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Das Foto zeigt ein Schaufenster mit Auslagen und der Spiegelung der Umgebung in Unschärfe in der Coronazeit im März 2020 (Foto: Marc Bode / stock.adobe.com)
Corona-Lockdowns und Schadenersatz

Millionenklage von Kaufhauskonzern wegen Schadenersatz aufgrund der Corona-Lockdowns gescheitert

ESV-Redaktion Recht
16.04.2025
Anlässlich von Corona gab es zahlreiche zeitlich begrenzte Betriebsschließungen, die teilweise zu erheblichen Umsatz- und Gewinnausfällen führten. Ein großer Kaufhauskonzern wollte dies nicht hinnehmen und forderte vom Land Baden-Württemberg über 32 Millionen EUR an Schadenersatz. Nun hat das LG Stuttgart darüber entschieden.
Geklagt hatte die Muttergesellschaft zweier großer Kaufhausketten. Für die zum Teil mehrmonatigen Geschäftsschließungen aufgrund der Lockdowns vom 18.03.2020 bis 03.05.2020 (1. Lockdown) sowie vom 16.12.2020 bis 22.04.2021 (2. Lockdown) fordert die Klägerin Schadenersatz für ausgefallene Gewinne.


Klägerin: Entscheidungsgrundlage sachlich unrichtig  


Nach Auffassung der Klägerin verletzen die Rechtsverordnungen zu den Lockdowns die Grundrechte der Kaufhausketten. So seien die Betriebsschließungen rechtswidrig gewesen, weil die Schließungen ohne ein durchdachtes epidemiologisches Konzept durchgesetzt wurden und eine vollständige und sachlich richtige Entscheidungsgrundlage fehlte. Es mangelte zudem an einer Evaluierung der Effektivität der Maßnahmen aus wissenschaftlicher Sicht sowie an einer systematischen Analyse und Aufarbeitung von relevanten Ausbruchsuntersuchungen im Einzelhandel. Zudem, so die Klägerin weiter, waren die Verordnungen zur Erreichung des Infektionsschutzziels unverhältnismäßig.
 
Darüber hinaus hätten vor allem Lebensmitteleinzelhändler – aber auch Baumärkte – während der Lockdowns ihre gesamten Non-Food-Sortimente ohne Beschränkungen anbieten dürfen. Demgegenüber habe das Land dem reinen Non-Food-Einzelhandel die Öffnung seiner Geschäfte vollständig untersagt. Damit liegt den Klägern zufolge ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor.  


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LG Stuttgart: Betriebsschließungen hatten wirksame Rechtsgrundlage 


Die Klage hatte vor der 7. Zivilkammer des LG Stuttgart keinen Erfolg. Die Kammer hat die Klage abgewiesen, weil sie keine Schadenersatzpflicht des Landes für coronabedingte Betriebsschließungen sah. Die wesentlichen Überlegungen der Kammer:
 
  • Wirksame Rechtsgrundlage: Die Kammer sieht in den § 28 Abs. 1 mit § 28a und § 32 IfSG eine wirksame Rechtsgrundlage für die Betriebsschließungen. Insoweit betont sie zunächst die weltweite Ausbreitung von COVID-19, die die WHO am 11.03.2020 zu einer Pandemie erklärt hatte. Wie den Lageberichten des Robert-Kochs-Instituts (RKI) zu entnehmen ist, gab es in den Zeiträumen der verhängten Lockdowns zahlreiche infizierte Menschen und eine hohe Anzahl von krankheits- und ansteckungsverdächtigen Personen. Auch der BGH, so die Kammer weiter, habe in seinen Entscheidungen vom 03.08.2023 (III ZR 54/22) und vom 11.02.2024 (III ZR 134/22) ausführlich dargelegt und begründet, dass in den fraglichen Zeiträumen die Voraussetzungen für die Maßnahmen aus dem IfSG vorlagen. Damit folgt die Kammer dem BGH in Bezug auf die Pandemielage.
  • Verhältnismäßigkeit: Die Eingriffe in Grundrechte waren durch das Ziel des Infektionsschutzes auch gerechtfertigt, so die Kammer weiter. Demnach hat die Bewertung der Maßnahmen nach der Sachlage zum Zeitpunkt ihrer Anordnung zu erfolgen und nicht nach den späteren Entwicklungen. Ebenso sind Prognoseentscheidungen des Verordnungsgebers zulässig, was selbst bei einer unvollständigen Datenlage gilt. Bei der Wahl und Ausgestaltung der Maßnahmen hatte der Verordnungsgeber zudem einen weiten Beurteilungsspielraum.
  • Ziel der Maßnahmen: Die angegriffenen Maßnahmen sollten der Eindämmung der Virusverbreitung dienen – und zwar durch Reduktion von Kontakten, um der Überlastung des Gesundheitssystems vorzubeugen, was ein legitimes Ziel ist.
  • Kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz: Schließlich sah die Kammer auch keinen Verstoß gegen Art. 3 GG.  So war die Privilegierung von Betrieben der Grundversorgung – etwa bei Supermärkten oder Baumärkten – nach weiterer Auffassung der Kammer sachlich gerechtfertigt. Es durften auch Mischsortimente verkauft werden, weil diese nur eine untergeordnete Bedeutung hatten. Damit wurde der Kammer zufolge der allgemeine Gleichheitssatz nicht verletzt, denn eine differenzierte Behandlung war wegen Gemeinwohlinteressen demnach vertretbar. Auch einzelne Benachteiligungen seien in einer Pandemielage hinzunehmen, wenn das Gesamtkonzept – wie vorliegend – sachlich nachvollziehbar ist.
Das Urteil des LG Stuttgart ist noch nicht rechtskräftig. Der Konzern hatte darüber hinaus weitere gleichartige Klagen gegen andere Bundesländer angestrengt.

Quelle: PM des LG Stuttgart vom 15.04.2025 zum Urteil vom selben Tag – 7 O 224/23


Corona im Rechtsstaat


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(ESV/bp)

 

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht