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Die meisten Unternehmen sind extrem schlecht auf den Umgang mit Trauerfällen vorbereitet. (Foto: Felix Meindl)
Im Gespräch mit Felix Meindl, Gründer von Chronos, dem Sozialunternehmen hinter dem Projekt GEDENKEN SCHENKEN

Mentale Gesundheit von Mitarbeitenden während einer Verlustkrise fördern

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
12.02.2024
Zusammen mit seiner Frau Julia hat Felix Meindl Chronos gegründet, das Sozialunternehmen hinter dem Projekt GEDENKEN SCHENKEN. Er ist studierter Psychologe und Experte für Innovation und Design. Seine Mission liegt darin, moderne Wege im Umgang mit Tod und Trauer zu erforschen und in einer Handlungsanleitung für Trauernde zu bündeln.
Herr Meindl, ist Trauer am Arbeitsplatz ein relevantes Thema?

Ja, Trauer am Arbeitsplatz ist keine Seltenheit. Jährlich sterben in Deutschland mehr als 900.000 Menschen, davon ca. 140.000 im erwerbsfähigen Alter. In dieser Zahl sind übrigens Fehlgeburten nicht enthalten. Schätzungen des RKI gehen von mindestens 4 % aus. Das wären durchschnittlich 30.000 Fehlgeburten pro Jahr. Das sind weitere 60.000 Fachkräfte, die einen Verlust erleiden und um ihr Kind trauern.

Man geht davon aus, dass in Deutschland etwa 6 % der Beschäftigten um einen nahestehenden Menschen trauern und 4 von 1000 Beschäftigten noch vor dem Renteneintritt sterben werden. Mit dem demografischen Wandel wird das Thema Tod und Trauer am Arbeitsplatz in den kommenden Jahren an Wichtigkeit zunehmen.

Was viele nicht wissen: Trauer multipliziert sich. Wenn wir mit dem Tod und der Trauer anderer konfrontiert werden, bringt das immer auch die eigenen Trauererfahrungen wieder nach oben. Nicht selten fühlen sich deshalb Kollegen*innen emotional belastet, obwohl sie gar keinen engen oder direkten Kontakt zur verstorbenen Person hatten. Wir empfehlen deshalb auch in der erweiterten Belegschaft auf Anzeichen von Trauer zu achten.

Was sind die negativen Auswirkungen von Trauer am Arbeitsplatz?

Unverarbeitete Trauer kostet US-Unternehmen laut McKinsey jährlich Milliarden an Dollar durch Produktivitäts- und Leistungsverlust. Denn Trauernde sind mit sich selbst beschäftigt und ihr Fokus liegt weitgehend auf dem Negativen. Dadurch fällt es ihnen schwer, auf Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen einzugehen. Gerade bei Führungskräften sind diese Unnahbarkeit und Passivität ein Problem, denn sie wirken sich auch auf das Verhalten der gesamten Abteilung negativ aus.

Für deutsche Unternehmen gibt es leider keine verlässlichen Studien zu den entstehenden Kosten von Trauer. Was fest steht, ist, dass sich Trauer negativ auf die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitenden und deren Kolleg*innen auswirkt.

Stellen Sie sich Trauer als unsichtbaren Kollegen vor, der für
  • stark erhöhte Fehlzeiten,
  • Produktivitätsverluste,
  • erhöhte Fehlerquoten,
  • geschwächte Moral und
  • Fluktuation sorgt.
Welche Hilfsmittel benötigen Führungskräfte, Kolleg*innen und die trauernde Person selbst, um einen souveränen Umgang mit einem direkten oder indirekten Todesfall finden zu können?

Trauernde sind oft überfordert von den rohen Emotionen und haben in einer Trauerkrise meist keine Energie, sich Unterstützung zu suchen. Führungskräfte und Kolleg*innen des trauernden Menschen fühlen sich ebenfalls oft mit der Situation überfordert. Es empfiehlt sich, einen Notfallplan für den Umgang mit Trauerfällen und Todesfällen in der Organisation zu entwickeln. Eine einfache Checkliste kann dabei schon sehr hilfreich sein. Eine professionelle Trauerbegleitung ist ebenfalls sehr empfehlenswert.

Da sich viele Trauernde von klassischen gesprächstherapeutischen Angeboten nicht angesprochen fühlen, haben wir GEDENKEN SCHENKEN als Trauerbegleitung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Perspektiven, Handlungsimpulsen und Ritualvorschlägen konzipiert. Das Kartenset fungiert als emotionales Erste-Hilfe-Toolkit. Es gibt Trauernden das nötige Wissen und Handwerkszeug, um sich effektiv und selbstbestimmt mit ihrer Trauer auseinanderzusetzen und dabei handlungsfähig zu bleiben.

Dieses niederschwellige Selbsthilfeangebot ist insbesondere für Männer eine echte Alternative, da diese traditionelle Therapieangebote häufig nicht wahrnehmen.

Für das Betriebliche Gesundheitsmanagement bieten sich folgende Vorteile:
  • Wertschätzung zeigen: GEDENKEN SCHENKEN ist eine Beileidsbekundung der besonderen Art, die über Jahre hinweg Trost spendet.
  • Fehltage reduzieren: Betroffene erhalten Methoden und Strategien, um trotz Trauerkrise funktionsfähig zu bleiben und ihre emotionale und körperliche Gesundheit zu erhalten.
  • Fachkräfte halten: Fachkräfte honorieren es, wenn Unternehmen in Krisensituationen für sie da sind. Dadurch wird die Mitarbeiterbindung nachhaltig gestärkt.
Wie funktioniert GEDENKEN SCHENKEN?

Wir haben auf 108 Karten wissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema Trauer sowie erprobte Handlungsimpulse und Rituale für den Umgang mit dem Verlust eines geliebten Menschen zusammengefasst. Die umfangreichen Facetten eines Trauerprozesses haben wir in kleine Portionen heruntergebrochen. Jede Karte widmet sich einem eigenen Thema. Zur Orientierung dienen die sieben Kategorien „Trauer verstehen“, „Funktionieren“, „Trauer leben“, „Abschied nehmen“, „Verbunden bleiben“, „Sich orientieren“ und „Sinn finden“.

Das Kartenformat zielt auf die Individualität von Trauer ab, die keine Reihenfolge kennt. Ob eine Karte pro Tag, eine pro Woche oder eine pro Monat, jede*r entscheidet selbst, welche Inhalte wann hilfreich sind und kann so in Eigenregie die passgenaue Unterstützung für seinen oder ihren individuellen Trauerweg gestalten – durch die ersten zwei Trauerjahre und darüber hinaus.

Für wen sind die Gedenkimpulse empfehlenswert?

Unser Produkt richtet sich insbesondere an Trauernde, die sich von klassischen gesprächsbasierten Angeboten wie Trauerbegleitung, Selbsthilfegruppen oder Therapie nicht angesprochen fühlen. Mit unseren Gedenkimpulsen erhalten sie Anleitung, ihre Trauer in Eigenregie zu konfrontieren. Unsere Ansprache richten wir vorwiegend an Zugehörige, also an Familie, Freund*innen und Kolleg*innen, bzw. Menschen aus dem näheren Umfeld, die helfen wollen, aber nicht wissen wie. Das Kartenset ist ein hilfreiches Trauergeschenk für alle, die mehr geben wollen als nur eine Kondolenzkarte. Es ist eine wertschätzende Möglichkeit, ihr Beileid zu bekunden und für Begleitung auf dem steinigen Trauerweg zu sorgen.

Und für Unternehmen?

Vor allem im Betrieblichen Gesundheitsmanagement sehen wir einen zunehmenden Bedarf, die mentale Gesundheit zu fördern. Der DAK-Psychreport 2023 zeigt, dass die Zunahme von Fehltagen am Arbeitsplatz aufgrund psychischer Erkrankungen enorm ist: Der Anstieg zwischen 2011 und 2021 beträgt 41 %! Und psychisch bedingte Arbeitsausfälle dauern typischerweise länger als physisch bedingte Abwesenheiten und betragen im Durchschnitt 39,2 Tage.

Offizielle Daten zeigen, dass etwa die Hälfte der Fehltage unter der Diagnose „Belastungs- und somatoforme Störungen“ (F40-F48 ICD) gelistet sind. Diese Störungen können unter anderem durch einen Trauerfall verursacht sein. Da jedoch die Klassifikation zu wünschen übrig lässt und sich viele Menschen in Trauerfällen keine professionelle Unterstützung holen, gibt es leider keine konkreten Zahlen für Trauer.

Eins steht jedoch fest: Die meisten Unternehmen sind laut McKinsey und dem International Institute for Management Development extrem schlecht auf den Umgang mit Trauerfällen vorbereitet.

Herr Meindl, vielen Dank für das Gespräch!


Über Chronos
Chronos, griechisch für die Personifikation der Zeit, ist ein gemeinwohlorientiertes Unternehmen, das 2022 gegründet wurde. Ziel des Unternehmens ist es, die Qualität unserer begrenzten Lebenszeit zu erhöhen. Chronos konzentriert sich auf Themen, die oft vernachlässigt werden, aber wesentlicher Bestandteil des Lebens sind. Dazu gehört auch die Enttabuisierung von Tod und Trauer, um einen gesunden Umgang mit dem natürlichen Kreislauf des Lebens zu fördern.

Weitere Informationen unter: www.gedenkenschenken.de

Das Interview erschien zuerst in unserer Fachzeitschrift:


Betriebliche Prävention

Redaktionsbeirat: Dr. Michael Au, Prof. Dr. Gudrun Faller, Prof. Dr.-Ing. Anke Kahl
Redaktion: Florian Gräfe

Programmbereich: Arbeitsschutz

Betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz in sich verändernden Berufswelten gestalten – die Betriebliche Prävention zeigt Ihnen, wie es geht: Angesehene Spezialisten berichten jeden Monat neu zu fachlichen und rechtlichen Entwicklungen aus Prävention, Organisation und Unfallversicherung. Erfahren Sie das Wichtigste zu den Aktivitäten maßgeblicher Institutionen, zu Veranstaltungen, Literatur und allen weiteren Ereignissen, die Ihr Berufsfeld so vielseitig machen.

Betriebliche Prävention und Organisation

Die „Betriebliche Prävention“ beleuchtet aus unterschiedlichen Branchen und Perspektiven u. a., wie Sie

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Unfallversicherung und Recht

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„Alarmierender Trend“ 21.12.2023
Psychische Belastungen führen zu vielen Krankheitstagen
Die Arbeitsunfähigkeit aufgrund psychischer und Verhaltensstörungen bewegt sich nach wie vor auf hohem Niveau. In den vergangenen fünf Jahren gab es einen Anstieg von 1,7 Prozent, in den vergangenen zehn Jahren von 4,8 Prozent. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor. mehr …

(ESV/FG)

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