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Der Deutsche Bundesrat sieht zentrale Punkte der pandemiebedingten Vereinfachungen von Gerichtsverfahren für die Arbeits- und Sozialgerichte kritisch (Foto: Aldorado / Fotolia.com)
Gesetzgebung

Neues vom Gesetzgeber zur Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der Corona-Krise

ESV-Redaktion Recht
20.05.2020
Arbeits- und Sozialgerichte müssen auch während der Corona-Krise funktionieren. Einen wichtigen Beitrag hierzu können Gerichtsverhandlungen per Video-Konferenz leisten. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und ein entsprechendes Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht. Der aktuelle Verfahrensgang im Überblick.
Um die Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichte zu sichern, hatte die Bundesregierung  zunächst den Entwurf eines „Gesetzes zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit während der COVID 19-Epidemie sowie zur Änderung weiterer Gesetze (COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG)" erarbeitet. Kern dieses Entwurfs war anfangs Artikel 2. Dieser sollte §§ 114 ArbGG sowie 211 SGG ändern.

Referentenentwurf wird in Sozialschutz-Paket II aufgenommen

Diese Maßnahmen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit wurden anschließend in eine  „Formulierungshilfe für die Koalitionsfraktionen für einen aus der Mitte des Deutschen Bundestages einzubringenden Entwurf eines Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II)“ aufgenommen. Dieses Gesetzespaket umfasst allerdings noch zahlreiche weitere Vorhaben, wie etwa die Anhebung des Kurzarbeitergeldes, die Erweiterung der Hinzuverdienstmöglichkeiten für Beschäftigte in Kurzarbeit oder die Verlängerung der Bezugszeit von Arbeitslosengeld. Diesen Entwurf hat das Bundeskabinett am 29.4.2020 beschlossen. 

Letzlich entstand hieraus dann der „Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD – Entwurf eines Gesetzes zu sozialen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie (Sozialschutz-Paket II)“, den der Deutsche Bundestag am 5.5.2020 beschlossen hat; siehe Drucksache des Deutschen Bundestags 19/18966.   

Die zentralen Ausbaumöglichkeiten für Videokonferenzen

Die Maßnahmen zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit finden sich im Wesentlichen in Art. 2 des aktuellen Entwurfs, der § 114 ArbGG ändert – und in Art. 4, der § 211 SGG neu fasst.  

Für Verfahren der Sozial-und Arbeitsgerichtsbarkeit erweitert der Entwurf im Wesentlichen die Möglichkeit von Videokonferenzen in der mündlichen Verhandlung. Darüber hinaus verändert die neue Formulierungshilfe die Voraussetzungen für das schriftliche Verfahren beim Bundesarbeitsgericht und beim Bundessozialgericht. Die wesentlichen Ausbaumöglichkeiten im Überblick:
 
  • Ehrenamtliche Richter: Bei epidemischen Lagen von nationaler Tragweite können ehrenamtliche Richter per Videokonferenz an den mündlichen Verhandlungen teilnehmen. Gleiches gilt für Beratungen, die ohne mündliche Verhandlung stattfinden.
  • Prozessparteien und Bevollmächtigte: Ebenso können Prozessparteien und deren Bevollmächtigte/Beistände per Videoschaltung an mündlichen Terminen oder Erörterungsterminen teilnehmen und Verfahrenshandlungen vornehmen.
  • Zeugen und Sachverständige: Zeugen und Sachverständige können über Videokonferenzen vernommen oder angehört werden.
  • Besonderheiten für BAG und BSG: Das BSG kann ohne Einverständnis der Beteiligten durch Urteil entscheiden, wenn die Beteiligten vorher angehört wurden. Das BAG kann nur dann eine Entscheidung ohne mündliche Berhandlung treffen, wenn zusätzlich das LAG die Berufung zurückgewiesen hat.  

Im Wortlaut: § 114 ArbGG: Infektionsschutz bei epidemischen Lagen von nationaler Tragweite nach Artikel 2 des Regierungsentwurfs, Drs. des Deutschen Bundestags 19/18966 vom 5.5.2020
(1) Das Gericht kann abweichend von § 128a der Zivilprozessordnung einem ehrenamtlichen Richter bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes von Amts wegen gestatten, an einer mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort aus beizuwohnen, wenn es für ihn aufgrund der epidemischen Lage unzumutbar ist, persönlich an der Gerichtsstelle zu erscheinen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Beratung, Abstimmung und Verkündung der Entscheidung. Satz 1 gilt auch, wenn die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erfolgt. Die an der Beratung und Abstimmung Teilnehmenden haben durch geeignete Maßnahmen die Wahrung des Beratungsgeheimnisses sicherzustellen; die getroffenen Maßnahmen sind zu protokollieren.

(3) Das Gericht soll den Parteien, ihren Bevollmächtigten und Beiständen bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes im Falle des § 128a der Zivilprozessordnung von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Satz 1 gilt entsprechend für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen.

(4) Abweichend von § 128 Absatz 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung kann das Bundesarbeitsgericht bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes nach vorheriger Anhörung auch ohne Zustimmung der Parteien eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung treffen, wenn das Landesarbeitsgericht die Berufung zurückgewiesen hat. § 95 bleibt unberührt.

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Im Wortlaut: § 211 SGG laut Art. 4 des Regierungsentwurfs, Drs. des Deutschen Bundestags 19/18966 vom 5.5.2020
1)   Das Gericht kann einem ehrenamtlichen Richter bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes von Amts wegen gestatten, an der mündlichen Verhandlung von einem anderen Ort aus teilzunehmen, wenn es für ihn aufgrund der epidemischen Lage unzumutbar ist, persönlich an der Gerichtsstelle zu erscheinen. Die Verhandlung wird zeitgleich in Bild und Ton an den anderen Ort und in das Sitzungszimmer übertragen. Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet.

(2) Absatz 1 gilt entsprechend für die Beratung und Abstimmung sowie für Entscheidungen ohne mündliche Verhandlung. Die an der Beratung und Abstimmung Teilnehmenden haben durch geeignete Maßnahmen die Wahrung des Beratungsgeheimnisses sicherzustellen; die getroffenen Maßnahmen sind zu protokollieren.

(3) Bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes soll das Gericht den Beteiligten, ihren Bevollmächtigten und Beiständen im Falle des § 110a von Amts wegen gestatten, sich während einer mündlichen Verhandlung an einem anderen Ort aufzuhalten und dort im Wege der zeitgleichen Bild- und Tonübertragung Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Satz 1 gilt entsprechend für Erörterungstermine nach § 106 Absatz 3 Nummer 7 sowie für die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen. Die Übertragung wird nicht aufgezeichnet.

(4) Abweichend von § 124 Absatz 2 kann das Bundessozialgericht bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 1 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes nach vorheriger Anhörung auch ohne Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.


Die wesentlichen Änderungen gegenüber dem Referentenentwurf

Der ursprüngliche Referentenentwurf hat zahlreiche Kritiker auf den Plan gerufen, so etwa den Deutschen Anwaltverein (DAV) oder die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). Beide Organisationen stießen sich vor allem an dem Ausschluss den Öffentlichkeit in bestimmten fällen oder an möglichen Einschränkungen bei der mündlichen Verhandlung. Das Bundeskabinet hat daher insoweit folgende im Wesentlichen folgende Änderungen beschlossen: 
 
  • Kein völliger Ausschluss der Öffentlichkeit: Im Rahmen der Änderungen von § 211 SGG wurde vor allem der zunächst vorgesehene und überwiegend kritisch gesehene Ausschluss der Öffentlichkeit vollständig gestrichen.
  • Gerichtsbescheid: Ebenso hat das Bundeskabinett von der ursprünglich vorgesehenen Möglichkeit der Gerichte, auch in rechtlichen oder tatsächlich schwierigen Sachen zu per Gerichtsbescheid zu entscheiden, abgesehen.


Kritik des Deutschen Bundesrates

Die sozialrechtlichen Maßnahmen des Sozialschutz-Pakets II haben den Deutschen Bundesrat dann am 14.5.2020 passiert. In Bezug auf die Maßnahmen, die das ArbGG und das SGG betreffen, hat die Länderkammer allerdings eine Entschließung beigefügt. In dieser hat sie zentrale Punkte der pandemiebedingten Vereinfachungen von Gerichtsverfahren vor den Arbeits- und Sozialgerichten kritisiert. Die Kritikpunkte im Überblick:

  • Insellösung nicht sinnvoll: Die Vereinfachungen sollen laut dem vom Bundestag beschlossenen Entwurf nur für die Arbeits- und Sozialgerichte gelten. Allerdings, so die Länderkammer, wären alle Gerichtsbarkeiten von der Pandemie betroffen, so dass nicht nur bei den Arbeits- und Sozialgerichten ein Verfahrensstau drohe. Eine Insellösung sieht der Bundesrat daher als nicht tragfähig an.
  • Besondere Bedeutung der Mündlichkeit bei Grundsatzfragen: Auch die Möglichkeiten von BAG und BSG, im schriftlichen Verfahren gegen den Willen des Beteiligten entscheiden zu können, sieht der Bundesrat kritisch. Danach hat die Transparenz einer öffentlichen Verhandlung bei rechtlichen Grundsatzfragen eine besondere Bedeutung.
  • Kein Ausstattungsanspruch für die Gerichte: Weiterhin betont das Ländergremium, dass aus den erweiterten Möglichkeiten, Videoverhandlungen zu nutzen, kein Ausstattungsanspruch der Gerichte abzuleiten sei. Hierüber hätten weiterhin die Länder im Rahmen ihrer technischen und finanziellen Möglichkeiten zu entscheiden.
  • Zweifel an der zeitlichen Umsetzungsmöglichkeit: Die Länderkammer zweifelt darüber hinaus daran, dass die Umsetzung der neuen Regelungen noch während der Corona-Pandemie möglich sein sollen. Demnach ist die Ausstattung, die für Videokonferenzen notwendig ist, entgegen der bisherigen Gesetzesbegründung, noch nicht flächendeckend vorhanden. Diese dürfe auch nicht durch private Software nicht ersetzt werden, so die Entschließung des Bundesrates.
Die Länderkammer hat ihre Anregungen der Bundesregierung zugeleitet. Diese kann nun darüber entscheiden, ob sie diese umsetzen will. Es gibt hierzu aber keine Fristen.  


Die wichtigsten Dokumente zum bisherigen Gesetzgebungsverfahren


Quellen: PM des DAV vom 24.4.2020 – PM der BRAK vom 28.4.2020 – PM des BMAS vom 29.4.2020 sowie vom 14.5.2020 – Deutscher Bundestag (hib) vom 7.5.2020 – PM des Deutschen Bundesrates vom 15.5.2020

ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz

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(ESV/bp)

Programmbereich: Sozialrecht und Sozialversicherung