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Setzen sich für Teilhabe durch Sprache ein: Sandra Reitbrecht, Hannes Schweiger und Brigitte Sorger (Fotos: privat/Maria Blum/privat)
Nachgefragt bei Prof. Dr. Brigitte Sorger, Prof. Dr. Hannes Schweiger und Dr. Sandra Reitbrecht

„Sprache kann ein wirksames Mittel zu mehr Selbstbestimmung sein, sie kann dazu dienen, mitzureden und mitzugestalten“

ESV-Redaktion Philologie
23.11.2023
Anlässlich der XVII. Internationalen Tagung der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer tauschten sich unter dem Motto *mit.sprache.teil.haben Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 100 Ländern über brandaktuelle Themen wie Diversität, Partizipation und Sprachenpolitik aus.
Hierzu erscheint nun das Gesamtpaket der Tagungsbände 1–5 IDT 2022: *mit.sprache.teil.haben, herausgegeben von Brigitte Sorger, Hannes Schweiger und Sandra Reitbrecht, das die Ergebnisse der weltweit größten Tagung für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache beinhaltet und somit aktuelle und innovative Beiträge aus den verschiedensten Forschungsbereichen bereithält. Wir haben mit den Herausgeberinnen und dem Herausgeber über die Wechselwirkung von Sprache, Partizipation, Teilhabe und Mitbestimmung gesprochen.

Liebe Frau Reitbrecht, liebe Frau Sorger, lieber Herr Schweiger, mit den Sammelbänden zur XVII. Internationalen Tagung der Deutschlehrerinnen und Deutschlehrer 2022 (IDT) vereinen Sie Beiträge internationaler Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter dem Motto *mit.sprache.teil.haben. Eines Ihrer Ziele dabei ist es zu zeigen, wie Sprache Partizipation und Mitbestimmung fördert und Handlungsräume eröffnen kann. Welche Themenkomplexe decken Sie mit Ihrer fünfbändigen Publikation ab?


Sandra Reitbrecht, Brigitte Sorger und Hannes Schweiger: Die fünf Bände decken so wie die IDT ein breites Spektrum an Themen ab, wobei jeder Band eigene thematische Schwerpunkte setzt: Band 1 widmet sich sprachdidaktischen und sprachdiagnostischen Fragen, unterschiedlichen Lernkontexten vom Fachunterricht bis zu Deutsch in Studium, Wissenschaft und Lehrer*innenbildung sowie unterschiedlichen Lernorten und der Mehrsprachigkeit als konstitutivem Rahmen für Deutschlernen und -lehren. Band 2 setzt sich mit der Rolle von Kultur in DaF*Z auseinander und versammelt Beiträge zu kulturreflexiven und ästhetischen Zugängen zum Sprachenlernen. Dabei wird immer wieder die Frage nach der Bedeutung des Sprachenlernens für kulturelle Teilhabe diskutiert und es werden Möglichkeiten eines kreativen, lustvollen und spielerischen Umgangs mit Sprache aufgezeigt. Der Schwerpunkt von Band 3 liegt auf dem Sprachenlernen in digitalen Umgebungen und auf digitalen Innovationen und ihren Konsequenzen und Potenzialen für den Sprachunterricht. Der Band enthält zudem auch Beiträge zum Schreiben im Hochschulkontext und in der wissenschaftssprachlichen Kommunikation sowie zu fach- und berufssprachlichen Lernkontexten. Im Mittelpunkt von Band 4 stehen methodisch-didaktische Fragestellungen und das Spektrum reicht von den konzeptuellen Grundlagen über selbstgesteuertes Lernen und die Mehrsprachigkeitsdidaktik bis zur Förderung von Sprachbewusstheit, zum Sprachvergleich als Methode und zur Hochschuldidaktik. Mit Band 5 wird der Fokus auf sprachenpolitische Fragestellungen gerichtet. Dabei werden theoretisch-konzeptuelle Fragen zum Zusammenhang von Sprache und Macht ebenso diskutiert wie der thematische Komplex Mehrsprachigkeit und Sprachengerechtigkeit oder die Bedeutung und Arbeit der Deutschlehrer*innenverbände und unterschiedlicher Institutionen im Feld DaF*Z. Der Band enthält auch die Langfassung der Wiener Thesen zur Sprachenpolitik, die bei der Abschlussveranstaltung der IDT 2022 von den Teilnehmer*innen verabschiedet worden sind. Es wird in allen fünf Bänden immer wieder Bezug auf das Tagungsmotto genommen: *mit.sprache.teil.haben. Dementsprechend kreist die Publikation um Fragen nach dem Zusammenhang zwischen Sprachenlernen und gesellschaftlicher Teilhabe. Welche Handlungsspielräume eröffnet das Lernen einer neuen Sprache? Und wie kann Unterricht gestaltet werden, der auf größtmögliche Teilhabe in pluralistischen und globalisierten Gesellschaften abzielt?

Auszug aus „IDT 2022: *mit.sprache.teil.haben, Band 5: Sprachenpolitik und Teilhabe“ 24.11.2023
Sprachengerechtigkeit ist das Gegenteil jeder Einsprachigkeitsideologie
Wer legt fest, welche Sprache gesprochen wird? Inwiefern werden dadurch die Realitäten von Angehörigen einer Sprachminderheit beeinflusst? Und wie sehen Ansätze aus, die Sprachideologien aufzubrechen versuchen? mehr …

In den Wiener Thesen zur Sprachenpolitik wird „Empowerment“ als ein zentrales Ziel des Unterrichts von Deutsch als Fremd*Zweitsprache festgesetzt. Geht Sprache auch immer mit Macht und Selbstbestimmung einher?


Sandra Reitbrecht, Brigitte Sorger und Hannes Schweiger: Das Erlernen einer Sprache trägt immer zur Erweiterung der individuellen Handlungsspielräume bei. Zugleich werden diese auch durch gesellschaftliche, politische oder ökonomische Rahmenbedingungen eingeschränkt. Daher müssen wir uns mit den Möglichkeiten auseinandersetzen, wie diese Spielräume im Sinne der einzelnen Lernenden und mit dem Ziel größtmöglicher Teilhabe am gesellschaftlichen Leben so gut wie möglich erweitert werden können. Sprache kann ein wirksames Mittel zu mehr Selbstbestimmung sein, sie kann dazu dienen, mitzureden und mitzugestalten. Und letztendlich gestalten Deutschlernende die deutsche Sprache auch immer mit, verändern sie, indem sie sich die Sprache aneignen und zu eigen machen und mit und in dieser Sprache handeln.

Partizipation, Teilhabe und Mitbestimmung können als ein Ziel des Spracherwerbs gesehen werden, aber auch als eine Grundbedingung und ein Motor des Lernens selbst. Wie würden Sie dieses Verhältnis beschreiben?

Sandra Reitbrecht, Brigitte Sorger und Hannes Schweiger: In dem Verhältnis von Partizipation als Ziel und Grundbedingung des Lernens ist ein klarer Auftrag an die Didaktik des Deutschen als Fremd*Zweitsprache angelegt, nämlich jener, Lernende in Lehr-Lernsituationen konsequent als selbstbestimmte Akteur*innen zu sehen, sei es z. B. bei der Auswahl von Themen oder bei der ko-konstruktiven Gestaltung von Lerngelegenheiten. Nicht zuletzt gilt es in diesem Sinne, den Blick über die Fachgrenzen hinaus zu wagen und Konzepte der politischen Bildung oder einer critical global citizenship education mit fremd-/zweitsprachendidaktischen Ansätzen zu verbinden.

Es stellt sich die Frage, wie nahe der Deutsch als Fremd*Zweitsprachenunterricht dem Ziel der Teilhabeförderung schon gekommen ist. In Ihrem Vorwort erwähnen Sie, dass es „nicht immer erreichbar“ sei. Wo sehen Sie Fortschritte und wo gibt es noch Lücken?

Sandra Reitbrecht, Brigitte Sorger und Hannes Schweiger: Eine gewisse Diskrepanz besteht zwischen den Möglichkeiten, Individuen für die Teilhabe an verschiedensten gesellschaftlichen Aktivitäten sprachlich zu unterstützen, und den politischen Rahmenbedingungen, die eben auch zentral für unser Fach sind. Da Sprachenpolitik häufig von den Interessen anderer Politikfelder überlagert wird, fordern wir ja z. B. in unseren Thesen Deutungshoheit und eine größere Selbstbestimmung für die Handlungsfelder des Sprachenlehrens und -lernens ein. Hier brauchen wir jedoch noch einen langen Atem. In der Gestaltung von Curricula und Materialien oder der Unterrichtsmethoden und -settings sehen wir aber durchaus, dass Prinzipien der Autonomie sowie der Handlungs- und Bedarfsorientierung vermehrt umgesetzt werden.  

Sie haben sich für die IDT-Bände im Sinne der namensgebenden ‚Teilhabe‘ für eine Open-Access-Publikation entschieden. Wie wichtig erachten Sie Open Access für DaF/DaZ-Lern- und Lehrmaterialien, bzw. wie wäre solch ein Konzept umsetzbar?

Sandra Reitbrecht, Brigitte Sorger und Hannes Schweiger: Weltweit kann der freie Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch Lern- und Lehrmaterialien für DaF/Z über Teilhabe am aktuellen Diskurs entscheiden, da Lehrende und Forschende in diesem Bereich häufig relativ schlecht bezahlt werden. Dies sollte aber kein Grund sein, nicht an aktuellen und v. a. kritischen Entwicklungen teilnehmen zu können. Zudem werden über Lehrmaterialien auch Welt- und Kulturbilder vermittelt, es geht also auch um Deutungshoheit. Durch Open-Access-Angebote kann diese differenziert gestaltet werden. Der freie Zugang zu Ressourcen trägt zu verstärkter Teilhabe an der Wissensproduktion und -rezeption bei. Über die Deutschlehrer*innenverbände könnten weltweit entsprechende Materialien beworben werden.

