Der BFH verfügt über mehrere Senate, nicht immer vertreten diese die gleiche Rechtsauffassung (Photo: nmann77 / Adobe Stock)
Neues aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
Umsatzsteuererstattung mit Erstattungszinsen
Die Kläger, ein zusammenveranlagtes Ehepaar, erzielten im Streitjahr 2012 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb eines Kraftfahrzeughandels; der Gewinn wurde durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt.
Das Finanzamt erließ am 28.11.2012 geänderte Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1997 bis 2000. Diesen lag eine tatsächliche Verständigung zugrunde, mit der ein insgesamt mehr als acht Jahre andauerndes Einspruchs-, Klage- und Revisionsverfahren, das aus einer Steuerfahndungsprüfung hervorgegangen war, im zweiten Rechtsgang vor dem Finanzgericht abgeschlossen wurde. Mit diesen Bescheiden wurde die Umsatzsteuer um insgesamt 321.774 EUR herabgesetzt; weiterhin wurden - nach den Feststellungen des Finanzgerichts - Erstattungszinsen in Höhe von insgesamt 203.022 EUR festgesetzt.
Die Kläger forderten die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG auf die geballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen sowie auf die Erstattungszinsen. Grundlage für diesen rechtlichen Ansatz war im Wesentlichen ein kurz zuvor veröffentlichtes Urteil des BFH vom 25.02.2014 - X R 10/12, BStBl II 2014, 668.
Das Finanzamt folgte dem nur im Hinblick auf die Steuererstattungen, nicht für die Erstattungszinsen. Die Klage vor dem Finanzgericht München hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht verwies zur Begründung weitgehend auf das Urteil des BFH vom 12.11.2013 - VIII R 36/10, BStBl II 2014, 168.
Zusammenballung betrifft Umsatzsteuererstattung und zugehörige Zinsen
Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.
Es handelt sich nicht nur bei den aufgrund des langjährigen Rechtsstreits zusammengeballt zu versteuernden Umsatzsteuererstattungen, sondern auch bei den darauf beruhenden Erstattungszinsen um ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte in Gestalt von Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten (§ 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4 EStG).
Vergütungen sind nach neuerer Rechtsprechung alle Vorteile von wirtschaftlichem Wert, die der Steuerpflichtige im Rahmen der jeweiligen Einkunftsart erzielt. Hierunter sind auch Erstattungszinsen zu Betriebssteuern, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, zu zählen. Denn es liegen Vorteile von wirtschaftlichem Wert vor, die im Rahmen der Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt werden.
Für die Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG wurde eine Systematik entwickelt, nach der die weite Auslegung des Begriffs der "Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten" dadurch korrigiert wird, dass zusätzlich die "Außerordentlichkeit" der Einkünfte erforderlich ist, wozu auch eine typischerweise eintretende Progressionswirkung gehört.
Vorliegend sind dem Kläger nicht nur die Umsatzsteuererstattungen aufgrund des langjährigen Rechtsstreits geballt zugeflossen und zum selben Zeitpunkt gewinnerhöhend zu erfassen gewesen; dies gilt jedoch in gleicher Weise für die durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelösten Erstattungszinsen. Diese haben die bereits durch die Umsatzsteuererstattungen ausgelöste Progressionswirkung darüber hinaus erheblich verstärkt. Zur Progressionswirkung trägt im Streitfall auch die enorme Höhe der Zinsen im Vergleich zur Hauptschuld bei: Die Erstattungszinsen (203.022 EUR) belaufen sich auf 63,1 % der erstatteten Umsatzsteuer (321.774 EUR) beziehungsweise auf 38,7 % des zusammengeballt zu versteuernden Gesamtbetrags (524.796 EUR).
§ 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG entfaltet im Streitfall keine Sperrwirkung. Nach dieser Regelung kommen als außerordentliche Einkünfte Nutzungsvergütungen und Zinsen im Sinne des § 24 Nr. 3 EStG (d.h. nur solche für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke), soweit sie für einen Zeitraum von mehr als drei Jahren nachgezahlt werden, in Betracht. Der VIII. Senat hat hieraus für die Einkünfte aus Kapitalvermögen gefolgert, dass andere Zinsen als die in § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG genannten generell nicht von § 34 Abs. 2 EStG erfasst werden sollen. Das Finanzgericht hat diese Rechtsprechung vorliegend auch auf Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, übertragen.
Für Zinsen, die zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehören, kann aus § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG jedoch keine derart umfassende Sperrwirkung abgeleitet werden, wie bereits aus der Entstehungsgeschichte der Norm folgt.
Der VIII. Senat des BFH auf Anfrage des hier befassten Senats erklärt, dass er an seiner im Urteil vom 12.11.2013 - VIII R 36/10, BStBl II 2014, 168 geäußerten Rechtsauffassung, wonach § 34 Abs. 2 Nr. 3 EStG eine Sperrwirkung in Bezug auf alle nicht in dieser Norm aufgeführten Zinsen entfaltet, nicht weiter festhält.
Fundstelle: BFH, Urteil vom 30. August 2023 (
X R 2/22), veröffentlicht am 7. Dezember 2023.
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(ESV/cmx)