„Mit Angeboten zum digitalen Fernunterricht während der Pandemie hat sich der Umgang mit Computer und Internet deutlich verändert“
Lieber Herr Prof. Steinig und lieber Herr Prof. Huneke, Sie schreiben, dass sich Ihr Buch insbesondere an Deutschstudierende bis ins Referendariat richtet. Sie bieten daher auch praktische Vorschläge zur Unterrichtsvorbereitung, für Schulpraktika und als Hilfe für Klausuren und mündliche Prüfungen im Studium an. Das ist eine willkommene Unterstützung für angehende Deutschlehrkräfte. Wo haben Sie in Ihrem Buch Schwerpunkte gesetzt?
Bei der Überarbeitung zur 6. Auflage haben wir versucht, den Fokus der Einführung deutlich zu erweitern. Das Buch bietet jetzt nicht nur Erstsemestern einen leicht verständlichen Einstieg in deutschdidaktisches Denken, sondern kann über die gesamte Studienzeit bis zum Referendariat sinnvoll genutzt werden: Zur Vertiefung des Wissens mit Vorschlägen zur Auswahl weiterführender Literatur, zur selbstständigen Planung und Gestaltung von Unterricht sowie zur Planung und Durchführung kleiner Forschungsprojekte in den Schulpraktika. Gerade diesen forschungspraktischen Teil haben wir erheblich ausgeweitet. Hier sehen wir auch eine Anschlussfähigkeit für die aktuelle deutschdidaktische Forschung.
Das Buch richtet sich an Deutschlehrkräfte für die Primar- und die Sekundarstufe. Warum haben Sie das Buch so übergreifend angelegt?
Zukünftige Deutschlehrkräfte, ganz gleich, an welcher Schulart und welche Altersstufe sie unterrichten, sollten die gesamte sprachliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als einen ganzheitlichen, gestuften Entwicklungsprozess im Mündlichen wie im Schriftlichen begreifen. Eine Grenze, etwa nach der vierten Klasse, wäre ein willkürlicher Einschnitt. In der Schweiz, in Brandenburg und Berlin endet die Primarstufe ja auch erst nach der sechsten Klasse. Mit dem Zustrom von Flüchtlingen und einem höheren Anteil an Inklusionsschülerinnen und -schülern an Sekundarstufen werden die Grenzen zudem immer vielschichtiger und auch durchlässiger.
Auszug aus: „Sprachdidaktik Deutsch“ | 15.08.2022 |
Interaktives Vorlesen mit Kindern als Vorbereitung für den Deutschunterricht | |
Schon im frühen Alter bemerken Kinder überall im Alltag „Spuren von Schriftlichkeit“ – sei es auf Straßenschildern, Verpackungen, auf Bildschirmen oder beim Einblick in die schulische Welt älterer Geschwister. Das macht neugierig und stellt eine große Motivation dar, endlich auch lesen zu lernen. Inwiefern jedoch schon sogenannte „Vorlesegespräche“ prägend sind und unterstützend wirken können, was den folgenden Schriftspracherwerb betrifft, erklären Prof. Dr. Wolfgang Steinig und Prof. Dr. Hans-Werner Huneke unter anderem in ihrer bewährten Einführung in die „Sprachdidaktik Deutsch“. In diesem Monat erscheint bereits die sechste Auflage, stark bearbeitet und erweitert, im Erich Schmidt Verlag. mehr … |
Sie haben in der Neuauflage die Sprachdidaktik um Passagen zur Digitalisierung, zum Zuhören und zum forschenden Lernen erweitert. Was können unsere Leser/-innen im Speziellen erwarten, die mit den früheren Auflagen bereits vertraut sind?
In den sieben Jahren seit der fünften Auflage, besonders mit Angeboten zum digitalen Fernunterricht während der Pandemie, hat sich der Umgang mit Computer und Internet deutlich verändert. Eine dynamische Entwicklung, auf die wir eingehen und für die wir Perspektiven aufzeigen wollen. Insbesondere in Projekten zum forschenden Lernen, in denen Studierende wie auch Schülerinnen und Schüler eigenständig im Internet recherchieren und am Computer lesen und schreiben. Aber gerade weil die Digitalisierung immer weiter fortschreitet, darf man das Zuhören nicht vergessen. Es ist die zentrale Voraussetzung, um ursprüngliches Verstehen und Nähe in einer lernenden Gemeinschaft zu ermöglichen, im analogen wie im digitalen Rahmen.
Diese drei Bereiche waren uns besonders wichtig. Darüber hinaus haben wir in allen Kapiteln zahlreiche Passagen überarbeitet, aktualisiert und präzisiert.
Kinder und Jugendliche kommunizieren heute viel mehr und stärker als früher digital. Welche Konsequenzen hat das Ihrer Ansicht nach für den heutigen Deutschunterricht?
Ja, wir leben in einer zunehmend von Digitalisierung geprägten Welt. Kinder und Jugendliche wachsen in dieser Welt auf und müssen lernen, an ihr aktiv, selbstständig und verantwortungsvoll zu partizipieren. Das heißt, auch problematische Seiten wie Fake News oder Mobbing zu erkennen und angemessen damit umzugehen. Dazu sind Kompetenzen für den rezeptiven und produktiven Umgang mit den digitalen Werkzeugen erforderlich. Das sind Kernaufgaben des Sprachunterrichts.
Was empfehlen Sie angehenden Deutschlehrkräften in Hinblick auf die Unterrichtsplanung? Muss wirklich jede Unterrichtsstunde en detail vorbereitet werden oder kann man auch einmal spontan agieren?
Eine gut geplante Stunde bietet keine Garantie, dass der Unterricht so läuft, wie man sich das vorgestellt hat. Auch spontane, ohne Vorbereitung gehaltene Stunden können wunderbar funktionieren. Aber das sind Glücksfälle. Mit einer guten Planung, nicht nur einzelner Stunden, sondern auch von Unterrichtsreihen, lassen sich die anvisierten Lernziele wesentlich besser erreichen. Man sollte aber trotz guter Planung immer auch Spontaneität zulassen, um Aha-Erlebnisse, kreative Einfälle und weiterführende Äußerungen von Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen.
Sie schreiben im Buch, die „Wurzeln des Deutschunterrichts sind polyglott“. Verstehen Sie die vorhandene Mehrsprachigkeit in Deutschland als Herausforderung oder eher als Chance für den Deutschunterricht?
Es ist beides: eine Herausforderung, aber auch eine Chance. Zum einen haben Zweisprachige teilweise größere Probleme mit der deutschen Sprache und bedürfen einer stärkeren Förderung. Zum anderen führt aber der aktive Umgang mit zwei oder mehr Sprachen zu einer höheren Sprachaufmerksamkeit. Das Eigentümliche des Deutschen wird stärker wahrgenommen, weil es nicht selbstverständlich erscheint. Der Kontrast mit anderen Sprachen, aber auch mit Dialekten, macht unmittelbar hörbar, sichtbar und erfahrbar, wie Sprache funktionieren kann. Wenn unterschiedliche Sprachen in einer Schulklasse gesprochen werden, lassen sich aus den Sprachkontrasten spannende Einsichten gewinnen.
Die Herausgeber |
Wolfgang Steinig ist emeritierter Professor für Germanistik/Sprachdidaktik an der Universität Siegen. Zuvor Lektor in einem Schulbuchverlag und Lehrer an beruflichen Schulen in Baden-Württemberg. Lehrtätigkeit an Universitäten in Wales (Bangor), den Niederlanden (Twente/Enschede), Griechenland (Saloniki), der LMU in München und an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Forschungen zur Soziolinguistik, zu Deutsch als Fremdsprache, zum Schreiben und zur Sprachevolution. Hans-Werner Huneke: Studium der Fächer Deutsch und Geschichte, Referendariat am Gymnasium und an der Hauptschule, Lehrer (Primarstufe, Sekundarstufen I und II), Dozent an der Universität Coimbra (Portugal) und an den Pädagogischen Hochschulen Heidelberg und Ludwigsburg, seit 2003 Professor für deutsche Sprache und ihre Didaktik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg, 2015–2022 Rektor der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Arbeitsgebiete: Sprachdidaktik, Schriftspracherwerb, Didaktik, Deutsch als Fremdsprache. |
Sprachdidaktik Deutsch Herausgegeben von: Wolfgang Steinig und Hans-Werner Huneke Die seit über 20 Jahren bewährte Einführung in die Sprachdidaktik erscheint in stark überarbeiteter und erweiterter sechster Auflage. Die Neuauflage wurde vor allem in Passagen zum digitalen Lernen, zum Zuhören und zum forschenden Lernen erweitert. |
Programmbereich: Germanistik und Komparatistik