Was haben Sie persönlich aus der IDT 2022 mitgenommen und welche Veränderungen im Deutsch als Fremd*Zweitsprachenunterricht erwarten oder erhoffen Sie sich bis zur nächsten IDT 2025?

Sandra Reitbrecht, Brigitte Sorger und Hannes Schweiger: Großartig war und ist die Erkenntnis, in einem weltweiten Netzwerk zu arbeiten, in dem man trotz Ausgangslagen, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen, sehr viel voneinander lernen kann. Die Entwicklungen erfolgen zwar nicht immer zeitgleich und gleich intensiv, letztlich sind wir uns aber in unseren Zielen und Lösungswegen meist recht nahe. Es ist anzunehmen, dass sich der Trend zur Individualisierung des Sprachenlernens, aber auch der Ziele, die mit dem Lernen verfolgt werden, genauso verstärken wird wie z. B. kollaborative Lernformen und Spezialisierungen für einzelne Berufsfelder. Die IDT kann hier Tendenzen ebenso abbilden wie exemplarisch konkrete Umsetzungen vorstellen. Die IDT kann eine breite Grundsatzdiskussion dazu bieten, wohin sich Deutsch als Fremd*Zweitsprache entwickeln will, aber auch wie externe Forderungen das Fach definieren wollen und wie darauf zu reagieren ist. Die IDT 2025 wird mit ihrem Motto Vielfalt wagen – mit Deutsch einen weiteren Moment der Reflexion, des (kritischen) Rückblicks und des (konstruktiven) Ausblicks bieten, und das mit dem Anspruch, der gegebenen sprachlichen, kulturellen und sozialen Vielfalt noch besser und in allen Lehr- und Lernkontexten gerecht zu werden – ganz im Sinne auch des Mottos der IDT 2022: mit dem Ziel einer größtmöglichen Teilhabe für alle.

Vielen Dank für dieses aufschlussreiche Interview!

Zu den Herausgeberinnen und dem Herausgeber
Sandra Reitbrecht ist Hochschullehrerin an der Pädagogischen Hochschule Wien und war Mitglied der Tagungsleitung der IDT 2022. Zuvor war sie Lektorin an Universitäten in Frankreich und Tschechien sowie Lehrerin an einer Schule in Wien. Sie wurde im Fach Sprechwissenschaft und Phonetik promoviert, ihre aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind Wissenschaftspropädeutik, Strategievermittlung in der sprachlichen Bildung und kontrastive Phonetik.

Brigitte Sorger ist Hochschulprofessorin für Deutschdidaktik mit Fokus DaZ an der Pädagogischen Hochschule Wien und hat einen Lehrauftrag zum Thema Sprachenpolitik an der Universität Wien. Sie war Mitglied der Tagungsleitung der IDT 2022, außerdem davor mehrfach in Vorbereitungsgremien von IDTs und österreichische Expertin im IDV-Vorstand. Sie ist an mehreren Universitäten und Hochschulen in Österreich und Tschechien in der Lehre und Projekten tätig.

Hannes Schweiger ist Assistenzprofessor am Institut für Germanistik und am Zentrum für Lehrer*innenbildung der Universität Wien. Zuvor war er Lehrer für Deutsch und Englisch und außerdem in der Literaturvermittlung tätig, von 2017 bis 2023 war er Präsident des ÖDaF. Seine aktuellen Schwerpunkte sind Literatur im Sprachunterricht, kulturreflexives Lehren und Lernen, migrationspädagogische Perspektiven sowie sprachliche Bildung und Sprachenförderung in der Schule.


IDT 2022: *mit.sprache.teil.haben Bände 1–5 als Gesamtpaket
Herausgegeben von Sandra Reitbrecht, Brigitte Sorger und Hannes Schweiger

Die IDT 2022 in Wien war mit rund 2 750 Teilnehmer*innen aus 110 Ländern die weltweit größte Tagung für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Die fünf Tagungsbände dokumentieren die Ergebnisse der Tagung in ihrer fachlichen Breite und Diskussion, die im Sinne des Tagungsmottos *mit.sprache.teil.haben auch durch eine breite Beteiligung von Vertreter*innen des Faches in Wissenschaft, Forschung und Unterrichtspraxis aus unterschiedlichsten Ländern und Arbeitskontexten erreicht wird. Jeder Band repräsentiert dabei einen thematischen Strang des Fachprogramms. Alle Tagungsbände finden Sie hier gesammelt.

Es werden folgende Themenkomplexe behandelt:
Band 1: Mit Sprache handeln. Partizipativ Deutsch lernen und lehren,
Band 2: Kulturreflexiv, ästhetisch, diskursiv. Sprachenlernen und die Vielfalt von Teilhabe,
Band 3: Sprachliche Teilhabe fördern. Innovative Ansätze und Technologien in Sprachunterricht und Hochschulbildung,
Band 4: Beiträge zur Methodik und Didaktik Deutsch als Fremd*Zweitsprache,
Band 5: Sprachenpolitik und Teilhabe.



Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache