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OVG Lüneburg: „2-G-Regel“ leistet im Einzelhandel nur einen geringen Beitrag zur Reduzierung des Infektionsgeschehens (Foto: Michael Bihlmayer / stock.adobe.com)
Schutzmaßnahmen gegen Corona

OVG Lüneburg setzt „2-G-Regel“ im Einzelhandel für Niedersachsen vorläufig außer Vollzug

ESV-Redaktion Recht
17.12.2021
Die Niedersächsische VO über infektionspräventive Schutzmaßnahmen zur Eindämmung von Corona vom 23.11.2021 ordnet bei bestimmten Betrieben und Einrichtungen des Einzelhandels ein Verbot des Zutritts für Kunden an, die weder geimpft noch genesen sind – sogenannte „2-G-Regel im Einzelhandel“. Diese Vorschrift hat das Niedersächsische OVG (OVG Lüneburg) in einem bemerkenswerten Beschluss nun vorläufig gekippt.
In dem Streitfall hatte eine Antragstellerin, die auch in Niedersachsen Einzelhandel eine Filiale mit einem Mischsortiment betreibt, einen Normenkontrolleilantrag gestellt. Ihre Begründung: Die streitgegenständliche Infektionsschutzmaßnahme ist nicht erforderlich und unvereinbar mit dem allgemeinen Gleichheitssatz.

OVG Lüneburg: Die „2-G-Regel“ im Einzelhandel ist kein wesentlicher Baustein der Strategie zur Pandemiebekämpfung in Niedersachsen

Der 13. Senat des OVG Lüneburg schloss sich den Argumenten der Antragstellerin in den wesentlichen Punkten an. Zunächst betonte der Senat, dass noch immer keine verlässlichen und nachvollziehbaren Feststellungen zur tatsächlichen Infektionsrelevanz des Geschehens im Einzelhandel vorliegen. Auch konnte der Senat nicht erkennen, dass das Land Niedersachsen die Erforschung von Infektionsumfeldern intensiviert hätte, um die Zielgenauigkeit von Schutzmaßnahmen zu erhöhen.

Im Weiteren sah der Senat die angegriffene „2-G-Regel“ im Einzelhandel, wie sie in § 9a Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 bis 3 der Corona-VO ausgestaltet ist, gegenwärtig als nicht erforderlich an. Dies begründeten die Richter aus Lüneburg im Wesentlichen wie folgt:

Keine Übertragbarkeit der Verhältnisse in Sport- und Freizeiteinrichtungen auf den Einzelhandel

Zunächst drängt sich dem Senat die Übertragbarkeit der Erkenntnisse über das Geschehen in geschlossenen Räumen von Sport- und Freizeiteinrichtungen auf den Einzelhandel nicht auf. Insoweit hob der Senat die folgenden Unterschiede in den Bereichen hervor, die vor allem durch
  • eine kürzere Verweildauer der Kunden,
  • eine geringere Kundendichte,
  • eine geringere Anzahl unmittelbarer Personenkontakte (Face-to-Face),
  • geringere körperliche Aktivitäten
  • und durch eine bessere Durchsetzung von Hygienekonzepten
gekennzeichnet sind.

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Erhebliche Senkung des Infektionsrisikos durch FFP2-Masken möglich

Darüber hinaus könnten die Kunden auch im Einzelhandel dazu verpflichtet werden, FFP2-Masken zu tragen. Dies würde nach Meinung des Senats nach neueren Erkenntnissen das Infektionsrisiko so weit absenken, dass es fast zu vernachlässigen wäre – vorausgesetzt, dass die Masken richtig benutzt werden.

Geringe Wirkung der „2-G-Regel“ bei mildem Infektionsgeschehen

Selbst das Robert Koch-Institut (RKI) sieht nach der höchsten Warnstufe seiner ControlCOVID-Strategie zur Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22 nicht den Ausschluss von ungeimpften Kunden aus dem Einzelhandel vor.

Demgegenüber ordnet die angegriffene Corona-VO die „2-G-Regel“ schon ab Warnstufe 1 an, die bei einem milden Infektionsgeschehen gelten soll – und dies, obwohl sogar der Verordnungsgeber das Infektionsrisiko bei der derzeit geltenden Warnstufe 2 noch als beherrschbar ansieht, so das OVG Lüneburg.  Insgesamt, so das OVG weiter, leistet die „2-Regel“ zur Reduzierung des Infektionsgeschehens im Einzelhandel bei der aktuellen Infektionslage nur einen sehr geringen Beitrag.
 
Erhebliche Grundrechtseingriffe für Kunden und Betriebsinhaber

Dem stehen nach Ansicht des 13. Senats des OVG Lüneburg erhebliche Eingriffe in die Grundrechte der ungeimpften Kunden und der Betriebsinhaber gegenüber. Diese Eingriffe sind in der gegenwärtigen Situation, die noch durch

  • ein beherrschbares Infektionsgeschehen,
  • eine geringe Wirkung der Infektionsschutzmaßnahme
  • und die erhebliche Grundrechtseingriffe im Einzelhandel gekennzeichnet ist,
derzeit unangemessen, führt das OVG weiter aus.

Keine andere Sichtweise durch Omikron-Variante

Auch die neue Omikron-Variante gebietet nach Meinung des Senats keine andere Bewertung. Hierbei beruft sich das Gericht auf den ihm bekannten oder vom Land Niedersachsen präsentierten aktuellen Erkenntnisstand.

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Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz

Die „2-G-Regel“ im Einzelhandel ist in ihrer aktuellen Ausgestaltung auch nicht mit dem Gleichheitssatz vereinbar, fährt der Senat weiter fort. Dieser erkannte vor allem keine nachvollziehbaren Gründe dafür, warum etwa

  • Gartenmarktgüter,
  • Güter des Blumenhandels einschließlich der Güter des gärtnerischen Facheinzelhandels
  • und Güter zur Reparatur und Instandhaltung von Elektronikgeräten
als „Güter des täglichen Bedarfs oder zur Grundversorgung der Bevölkerung“ von der „2-G-Regel“ ausgenommen sein sollen, Baumärkte aber nicht. Auch schwerwiegende öffentliche Interessen, die einer vorläufigen Außervollzugsetzung entgegenstehen, liegen dem Senat zufolge nicht vor.

Abschließend sah der 13. Senat des OVG Lüneburg in der „2-G-Regel“ im Einzelhandel keinen wesentlichen Baustein in der Strategie der Pandemiebekämpfung von Niedersachsen. Etwas anderes ergibt sich nach Meinung des Gerichts auch nicht aus der eher politisch motivierten Festlegung in der Besprechung der Bund/Länder Kommission vom 02.12.2021.
 
In dem Streitfall wirkt die Außervollzugsetzung der „2-G-Regel“ im Einzelhandel nicht nur zugunsten der Antragstellerin in diesem Verfahren. Vielmehr ist die Außervollzugsetzung in ganz Niedersachsen allgemeinverbindlich. Der Beschluss ist unanfechtbar.
 
Quelle: PM des OVG Lüneburg vom 16.12.2021 zum Beschluss vom selben Tag – 13 MN 477/21

Was die anderen Gerichte sagen

Inzwischen haben auch Obergerichte in anderen Bundesländern entschieden. Dort hatten die Antragsteller weniger Erfolg. Allerdings wendeten zwei bayersiche Gerichte 2G auf den Einzelhandel erst gar nicht an: 

Eilanträge gegen 2-G-Regelung im Einzelhandel überwiegend erfolglos

Nachdem das OVG Lüneburg die 2-G-Regel für den Einzelhandel in Niedersachsen vorläufig außer Vollzug setzte, hielten vergleichbare Regelungen vor dem OVG Münster, dem OVG Berlin-Brandenurg, dem VG Berlin und dem VG Hamburg stand. Bereits zuvor hatte das OVG Schleswig-Holstein die in diesem Bundesland geltende 2-G-Zugangsbeschränkung für den Einzelhandel bestätigt. Demgegenüber wendeten der BayVGH und das VG Regensburg die 2-G-Regel bei einem Bekleidungs- bzw. bei einem Textilgeschäft nicht an. mehr …



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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht