Zunehmende Einigkeit der Gerichte bei Beherbergungsverboten
VGH Baden-Württemberg: Unangemessenes Verhältnis zwischen Eingriffszweck und Eingriffsintensität
- Besonderes Infektionsrisiko durch Beherbergung zweifelhaft: Der Antragsgegner hat nicht dargelegt, dass von der Beherbergung ein besonders hohes Infektionsrisiko ausgeht, das derart drastische Maßnahmen erfordert. Trotz steigender Fallzahlen sei in Deutschland kein Ausbruchsgeschehen in Beherbergungsbetrieben bekannt, so der Senat.
- Andere Ursachen für steigende Infektionszahlen: Treiber der Pandemie sind nach Meinung des Senats vielmehr der Aufenthalt in Bereichen, in denen die Abstands- und Hygieneregeln wegen räumlicher Enge nicht eingehalten werden können. Dies gilt etwa für Schulen, Pflegeheime und Flüchtlingsunterkünfte. Eine weitere Ursache hierfür wären Feiern in größeren Gruppen, so der Senat weiter. Zudem wären Geschäfte, Freizeit- und Sporteinrichtungen, Gaststätten, Bars und Vergnügungsstätten – bis auf Clubs und Diskotheken – wieder offen. Dass ausgerechnet Beherbergungsbetriebe, die Kontaktdaten sammeln müssen und in denen eine überschaubare Personenanzahl übernachtet, davon ausgenommen würden, erschloss sich dem Senat nicht.
- Coronatest unzumutbar: Darüber hinaus meint der Senat, dass es Antragstellern nicht zumutbar ist, ggf. negative Coronatests vorzulegen. Demzufolge ist gegenwärtig nicht gesichert, dass Reisende die Tests so kurzfristig erhalten können. Dies hält der Senat schon aus organisatorischer Sicht und wegen der engen Zeitfenster für zweifelhaft.
Quelle: PM des VGH Baden-Württemberg vom 15.10.2020 zum Beschluss vom selben Tag – 1 S 3156/20
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OVG Niedersachsen: Anknüpfung an bloße Infiziertenzahl reicht nicht aus
- Keine Erkenntnisse über erhöhte Ansteckungsgefahr: Das Verbot betrifft Sachverhalte, die nicht offensichtlich mit einer erhöhten Infektionsgefahr verbunden wären. Allerdings hatte der Verordnungsgeber dem Senat zufolge keine nachvollziehbaren tatsächlichen Erkenntnisse dazu vorgelegt, wie viele Personen sich innerhalb der letzten Wochen im Bundesgebiet und in Niedersachsen aufgrund von Reisen mit Corona infiziert haben.
- Anknüpfung an bloße Zahl der Infizierten unzureichend: Aber auch die Bezugnahme auf die Infiziertenzahlen in Risikogebieten hält der Senat nicht für ausreichend. So wäre nicht automatisch bei allen Personen aus solchen Gebieten von einer einheitlichen Gefahrenlage auszugehen. Vielmehr muss der Verordnungsgeber tatsächliche Erkenntnisse zum Infektionsgeschehen in dem betroffenen Gebiet vorweisen, was zum Beispiel bei zu klar zu lokalisierenden Infektionsvorkommen der Fall wäre. Diese Erkenntnisse muss er dann im Rahmen einer differenzierten Betrachtung berücksichtigen.
- Verbot zu unbestimmt: Zudem gilt das Verbot nur für Personen „aus Risikogebieten“. Damit ist dem Senat zufolge nicht erkennbar, ob nur Personen mit einem dortigen Wohnsitz gemeint sind oder ob auch ein kurzer Aufenthalt ausreicht, um von dem Verbot erfasst zu werden.
Quelle: PM des Niedersächsischen OVG zum Beschluss vom 15.10 – 13 MN 371/20
OVG Berlin-Brandenburg: Beherbergungsverbot voraussichtlich unverhältnismäßig
Quelle: PM des OVG-Brandenburgs vom 16.10.2020 zur Entscheidung vom selben Tag – 11 S 87/20, 11 S 88/20
OVG Meckelnburg-Vorpommern: Kein sachlicher Grund für unterschiedliche Behandlung von Einreisenden
Quelle: PM des OVG Greifswald vom 20.10.2020 zum Beschluss vom selben Tag – 2 KM 702/20 OVG
Weitere Obergrichte schließen sich an
Quellen:
- PM des OVG Magdeburg vom 27.10.2020 zum Verfahren 3 R 205/20
- PM des OVG Schleswig vom 23.10.2020 zum Verfahren 3 MR 47/20
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Verlagsprogramm | Weitere Nachrichten aus dem Bereich Recht |
Anderer Ansicht – OVG Hamburg: Schutz der Bevölkerung hat Vorrang
Quelle: PM des OVG Hamburg zum Beschluss vom 16.10.2020 – 6 E 4297/20
Eilantrag vor dem BVerfG gescheitert
Damit hat der Senat aber nicht in der Sache entschieden. Damit sind die Verbote also noch nicht endgültig vom Tisch. Bei hinreichend substantiierten Begründungen, die im Rahmen von weiteren Eilanträge auch etwige Eingriffe in die Berufsfreiheit rügen, müsste das BVerfG auch in der Sache entscheiden.
Quelle: Beschluss des BVerfG vom 22. Oktober 2020 - 1 BvQ 116/20
Neue Wendung durch Lockdown light oder Teil-Lockdwown im November 2020
Lockdown light und touristische Beherbergungsverbote | 06.11.2020 |
Erste Gerichtsentscheidungen zum Teil-Lockdown | |
Seit dem 2.11.2020 gilt in ganz Deutschland der sogenannte Teil-Lockdown oder Lockdown light. Im Fokus der Maßnahmen stehen vor allem die Tourismusbranche und die Gastronomie. Schon im Vorfeld hatten einige Kritiker aufgrund der damit verbundenen Grundrechtseinschränkungen verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet. Nun haben die ersten Gerichte über Eilanträge entschieden. mehr … |
Die Rechtslage bis Ende Oktober 2020
Corona und Reisen | 15.10.2020 |
Aufregung um Beherbergungsverbote | |
Urlauber aus innerdeutschen Corona-Risikogebieten dürfen in zahlreichen Bundesländern aufgrund eines Bund-Länder-Beschlusses von Anfang Oktober ohne negativen Corona-Test nicht mehr in Hotels, Pensionen oder Ferienwohnungen übernachten. Einige Länder wehren sich allerdings dagegen. Doch auch in den Ländern, die das Papier umsetzen wollen, bestehen zum Teil große Unterschiede – und das trotz eines erneuten Treffens von Kanzlerin und Ministerpräsidenten am 14.10.2020. Inzwischen haben der VGH Baden-Württemberg und das OVG Niedersachsen aber das Beherbergungsverbot sogar gekippt. Auch in Bayern und Sachsen soll das Verbot an dem 17.10.2020 nicht mehr gelten. mehr … |
Neues zu Sperrstunden und Alkoholverboten | |
Zum Herbst haben viele Städte wegen der ansteigenden Infektionszahlen Sperrstunden und Alkoholverbote erlassen. Dabei kam es zu zahlreichen Gerichtsverfahren. Zuletzt gewannen in Berlin einige Gastronomen in einem Eilverfahren. In Frankfurt am Main und in Gießen wurde allerdings bisher anders entschieden. mehr … |
(ESV/bp)
Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht