Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Welcher Fall ist der richtige? (Foto: blende11.photo– stock.adobe.com)
Deutsche Grammatik

Mehrsprachigkeit, Funktionalität, Kommunikation – neue Ansätze in der Grammatikdidaktik

ESV-Redaktion Philologie
20.08.2021
Was ist korrektes Deutsch? Die Formulierung „Sie nahm sich des Kindes an“ mit Genitiv-Objekt – oder doch besser: „Sie nahm sich dem Kind an“ mit Dativ-Objekt? Grammatikvermittlung zählt zu den Hauptaufgaben des Deutschunterrichts, im Lehramtsstudium kommt sie jedoch häufig zu kurz. Dabei geht es beim Unterrichten nicht nur um die Vermittlung von Regeln, sondern auch um das Verstehen der Sprachstruktur und ihre Anwendung beim Sprechen und Schreiben. Kann dabei die Mehrsprachigkeit von Lernenden vielleicht sogar als Chance wahrgenommen werden? Es gibt viele Gründe, die dafür sprechen.
Ludger Hoffmanns erfolgreiche Deutsche Grammatik, die nun bereits in der 4. Auflage erscheint, bietet Lehrenden einen umfassenden Überblick zur Grammatik und ihrer praktischen Anwendung. Lesen Sie hier einen Textauszug.

Von Sprache geprägt ist die Kommunikative Welt, in der und über die wir uns verständigen können. Unser Wissen über Personen, Orte, Ereignisse, die für uns und Andere wichtig sind, geben wir in der Sprache weiter. In der Sprache sagen wir, was wir für wahr halten oder was andere tun sollen, drücken wir uns als Personen aus mit Gefühlen, Bewertungen, Wünschen und Hoffnungen. Ohne Sprache lässt sich nicht klären, was richtig und falsch ist, was man tun soll und was man wissen kann. Sprache ist das Fundament der Lernprozesse in den meisten Feldern. Ohne sie können wir Wissen nicht in unserem Kopf verankern, nicht verallgemeinern, keine Schlüsse ziehen. Sprache ist das Medium des Wissens, der Verständigung und des inneren Dialogs. Sie ist bestimmt durch menschliche Zwecke und eingebunden in menschliche Kultur und Praxis. […]

Grammatik ist das Formensystem einer Sprache, das ausgebildet ist, um die Zwecke der Handelnden zu erfüllen. Wer Formen losgelöst von ihren Funktionen betrachtet, versteht nur die Hälfte. Für die funktionale Perspektive ist es wichtig, die Position von Hörer oder Leser einzunehmen […].

Geht man von der Sprache aus, wie sie im praktischen Gebrauch vorkommt, kann man sich nicht allein auf selbst erfundene Beispiele stützen. Der Unterricht sollte immer mit wirklicher Sprache, echten Gesprächen und Texten arbeiten. Gespräche kann man aufzeichnen und in zentralen Passagen verschriften. Die Lehrwerke liefern leider fast nur Erfundenes, wo doch die Wirklichkeit spannend genug ist. Die Daten einer funktionalen Grammatik kommen aus authentischen Gesprächen wie aus schriftlichen Texten (Presse, aber auch anspruchsvollere literarische Beispiele). Für Recherchen kann heute bequem das Netz genutzt werden, es stehen dort auch systematisch zusammengestellte Korpora zur Verfügung wie „Das Deutsche Referenzkorpus (DeReKo)“ […]. Im Rahmen schulischer Projekte hat es sich bewährt, selbst Aufnahmen zu machen, zu verschriften und in den Sprachunterricht einzubeziehen. Eine sorgfältige Transkription erlaubt es, Gespräche und die zugehörigen Äußerungen wie unter einer Lupe zu betrachten und die Funktionalität sprachlicher Mittel zu untersuchen.

Nachgefragt bei Prof. Dr. Ludger Hoffmann 18.08.2021
„Auch Grammatiker leben in der Gegenwart“
Grammatik stellt die Grundstruktur jeder Sprache dar – und hat doch bei Lernenden den Ruf einer zwar notwendigen, aber trockenen Pflichtübung. Dabei kann und sollte Grammatik so aktuell sein wie Sprache selbst. Der Erfolg der auf dem funktionalen Ansatz basierenden „Deutschen Grammatik“ von Prof. Dr. Ludger Hoffmann zeigt, dass in der Didaktik ein Bedürfnis nach neuen Perspektiven besteht. Durch die Betonung von Mehrsprachigkeit im Unterricht und Exkursen zu Themen wie Fake News ist das Werk auch in der neuen 4. Auflage so aktuell wie nie. Mehr über Strategien zur zeitgemäßen Vermittlung deutscher Grammatik erfahren Sie im Interview mit Prof. Dr. Ludger Hoffmann. mehr …
Mehrsprachigkeit in der Schulklasse bietet für den Grammatikunterricht große Vorteile. Man macht ganz andere Spracherfahrungen, wenn man eine Sprache durch die Brille einer anderen sieht, zumal wenn es eine vom Sprachtyp her völlig unterschiedliche ist wie Türkisch […], das als Turksprache zur altaischen Sprachfamilie gehört. Aber auch in einer slavischen Sprache wie Russisch, einer romanischen wie Italienisch oder dem indoeuropäischen Farsi/Persisch zeigen sich erhebliche Unterschiede. Im Kontrast wird das Profil des Deutschen besonders klar. In dieser Grammatik werden wir an markanten Punkten kurz auf das Türkische, manchmal auch auf Russisch und Englisch eingehen, aber ohne einen Sprachvergleich wirklich auszuführen, für den tiefere Kenntnisse nötig sind. Das Sprachwissen ist durch die Erstsprache geprägt, eine andere Erstsprache macht aber Fehler in einer zweiten Sprache nicht vorhersagbar. Entscheidend ist, wie das Wissen um zweitsprachliche Strukturen in das Sprachwissen integriert wird. Nicht nur die Erstsprache ist wichtig, auch die Art des Zugangs und das Konzept von der Zweitsprache sind einzubeziehen. […] Wer Fehler von Schülern erklären will, wird oft auf mehrere Möglichkeiten stoßen. In jedem Fall ist sprachliches Strukturwissen für die Sprachförderung von hohem Wert. Und es ist nützlich, grammatische Problemzonen zu kennen […]

Der Sinn grammatischer Arbeit liegt darin, dass wir besser verstehen können, gerade auch schwierigere Texte. Und dass wir reflektierter, präziser, sorgfältiger formulieren – dem Gemeinten eine sprachliche Form geben – können, um besser verstanden zu werden. Etwas so genau und so schön sagen zu können, dass es kaum besser geht, bereitet großes Vergnügen – das muss man erfahren und Anderen erfahrbar machen. […]

Sprache ist uns so selbstverständlich, dass es schwer fällt, Abstand zu gewinnen. In Äußerungen müssen wir wieder entdecken, was wir im Alltag schon verstehen, aber nicht beschreiben und erklären können. Das Sprachwissen ist in den Köpfen, es muss herausgeholt, genutzt, mit realen Sprachdaten konfrontiert und ins Bewusstsein gehoben werden. So kann die sprachliche Entdeckungsreise beginnen, an deren Ende – und nicht eher – wir das Erfahrene und Erkannte formulieren und in Kategorien fassen können. Anfangs kann noch weitgehend ohne grammatische Termini gearbeitet werden. Dann ist Schritt für Schritt eine gemeinsame Sprache aufzubauen, in der wir Erklärungen ausdrücken und später Sprachen vergleichen können.

Wenn wir Sie neugierig gemacht haben, können Sie die „Deutsche Grammatik“ hier bestellen.
Deutsche Grammatik
Autor: Prof. Dr. Ludger Hoffmann
Dies ist eine Grammatik für alle, die Deutsch unterrichten, für die Lehrerausbildung und für Deutsch als Zweit- und Fremdsprache. Sie ist unter der Perspektive der Vermittlung geschrieben: Was sollten Lehrende und Lernende über Sprache wissen? Diese Grammatik liefert das Wissen, das man für diese Aufgaben braucht.
Die grammatischen Phänomene werden in ihrer Sachlogik dargestellt und in eine didaktisch begründete Abfolge gebracht. Ausführlich behandelt werden Bereiche, die erfahrungsgemäß Lernenden Probleme bereiten, z.B. Artikelgebrauch und Präpositionen.
Die Grammatik lässt ein Bild des Deutschen entstehen. Sie stellt sich der Sprachwirklichkeit und arbeitet mit überwiegend authentischen Gesprächs- und Textbeispielen.
Neu in der 4. Auflage sind Kapitel zur Intonation und zur deutschen Wortbildung sowie Abschnitte zu Beleidigungen, sprachlichem Rassismus und Fake News.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik