eine Eintagsfliege geblieben. Auch in neueren Texten lässt sich das Wort vielfach belegen. Es sind überdies weitere Nutzungsmöglichkeiten erschlossen worden, die deutlich machen, dass das minimalistische Prinzip auch hier gilt. Im DeReKo des Instituts für Deutsche Sprache lassen sich 3.871 Belege erbringen. Die seit dem Jahre 2010 aus den ersten eintausend Belegen ermittelten beziehen sich auf ganz unterschiedliche Begriffe:

  • K wie „Kanzler(schaft)“: Die drei möglichen Kanzlerkandidaten der SPD haben vereinbart, den tatsächlichen Kandidaten erst Anfang kommenden Jahres zu küren, gut ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl. Zu spät, finden viele. Die K-Frage dürfe nicht zur Q-Frage werden, mit der sich die SPD noch ein halbes Jahr quälen müsse. (FOC12/JUL.00038 FOCUS, 02.07.2012)
  • Kapitän (einer Sportmannschaft): 16 Tage vor dem ersten Vorrundenspiel bei der WM in Südafrika hat der Bundestrainer nach tagelangen Diskussionen seine wichtigsten Personalentscheidungen öffentlich gemacht – und dabei in der T- und K-Frage für keine Überraschungen gesorgt. (M10/MAI.40424 Mannheimer Morgen, 29.05.2010)
  • Kitsch: Am Ende eines solchen musikalischen Zeugungsaktes kann „Kitsch in Gestalt misslungener Kunst“ stehen – das lehrt zumindest eine der Lektionen, mit der der Mainzer Musikwissenschaftler Franz-Josef Schwarz und seine Ménage à trois (Sängerin Katja Rommel, Margarete Schurmann-Spengler am E-Piano) unseren Sinn für die K-Frage (ist das nun Kitsch, oder… ?) schärfen. (M10/AUG.58645 Mannheimer Morgen, 21.08.2010)
  • Kurzarbeitergeld: Jetzt stellt sich am Arbeitsmarkt wieder die K-Frage: Nachdem die düsteren Konjunkturaussichten auch zunehmend die Statistiken der Nürnberger Bundesagentur trüben, werden Rufe nach einer Verlängerung des Kurzarbeitergeldes immer lauter. (M12/NOV.09642 Mannheimer Morgen, 30.11.2012)
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Nachgefragt bei Prof. Dr. Hans-Werner Eroms 25.06.2025
„Emojis erweitern das Ausdruckssystem unserer Sprache“
„Weniger ist mehr“ ist sicherlich auf vielerlei Ebenen ein Motto unserer Zeit. In einer Welt der ausufernden Möglichkeiten muss man sich manchmal auf das Wesentliche besinnen, ob nun beim bewussten Aussortieren des Kleiderschranks oder beim Filtern und Bewerten von Informationen. mehr …

Was die Formseite betrifft, so fällt auf, dass mit dem „K“, wenn damit die Kanzlerschaft gemeint ist, nicht unbedingt auf „Kanzlerschaftskandidatur“ angespielt werden muss, sondern dass es sich auch um „Kanzler“, „Kanzlerin“, „Kanzlerschaft“, „Kandidatur“, „Kanzlerkandidatur“, „Kanzlerinkandidatur“ u. ä. handeln kann. Die genaue Spezifizierung wird offengelassen, ein weiterer kommunikativer Vorteil des Kurzworttyps. Zudem wird damit auch die Genderfestlegung umgangen. Inhaltlich überwiegen die politisch motivierten Belege deutlich. Die Debatte um die Kandidatur für die Kanzlerschaft wird zu einem großen Teil überhaupt nur mit dem Kurzwort geführt. Aber das so häufige Vorkommen im Bereich des Sportes ist doch auffällig und sicher nicht ganz zufällig. Die Analogien zwischen der Führerschaft in der Politik und im Sport mögen dafür den Anstoß gegeben haben. Das Vorkommen in anderen, harmlosen Bereichen ist aber ebenfalls zu registrieren. Weiter fällt auf, dass, wenn schon einmal ein Kurzwort dieses Typs gewählt wird, sich schnell ein weiteres einstellt. In den obigen Beispielen: die „Q-Frage“, die Qualitätsfrage; die „T-Frage“, die Trainerfrage.

Nach der Klassifikation der Kurzwörter von Dorothea Kobler-Trill handelt es sich bei den Wörtern, die einen Einzelbuchstaben als Determinans aufweisen, um unterschiedliche Typen. Kurzwörter mit ikonischer Funktion, wie „S-Kurve“, können von solchen, die „Nummernfunktion“ aufweisen, wie „A-Klasse“ und von Wörtern wie „D-Zug“ unterschieden werden. „D-Zug“ hat ein unklares Basislexem. Ursprünglich bezog sich „Durchgang“ darauf, dass im Zug der Durchgang von Wagen zu Wagen möglich war, später wurde Durchgang als Durchfahrt (ohne Halt), also als „Schnellzug“ aufgefasst. In unserem Zusammenhang ist die Tatsache von Bedeutung, dass mit diesen Kurzwörtern vor allem das gesamte Alphabet ausgeschöpft wird, der genaue semantische Bezug, die Auflösung der Kurzform tritt dahinter zurück.
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Wenn Sie neugierig geworden sind: Sie können das Buch hier bequem bestellen oder aber auch über eine örtliche Buchhandlung beziehen.

Zum Autor
Prof. Dr. Hans-Werner Eroms lehrte bis 2003 als Professor für Deutsche Sprachwissenschaft an der Universität Passau. Danach hatte er mehrfach Gastprofessuren u. a. in der Slowakei und Ungarn inne. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher und Aufsätze u.a. zur Syntax und Stilistik, sowie zur Öffentlichen Sprache, insbesondere zu stilistisch-pragmatischen Phänomenen wie der Verschränkung von Sprach- und Bildkommunikation.

Kürze, Verdichtung und Fraktalität
Minimalismus in der Sprache

Von Hans-Werner Eroms

Kürze und Prägnanz sind Forderungen, die seit jeher an sprachliche Ausdrucksweisen gestellt werden. Aber Kürze und Verdichtung sind nicht auf die Sprache beschränkt. Ähnliche Tendenzen finden sich in der Bildkommunikation. Werden Sprache und Bild integriert, führt das zu noch stärkerer Kompaktheit.
Diesen Phänomenen, wie z. B.

  • der Verdichtung von Texten zur Abstract-Erstellung mit ChatGTP,
  • der Kurzwortbildung,
  • der Binnengroßschreibung
  • oder der Manifestation in Einzelbuchstaben (z. B. eBay, E-Commerce, E-Bike)

widmet sich das Buch.
Doch nicht nur den minimalistischen Formen an sich, sondern auch ihrem Bezug auf Zwischen- und Langformen wird nachgegangen. Mit der seit einiger Zeit intensiv betriebenen, ursprünglich von der Mathematik entwickelten Forschung zur Fraktalität ergibt sich hier ein ganz neuer Zugang. Die Musterung von Gleichheit oder Vergleichbarkeit „selbstähnlicher“ Phänomene eröffnet für die Sprache, aber auch für die Bildende Kunst und andere Disziplinen neue und überraschende Einsichten.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik