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Der Sammelband lädt zur Relektüre vergangener Werke aus der Wendezeit ein. @ patpitchaya / AdobeStock
Nachgefragt bei Prof. Dr. Sven Kramer

„Diese Themen scheinen mir noch heute aktuell zu sein“

ESV-Redaktion Philologie
22.07.2025
Die Literatur, die um die Wendezeit herum entstanden ist, spiegelt die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen bzw. Konflikte der damaligen Zeit. Der Sammelband „Deutschsprachige Erzählliteratur seit 1989“ von Sven Kramer analysiert zwölf Werke, die aus dieser Zeit stammen und ordnet sie literaturwissenschaftlich ein. Im Interview gibt der Herausgeber einen kleinen Einblick zum Werk.
Lieber Herr Kramer, was ist das Besondere an der Literatur um 1989?

Sven Kramer: Für die BRD und die DDR stand der Fall der Mauer im Mittelpunkt des Jahre 1989. Durch die Implosion des Warschauer Pakts geriet die politische Weltordnung in Bewegung. Die deutsche Literatur begleitete in den Folgejahren den politischen Vereinigungs- und Transformationsprozess.

Ist der Literaturstreit der Nachwendezeit für uns heute noch relevant?

Sven Kramer: Im Literaturstreit um Christa Wolf wurden verschiedene Themen verhandelt. So wurde zum Beispiel gefragt, welche Position Autorinnen und Autoren gegenüber einem autoritären Staat einnehmen können oder sollen. Darüber hinaus wurde gefragt, ob es weiterhin politisch engagierte Literatur geben solle – oder ob es sich dabei um Gesinnungsliteratur handle. Damals geisterten Vorurteile zwischen Diskutanten aus West und Ost durch die Debatten. Alle diese Themen scheinen mir noch heute aktuell zu sein.
 
Schauen wir auf die Vorwendezeit: Wie beeinflusste der Kalte Krieg die Literatur in BRD und DDR?

Sven Kramer: Beide deutsche Staaten waren gezeichnet vom Nationalsozialismus, vom Krieg und von den im deutschen Namen begangenen Verbrechen, aber auch von der Politik der Besatzungsmächte nach 1945 sowie von der Welt des Kalten Krieges. Doch so unterschiedlich die Ausgangspositionen auch waren: der Blick von heute aus offenbart auch Ähnlichkeiten und Verflechtungen. So gewannen zum Beispiel Spielarten des Realismus sowohl in der Gruppe 47 als auch in der DDR-Literatur an Einfluss. Und so führten Lebensläufe wie derjenige von Wolf Biermann zu politischen und künstlerischen Verflechtungen.

Auszug aus „Deutschsprachige Erzählliteratur seit 1989“ 21.07.2025
„Stell dir vor, es ist Sozialismus, und keiner geht weg“
Obwohl das Ende des Kalten Krieges bereits mehr als dreißig Jahre zurückliegt, steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die seit der weltpolitischen Zäsur von 1989 erschienen ist, noch am Beginn. Ausgewiesene Expertinnen und Experten stellen nun zwölf markante Werke aus dieser Zeit vor und empfehlen je einen Prosatext zur Relektüre. mehr …


Wie sehen wir heute auf die Literatur dieser Zeit? Beeinflusst sie uns noch?

Sven Kramer: Der Band, der sich mit der Literatur nach 1989 beschäftigt, bietet viele unterschiedliche Ansatzpunkte. Alle Beiträgerinnen und Beiträger stellen Bezüge zur Gegenwart her. Sie lesen die Texte unter der Fragestellung, was sie uns Heutigen zu sagen haben. Das können inhaltliche Aspekte sein, wie zum Beispiel die Flucht- und Migrationserfahrung, das können aber auch formale Aspekte sein, wie etwa Herta Müllers unverwechselbare Art, über ein sowjetisches Lager der Nachkriegszeit zu schreiben.

Wie ist dieser Sammelband entstanden und wie wurden die Beiträge ausgewählt?

Sven Kramer: Der Band ging aus einer universitären Ringvorlesung hervor. Die Beiträgerinnen und Beiträger haben einen deutschsprachigen Erzähltext aus den letzten 35 Jahren ausgewählt, von dem sie glauben, dass er heute noch relevant sei. Diese Relevanz haben sie in eingehenden Lektüren herausgearbeitet.

Welche Autorinnen und Autoren aus dieser Zeit liegen Ihnen persönlich besonders am Herzen?

Sven Kramer: Alle Autorinnen und Autoren, die in dem Band vorgestellt werden, bringen ganz eigene, aber je unterschiedliche Themen und Diktionen mit. Wer sich auf dieses je Eigene einlässt, wird von der Kunst überrascht werden. Wichtiger als die Werbung für einzelne Namen ist mir daher, dass in jedem Artikel des Bandes eine Tür zu einem besonders hervorzuhebenden Werk geöffnet wird.


Vielen Dank für das Interview!

Sind Sie neugierig geworden? Hier können Sie den Sammelband bestellen.


Über den Autor:
Sven Kramer ist seit 2005 Professor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Literarische Kulturen an der Leuphana Universität Lüneburg. Zu seinen Forschungsgebieten gehört die deutschsprachige Gegenwartsliteratur.


Deutschsprachige Erzählliteratur seit 1989

Herausgegeben von: Prof. Dr. Sven Kramer

Obwohl das Ende des Kalten Krieges bereits mehr als dreißig Jahre zurückliegt, steht die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, die seit der weltpolitischen Zäsur von 1989 erschienen ist, noch am Beginn.
Ausgewiesene Expertinnen und Experten stellen nun zwölf markante Werke aus dieser Zeit vor. Sie analysieren sie literaturwissenschaftlich, ordnen sie literaturgeschichtlich ein, erläutern, worin ihre Besonderheit liegt, warum sie ihre Zeit hervorragend repräsentieren oder warum sie aus ihr herausragen. Die Zusammenstellung akzentuiert Werke mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten, immer aber steht deren anhaltende Brisanz im Zentrum – sei es als inhaltlich Unabgegoltenes oder als formal Wegweisendes. In jenem kritischen Moment, in dem diese Werke aus der Tagesaktualität der Feuilletons heraus- und in die jüngste Vergangenheit der Literaturgeschichtsschreibung hinübergleiten, verorten die hier versammelten Relektüren deshalb im Spiegel der wiedergelesenen Werke zugleich die eigene Zeitgenossenschaft neu.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik