
Millionenklage von Kaufhauskonzern wegen Schadenersatz aufgrund der Corona-Lockdowns gescheitert
Klägerin: Entscheidungsgrundlage sachlich unrichtig
Nach Auffassung der Klägerin verletzen die Rechtsverordnungen zu den Lockdowns die Grundrechte der Kaufhausketten. So seien die Betriebsschließungen rechtswidrig gewesen, weil die Schließungen ohne ein durchdachtes epidemiologisches Konzept durchgesetzt wurden und eine vollständige und sachlich richtige Entscheidungsgrundlage fehlte. Es mangelte zudem an einer Evaluierung der Effektivität der Maßnahmen aus wissenschaftlicher Sicht sowie an einer systematischen Analyse und Aufarbeitung von relevanten Ausbruchsuntersuchungen im Einzelhandel. Zudem, so die Klägerin weiter, waren die Verordnungen zur Erreichung des Infektionsschutzziels unverhältnismäßig.
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LG Stuttgart: Betriebsschließungen hatten wirksame Rechtsgrundlage
Die Klage hatte vor der 7. Zivilkammer des LG Stuttgart keinen Erfolg. Die Kammer hat die Klage abgewiesen, weil sie keine Schadenersatzpflicht des Landes für coronabedingte Betriebsschließungen sah. Die wesentlichen Überlegungen der Kammer:
- Wirksame Rechtsgrundlage: Die Kammer sieht in den § 28 Abs. 1 mit § 28a und § 32 IfSG eine wirksame Rechtsgrundlage für die Betriebsschließungen. Insoweit betont sie zunächst die weltweite Ausbreitung von COVID-19, die die WHO am 11.03.2020 zu einer Pandemie erklärt hatte. Wie den Lageberichten des Robert-Kochs-Instituts (RKI) zu entnehmen ist, gab es in den Zeiträumen der verhängten Lockdowns zahlreiche infizierte Menschen und eine hohe Anzahl von krankheits- und ansteckungsverdächtigen Personen. Auch der BGH, so die Kammer weiter, habe in seinen Entscheidungen vom 03.08.2023 (III ZR 54/22) und vom 11.02.2024 (III ZR 134/22) ausführlich dargelegt und begründet, dass in den fraglichen Zeiträumen die Voraussetzungen für die Maßnahmen aus dem IfSG vorlagen. Damit folgt die Kammer dem BGH in Bezug auf die Pandemielage.
- Verhältnismäßigkeit: Die Eingriffe in Grundrechte waren durch das Ziel des Infektionsschutzes auch gerechtfertigt, so die Kammer weiter. Demnach hat die Bewertung der Maßnahmen nach der Sachlage zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zu erfolgen und nicht nach den späteren Entwicklungen. Ebenso sind Prognoseentscheidungen des Verordnungsgebers zulässig, was selbst bei einer unvollständigen Datenlage gilt. Bei der Wahl und Ausgestaltung der Maßnahmen hatte der Verordnungsgeber zudem einen weiten Beurteilungsspielraum.
- Ziel der Maßnahmen: Die angegriffenen Maßnahmen sollten der Eindämmung der Virusverbreitung dienen – und zwar durch Reduktion von Kontakten, um der Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen, was ein legitimes Ziel ist.
- Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz: Schließlich sah die Kammer auch keinen Verstoß gegen Art. 3 GG. So war die Privilegierung von Betrieben der Grundversorgung – etwa bei Supermärkten oder Baumärkten – nach weiterer Auffassung der Kammer sachlich gerechtfertigt. Es durften auch Mischsortimente verkauft werden, weil diese nur eine untergeordnete Bedeutung hatten. Damit wurde der Kammer zufolge der allgemeine Gleichheitssatz nicht verletzt, denn eine differenzierte Behandlung war wegen Gemeinwohlinteressen demnach vertretbar. Auch einzelne Benachteiligungen seien in einer Pandemielage hinzunehmen, wenn das Gesamtkonzept – wie vorliegend – sachlich nachvollziehbar ist.
Quelle: PM des LG Stuttgart vom 15.04.2025 zum Urteil vom selben Tag – 7 O 224/23
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(ESV/bp)
Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht