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Auch die Elektronische Krankschreibung (eAU) setzt mindestens ein telefonisches Arztgespräch oder eine Videosprechstunde voraus, meint das LAG Hamm (Foto: Wild Whiskers Media / stock.adobe.vom).
Beweiswert einer AU-Bescheinigung

LAG Hamm: Online-Krankschreibung ohne Kontakt mit Arzt kann fristlose Kündigung rechtfertigen

ESV-Redaktion Recht
12.11.2025
Nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Arbeitsunfähigkeit (GB-A) dürfen AU-Bescheinigungen nur nach ärztlichen Untersuchungen ausgestellt werden, die entweder nach telefonischer Anamnese oder als Videosprechstunde durchgeführt wurden. Das LAG Hamm musste nun über die Konsequenzen in einem Fall entscheiden, in dem ein Mitarbeiter seiner Arbeitgeberin eine Krankmeldung ohne jegliche ärztliche Untersuchung übermittelt hatte.
In dem Streitfall meldete sich der Kläger – ein IT-Consultant – im August 2024 krank. Grundlage hierfür sollte ein Online-Attest sein, dass er von einer Website erwarb. Hierbei wählte er die Option: „Krankschreibung ohne Gespräch mit Privatarzt per Telemedizin“. Zusätzlich füllte er einen Fragebogen aus, auf dem er bestimmte Symptome angab.

Kurze Zeit später wurde ihm per E-Mail ein Attest zugesendet, das optisch einem offiziellen „gelben Schein“ ähnelte. Einen persönlichen telefonischen Kontakt oder einen Videokontakt mit einem Arzt gab es dabei nicht. Auf der Webseite befanden sich unter anderem folgende weitere Hinweise:

Hierzu ein Auszug aud dem Tatbestand des Urteils des LAG Hamm vom 05.09.2025 - 14 SLa 145/25
„Krankschreibung mit Arztgespräch gültig mit Geld-zurück-Garantie, falls Deine AU nicht sofort akzeptiert wird. Wir zahlen Dir sogar 100% Deines Lohns, falls er verweigert wird. Beim AU-Schein OHNE Arztgespräch solltest Du Deinen Arbeitgeber sofort um Akzeptanz der AU bitten, insb. wenn er misstrauisch ist. Schreib´ ihm z.B.: 'Hier ist meine AU als PDF. Ist die OK so?'. Falls er sie nicht zeitnah akzeptiert, storniere kostenlos und hol Dir lieber die AU MIT Gespräch bis zu 3 Tage rückwirkend von unseren online Ärzten mit deutscher Zulassung oder von einem Praxisarzt.

Denn unsere AU OHNE Arztgespräch hat im Streitfall vor Gericht geringeren Beweiswert als unsere AU MIT Arztgespräch. Falls Dein Chef dann Indizien gegen Dich hat (z.B. Partyfoto auf Instagram), bräuchtest Du weitere Beweise (z.B. Freund als Zeuge). Die zugelassenen Ärzte für die gültige AU OHNE Arztgespräch sind zudem international und nur online tätig, so dass sie weder Praxissitz noch Zulassung in Deinem Land benötigen. Das könnte misstrauische Arbeitgeber bei Nachforschungen irritieren, da diese Ärzte nur im Ausland und somit nicht bei einer deutschen Ärztekammer registriert sind. Auf der AU steht daher unter dem Arztnamen statt der Adresse in Pakistan nur: 'Privatarzt per Telemedizin' sowie dessen deutsche WhatsApp-Nr. und deutsche Email Adresse.“
 

Anschließend übermittelte der Arbeitnehmer das Attest als Nachweis der Arbeitsunfähigkeit an seine Arbeitgeberin und deren System bestätigte den Upload mit „approved“. Fünf Tage später nahm der Arbeitnehmer seine Arbeit wieder auf.

Später hatte die Personalabteilung der beklagten Arbeitgeberin Zweifel an der Echtheit der Bescheinigung – auch weil sich im elektronischen Meldesystem der Krankenkasse keine entsprechende elektronische Arbeitsunfähigkeitsmeldung (eAU) befand. Zudem enthielt das Attest einen Hinweis, dass es nicht von einem deutschen Vertragsarzt ausgestellt wurde. Der vorgebliche Arzt war lediglich als „Privatarzt per Telemedizin“ ohne deutsche Adresse ausgewiesen mit WhatsApp-Nummer und E-Mail-Adresse.

Am 18.09.2024 kündigte die Beklagte ihrem Mitarbeiter dann außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich. Hiergegen klagte der Mitarbeiter erfolgreich vor dem ArbG Dortmund. Dem Gericht zufolge hätte eine Abmahnung als milderes Mittel ausgereicht und es stünde auch nicht fest, dass der Arbeitnehmer arbeitsfähig war. Gegen die erstinstanzliche Entscheidung zog die Beklagte dann mit einer Berufung vor das LAG Hamm.

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LAG Hamm: Kläger hat arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht schwer verletzt

Die 14. Kammer des LAG Hamm ordnete die fristlose Kündigung als rechtmäßig ein. Nach Auffassung der Kammer hatte der Kläger seine Arbeitgeberin durch Vorlage des Online-Attests arglistig getäuscht. Er habe „bewusst wahrheitswidrig“ suggeriert, dass es zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit einen Arztkontakt gab. Darin sah die Kammer eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Sinne von § 241 Absatz 2 BGB. Die weiteren wesentlichen Erwägungen der Kammer:

  • Täuschung über tatsächliche Untersuchung: Optisch glich das vorgelegte Formular weitgehend dem offiziellen Musterformular. Der Kammer zufolge ließen Begriffe wie „Fernuntersuchung“ darauf schießen, es habe Arzt-Patienten-Kommunikation – über per Video oder Telefon –  gegeben. Tatsächlich hat aber keine Untersuchung stattgefunden. Nach der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Arbeitsunfähigkeit (GB-A) dürfen AU-Bescheinigungen prinzipiell aber nur nach einer ärztlichen Untersuchung ausgestellt werden, die mindestens entweder per Videosprechstunde oder nach telefonischer Anamnese stattgefunden hat.

  • Täuschungsabsicht: Dies war dem Kläger bewusst, so die Kammer weiter, denn die Webseite, von der das Attest stammt, hatte unmissverständlich darauf hingewiesen, dass bei der günstigen Variante keine ärztliche Konsultation erfolgt. Auch der Disclaimer auf den benannten Online-Seiten hatte empfohlen, im Zweifel die teurere Version mit Arztgespräch zu wählen – und zwar vor allem dann, wenn der Arbeitgeber misstrauisch ist. Zudem enthielten die Seiten den Hinweis, dass eine AU ohne Arztkontakt einen geringeren Beweiswert vor Gericht habe. Obwohl dem Kläger dies alles bekannt war, entschied er sich für die Sparversion.
  • Erschleichen der Entgeltfortzahlung: Darüber hinaus ist nach Überzeugung der Kammer der Vorwurf des Erschleichens der Entgeltfortzahlung begründet – denn der Kläger hatte ein unrechtmäßiges Attest benutzt, um Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu erhalten.
  • Beweiswert der AU-Bescheinigung erschüttert: Zwar darf der Arbeitgeber eine Bescheinigung zum Nachweis einer AU im Regelfall nicht anzweifeln. Dies gilt aber nur solange, wie der Beweiswert der Bescheinigung nicht erschüttert ist. Eine Erschütterung ist aber wegen der Nichteinhaltung der medizinischen Standards, die die Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie vorschreibt, gegeben. Als Folge hätte nun der Kläger darlegen und beweisen müssen, dass er in dem betreffenden Zeitraum tatsächlich krank war. Dies gelang ihm nicht, denn hierfür reicht eine pauschale Beschreibung der Symptome – wie Unwohlsein, Husten und Gliederschmerzen nicht aus. Der Kläger konnte nicht substantiiert darlegen, wie sich sein Gesundheitszustand auf die Arbeitsfähigkeit ausgewirkt hat. Die Folge: Der Arbeitgeber durfte das Fehlen als unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit ansehen.
  • Abmahnung entbehrlich: Schließlich sah die Kammer eine Abmahnung als entbehrlich an. Demnach war auch die einmalige Pflichtverletzung so gravierend, dass sie das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeberin und Arbeitnehmer zerstört hat. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses war der Arbeitgeberin deshalb nicht mehr zumutbar – auch nicht bis zum Ablauf der Kündigungsfrist, so die Kammer.
Quelle: Urteil des LAG Hamm vom 05.09.2025 – 14 SLa 145/25


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(ESV / Bernd Preiß)

Programmbereich: Arbeitsrecht