Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Ein neuer Blick auf Goethe: der deutsche Dichter aus einer US-amerikanischen Perspektive (Foto: ESV/Selene Studio)
Auszug aus „Goethe in America. Eine transatlantische Faszinationsgeschichte“

Die Wiederbelebung Goethes in Amerika

ESV-Redaktion Philologie
17.02.2025
Eine knapp 100 Jahre alte letzte Ausgabe, Unverfügbarkeit und Lieferengpässe sowie unterschiedliche Übersetzungen einzelner Werke, dies war die traurige Stellung Goethes in den USA im 19. Jahrhundert – bis der Verleger Siegfried Unseld 1980 die Idee hatte, diesen Zustand mit einer amerikanischen Goethe-Ausgabe zu ändern. Dabei war der Wunsch dieser Publikation nicht allein, dem US-amerikanischen Lesepublikum den deutschen Dichter näherzubringen, sondern ebenfalls den amerikanischen Buchmarkt künftig besser zu verstehen. Auch wenn die Goethe-Ausgabe kein Bestseller wurde, so kann man das Projekt dennoch als eine geglückte „transatlantische Verständigung […] in Buchform“ ansehen. Lesen Sie hier einen Auszug aus Sarah Nienhaus‘ Beitrag in unserem neuen Band „Goethe in America“ über die US-amerikanische Goethe-Ausgabe des Suhrkamp-Insel Verlags.

I. Eine Goethe-Ausgabe für Amerika


Im Frühjahr 1980 konkretisiert Siegfried Unseld in zahlreichen Gesprächen mit potenziellen Kooperationspartnern und -partnerinnen seine Pläne für eine Goethe-Ausgabe, die zeitnah auf dem amerikanischen Buchmarkt erscheinen soll. Im Vorfeld einer einmonatigen Amerikareise kontaktiert der Verlagsleiter hierfür gezielt den Anglisten und Germanisten Victor Lange. Zu diesem Zeitpunkt ist Lange bereits Professor für Modern Languages in Princeton, Präsident der Goethe Society of North America und beklagt in dieser Position die „völlig ungenügenden Übersetzungen“ aller in Amerika verfügbaren Goethe-Ausgaben. Eine neue Goethe-Ausgabe für das amerikanische Lesepublikum beschreibt er direkt im Anschluss gegenüber Unseld als „Desideratum von höchster Dringlichkeit“. Durch die wiederholte Zusammenkunft erhofft sich Unseld die Fortsetzung einer richtungsweisenden Diskussion über die gemeinsamen transatlantischen Ausgaben-Pläne. Die ersten Zeilen des nicht publizierten Reiseberichts veranschaulichen, wie konzentriert und frühzeitig die Wirkmacht der Goethe-Ausgabe angedacht war:

„Auf meine Bitte hin hatte Victor Lange zehn amerikanische (d. h. wirkliche Amerikaner, also in Amerika geborene) Goethe-Experten eingeladen zur Diskussion der Probleme einer amerikanischen Goethe-Ausgabe. Die eintägige Besprechung in Boston war außerordentlich interessant. Ich wußte, daß keine Goethe-Ausgabe vorliegt, aber was ich nicht wußte, daß die letzte etwa um 1890 erfolgt ist mit einem Nachdruck von 1910. Seitdem gibt es keine Goethe-Ausgabe mehr in den USA. Einzelne Werke von Goethe lagen in unterschiedlichen Übersetzungen vor, lieferbar ist auch sehr wenig. Klar ist andererseits, daß Goethe in den USA längst nicht die Verbreitung oder das Ansehen genießt wie Shakespeare bei uns. Aber eben das wäre mit einer solchen Ausgabe zu bewirken. Alle zehn Eingeladenen sind gekommen, mit Ausnahme David E.Wellbery, dem Schwiegersohn von Egon Schwarz, der […] aber seine Mitarbeit telefonisch zugesagt hat.”

Das könnte Sie auch interessieren: Nachgefragt bei Kai Sina, Marcel Lepper und David E. Wellbery

03.02.2025
„Goethe bleibt aktuell, nicht nur in den USA, weil sein Werk universelle Fragen anspricht“
Auch fast 200 Jahre nach seinem Tod ist das Werk von Johann Wolfgang von Goethe noch immer von großer Relevanz, und nicht nur in Deutschland. Vor allem in der amerikanischen Kultur übt Goethe eine nachhaltige Faszination aus. Der Band „Goethe in America“ wirft einen Blick auf die vielfältigen und überraschend aktuellen Dimensionen der amerikanischen Goethe-Rezeption, unter anderem aus einer feministischen oder einer afroamerikanischen Perspektive. Warum der moderne Dichter auch für die heutige Gesellschaft noch aktuell ist sowie weitere spannende Fragen beantwortet unser Interview mit den Herausgebern des Bandes, Kai Sina, Marcel Lepper und David E. Wellbery. mehr …

Entscheidend für das Projektplazet sind die Unverfügbarkeit, das Alter der letzten Ausgabe, die unübersichtliche Übersetzungslage und der Lieferengpass. Die Ausgangslage motiviert Unseld dazu, eine grundlegend neue Ausgabe zu konzipieren. Die prospektive Lektüreerfahrung, die er mit dieser Ausgabe plant, soll Goethes Gesamtwerk den gleichen Rezeptionserfolg einspielen, den Shakespeares Stücke bereits verbuchen durften. Anders formuliert: Die amerikanische Suhrkamp-Insel-Ausgabe soll Goethe gleichberechtigt neben Shakespeare positionieren. Mit Langes Expertisen versucht er zugleich das verlegerische Risikopotenzial des anberaumten Investitionsvorhabens einzuschätzen respektive zu minimieren. Und dennoch: Ein umsichtiges Gutachten traut Unseld allein „wirkliche[n] Amerikaner[n], also in Amerika geborene[n]“ zu. Mit dieser Orientierung geraten Forscher in den Blick, die in Amerika den Fachbereich der Literaturwissenschaften maßgeblich prägten. Ein für Unseld bedeutendes Netzwerk tut sich allein durch die Ausgaben-Korrespondenzen auf. Davon unabhängig steht das Zitat für Unselds Versuch, eine Person zu ermitteln, die ein sensitives, professionalisiertes, rundum verlässliches Gespür für das amerikanische Lesepublikum beweist. Eine Suche, die nicht allein der Goethe-Ausgabe zugutekommen soll.

Sind Sie an mehr Informationen zur Goethe-Rezeption in den USA interessiert, dann lesen Sie gern weiter in unserem Buch „Goethe in America“.

Die Herausgeber
Die HerausgeberKai Sina, Professor für Neuere deutsche Literatur und Komparatistik (mit dem Schwerpunkt Transatlantische Literaturgeschichte) an der Universität Münster, Herausgeber des Bandes „Goethes Spätwerk / On Late Goethe“ (mit David E. Wellbery) und der Studie „Kollektivpoetik“ mit Studien zu Goethe, Emerson, Whitman und Thomas Mann.

Marcel Lepper, Professor an der Universität Leipzig und Direktor der Fondation Rilke, VS, Schweiz, Autor u.a. der Studie „Goethes Euphrat“ (2016) und Herausgeber der „Xenien“ Goethes und Schillers (2022, mit Frieder von Ammon).

David E. Wellbery, LeRoy T. and Margaret Deffenbaugh Carlson University Professor in the Department of Germanic Studies an der University of Chicago, zahlreiche einschlägige Veröffentlichungen, darunter das Standardwerk „The Specular Moment. Goethe’s Early Lyric and the Beginnings of Romanticism“ (1996) und zuletzt „Goethes ‚Pandora‘. Dramatisierung einer Urgeschichte der Moderne“ (2017).

Goethe in America
Herausgegeben von: Marcel Lepper, Kai Sina, David E. Wellbery

Goethe fungierte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein als ein Nationalschriftsteller der USA. Die Rezeption beginnt bei den Transzendentalisten um Ralph Waldo Emerson und Margaret Fuller, wird ausgeformt in der US-amerikanischen Literatur der Jahrhundertwende und neu akzentuiert durch die Autorinnen und Autoren, die nach 1933 aus Deutschland in die USA emigrierten. Die Aufsätze in diesem Band fragen nach den literarischen wie ideengeschichtlichen Wechselverhältnissen und rekonstruieren im Zusammenspiel eine transatlantische Faszinationsgeschichte.

 


Die Herausgeber
Kai Sina, Professor für Neuere deutsche Literatur und Komparatistik (mit dem Schwerpunkt Transatlantische Literaturgeschichte) an der Universität Münster, Herausgeber des Bandes „Goethes Spätwerk / On Late Goethe“ (mit David E. Wellbery) und der Studie „Kollektivpoetik“ mit Studien zu Goethe, Emerson, Whitman und Thomas Mann.

Marcel Lepper, Professor an der Universität Leipzig und Direktor der Fondation Rilke, VS, Schweiz, Autor u.a. der Studie „Goethes Euphrat“ (2016) und Herausgeber der „Xenien“ Goethes und Schillers (2022, mit Frieder von Ammon).

David E. Wellbery, LeRoy T. and Margaret Deffenbaugh Carlson University Professor in the Department of Germanic Studies an der University of Chicago, zahlreiche einschlägige Veröffentlichungen, darunter das Standardwerk „The Specular Moment. Goethe’s Early Lyric and the Beginnings of Romanticism“ (1996) und zuletzt „Goethes ‚Pandora‘. Dramatisierung einer Urgeschichte der Moderne“ (2017).

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik