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Für Diana Nacarlı ist Leichte Sprache eine große Chance. (Foto: privat)
Nachgefragt bei Dr. Diana Nacarlı

„Leichte Sprache ist eine Varietät, die dem Abbau sprachlicher Barrieren dient“

ESV-Redaktion Philologie
17.05.2024
Texte lesen und verstehen zu können ist eine wesentliche Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Doch was bedeutet es, wenn ein geschriebener Text zu kompliziert ist? Menschen mit Leseschwierigkeiten können beispielsweise bereits auf Probleme stoßen, wenn Sie einen Elternbrief oder den Beipackzettel eines Medikaments lesen wollen. Wenn jedoch wichtige Informationen aus der Schule, die das eigene Kind betreffen, oder Informationen über den richtigen Gebrauch eines Medikaments nicht zugänglich sind, stehen Betroffene vor großen Schwierigkeiten.
Anlässlich der Veröffentlichung ihres Buchs Leichte Sprache und Schule haben wir mit Diana Nacarlı gesprochen. Sie hat uns erzählt, worum es sich bei Leichter Sprache handelt, welche Möglichkeiten sie bietet und warum sich das Buch auf den Schulkontext bezieht. Lesen Sie im Folgenden das komplette Interview. Viel Spaß.

Liebe Frau Nacarlı, Sie befassen sich in Ihrem Buch mit Leichter Sprache, können Sie unseren Leserinnen und Lesern bitte kurz erklären, worum es sich dabei handelt?


Diana Nacarlı: Leichte Sprache ist eine Varietät, die dem Abbau sprachlicher Barrieren dient und ist aus einer Bewegung von Menschen mit Lernschwierigkeiten, wie sie sich selbst bezeichnen, entstanden. Unter anderem das Netzwerk Leichte Sprache hat hierfür einen Regelkatalog erstellt. Demnach sollen in Leichter Sprache zum Beispiel schwere Wörter oder komplexe Satzstrukturen vermieden werden.

Wenn mehr als 5 % der Wörter eines Textes unbekannt sind, ist ein Text für Schülerinnen und Schüler laut wissenschaftlichen Forschungen nur schwer verständlich. Man benötigt also einen ausreichend großen Wortschatz, um eine gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Könnte Leichte Sprache in diesem Zusammenhang einen positiven Einfluss haben?

Diana Nacarlı: Das ist im Prinzip das, was ich in meiner Untersuchung herausfinden wollte. Die kurze Antwort ist: Ja. Allerdings ist die Lesekompetenz auch entscheidend. Schwächere Leser/-innen können unter Umständen durch die Länge eines Leichte-Sprache-Textes überfordert werden. Wen die lange Version dieser Antwort interessiert, sollte unbedingt einen Blick in mein Buch werfen.

Auszug aus: „Leichte Sprache und Schule“ 21.05.2024
„Sprache öffnet uns die Welt und grenzt sie ein – im gleichen Moment.“
Die Fähigkeit zu lesen, eröffnet uns die Welt, sie erteilt uns Zugang und ist Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Mündliche Konversationen allein reichen häufig nicht aus. Kübra Gümüşay, formuliert in ihrem Buch „Sprache und Sein“ von 2020 dieses Paradox so: „Sprache öffnet uns die Welt und grenzt sie ein – im gleichen Moment.“ Wo das Lesen Möglichkeiten schafft, schafft es auch Grenzen. Aber könnten diese durch Leichte Sprache überwunden werden? mehr …

Sie sprechen in Ihrem Buch von fast-mapping. Was versteht man darunter?


Diana Nacarlı: Das fast-mapping bezeichnet den Prozess, der hinter dem Wort- und Bedeutungserwerb steht. Kurz gefasst bedeutet es, dass Wörter nach ein- oder zweimaligem Hören oder Lesen aufgenommen und gespeichert werden. Zunächst ist die Bedeutung, die mental abgespeichert wird, noch nicht so ausdifferenziert. Durch erneute Konfrontation mit dem Wort erweitert sich die Information und damit die mentale Repräsentation des Wortes.

Leichte Sprache bietet viele Möglichkeiten, hat aber auch Grenzen. Gäbe es eine Alternative, wie Texte verständlich gestaltet werden können, ohne zwangsläufig Leichte Sprache zu verwenden?

Diana Nacarlı: Eine andere Alternative ist einfache Sprache. Auch diese Variante wird bereits häufig eingesetzt. Hier werden Texte sehr intuitiv erstellt, da es keinen Regelkatalog wie bei der Leichten Sprache gibt. Allerdings können Texte in einfacher Sprache für einige Leser/-innen und vor allem je nach Thema immer noch zu schwer sein.

Warum haben Sie sich mit Leichter Sprache in der Schule befasst? Was ist die Besonderheit in diesem Kontext?

Diana Nacarlı: Wie verschiedene Vergleichsstudien zeigen, sind wir immer noch weit entfernt von einem wirklich gerechten Bildungssystem. Damit wir uns diesem Ziel nähern können, brauchen wir effektive Lösungen, die vielleicht auch unkonventionell sind. Leichte Sprache hat hier in meinen Augen ein besonderes Potenzial.

Denken Sie, dass die Digitalisierung im schulischen Bereich einen großen Einfluss auf die Verwendung von Leichter Sprache haben kann? Welche Möglichkeiten und Grenzen sehen Sie darin?

Diana Nacarlı: Das Schöne an der Digitalisierung ist, dass sich die individuellen Lernausgangslagen gut berücksichtigen lassen. Ich denke, Digitalisierung und Leichte Sprache könnten sich daher gut ergänzen. Allerdings bietet die Digitalisierung viele weitere Anknüpfungspunkte, die ganz flexibel gestaltet werden können. Welchen Einfluss beide Phänomene aufeinander nehmen werden, kann ich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht sagen.

Wir danken Ihnen herzlich für dieses aufschlussreiche Interview, liebe Frau Nacarlı.
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Falls Sie, liebe Leserinnen und Leser, nun neugierig geworden sind und mehr wissen wollen, können Sie das Buch oder das eBook hier bestellen.

Zur Autorin
Dr. Diana Nacarlı arbeitet an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl Deutsche Philologie/Didaktik der deutschen Sprache. Sie forscht und lehrt zur Verwendung der „Leichten Sprache“ und ist stellvertretende Diversitätsbeauftragte der Philosophischen Fakultät an der Universität Kiel.
Leichte Sprache und Schule

von Diana Nacarlı

Durch das Recht auf inklusive Bildung sind Bildungsinstitutionen wie die Schule vor die Herausforderung gestellt, Lerngelegenheiten so zu gestalten, dass sie für alle Schülerinnen und Schüler zugänglich sind.
Insbesondere im Zusammenhang mit der Zugänglichkeit von Texten wird in den letzten Jahren auch in der didaktischen Forschung immer häufiger diskutiert, inwiefern sich Leichte Sprache zu diesem Zweck einsetzen lässt. Eine grundlegende Bedingung für den Einsatz Leichter Sprache im Unterricht ist allerdings, dass durch sie ein Kompetenzausbau möglich ist. Kann Leichte Sprache das leisten? Das Buch gibt Antworten auf diese Frage. 

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik