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Erwachsende Lernende: in Zweitspracherwerbsstudien bislang eher vernachlässigt. (Foto: Nikish H. – stock.adobe.com)
Auszug aus: „Die Entwicklung syntaktischer Strukturen“

Syntaktische Strukturen im Zweitspracherwerb

ESV-Redaktion Philologie
16.06.2023
Wie passt sich das Gehirn an eine neu zu erlernende Sprache an? Matthias Schwendemann untersucht, wann und in welchen gegenseitigen Abhängigkeiten sich syntaktische Strukturen beim Fremd- und Zweitspracherwerb entwickeln.
Anhand schriftlicher Daten aus einer 18-monatigen longitudinalen Studie werden in unserer Neuerscheinung die syntaktischen Entwicklungsverläufe erwachsender Lernender mit der Erstsprache Arabisch analysiert – sowohl auf Gruppenebene als auch durch vergleichende Einzelfallanalysen. Welche syntaktischen Erwerbsreihenfolgen ergeben sich für die Lernenden, wie lässt sich die Entwicklung der gesamten Gruppe und die ausgewählter Teilnehmer*innen charakterisieren und welche Unterschiede lassen sich aufgrund experimenteller Manipulation der Instruktion feststellen?

Zur Untersuchung und Auswertung der Gruppendaten werden zunächst Profilanalysen, dann auf deren Basis Emergenzanalysen durchgeführt. Mithilfe longitudinaler Clusteranalysen wird untersucht, ob sich anhand der Komplexitätsmaße Gruppen von Lernenden und typische Entwicklungsverläufe identifizieren lassen. In den Einzelfallanalysen werden neben Profilanalysen Variabilitäts- und Trendanalysen, unterschiedliche Korrelationsanalysen und Change Point-Analysen eingesetzt.

Lesen Sie im Folgenden einen Auszug aus Matthias Schwendemanns Längsschnittstudie:

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1.1 Problemstellung und Relevanz

Fremd- und zweitsprachliche Erwerbs- bzw. Entwicklungsprozesse werden im deutschsprachigen Fachzusammenhang Deutsch als Fremdsprache / Deutsch als Zweitsprache (DaF/DaZ) seit Jahrzehnten in verschiedenen Kontexten systematisch untersucht (vgl. für einen historischen Abschnitt Ahrenholz 2020b). Bis heute bleiben jedoch Fragen über den Ablauf des Zweitspracherwerbs und seiner Unterschiede zum Erstspracherwerb offen oder werden neu gestellt. Einen zentralen Ausgangspunkt der Zweitspracherwerbsforschung bildet das Interesse daran, den Erwerbsstand grammatischen Wissens der Lernenden zu bestimmten Zeitpunkten während des Erwerbprozesses zu bestimmen. In diesem Zusammenhang soll unter anderem die Frage beantwortet werden, in welcher Weise und Reihenfolge Strukturen erworben werden und welche sprachlichen Funktionen die Lernenden jeweils durch den Erwerb der betroffenen Strukturen realisieren können (vgl. Fandrych 2013). Aus Sicht der Didaktik des Deutschen als Zweit- und Fremdsprache sind diese grundlegenden Fragen eng mit Evaluierung und Weiterentwicklung bestehender Unterrichtsmethoden verbunden.

Viele der stark rezipierten Studien im Kontext DaF/DaZ waren als Einzelfallanalysen konzipiert, die eine geringe Anzahl von Lernerinnen und Lernern sehr genau in ihren Entwicklungen in den Blick nahmen (siehe unten; vgl. Kapitel 2). Dies führte zwar einerseits zu einer sehr detaillierten Modellierung individueller Lernverläufe (vgl. etwa Pienemann 1998; vgl. Czinglar 2014 u. a.), erschwerte aber andererseits mögliche Validierungen der herausgearbeiteten Ergebnisse über die untersuchten Einzelfälle hinaus. Zweitspracherwerbsstudien wurden außerdem oft im vorschulischen oder frühschulischen Bereich durchgeführt. Über erwachsene Lernende existieren hingegen deutlich weniger Daten (vgl. Fandrych 2013:167).

Nachgefragt bei Matthias Schwendemann 28.06.2023
„Der beste Weg, um eine Sprache zu lernen, ist letztlich etwas sehr Individuelles“
Wann und wie gewöhnt sich das Gehirn an eine neue Sprache? Ist der Spracherwerb ein individueller oder universeller Prozess? Matthias Schwendemanns <a href="https://www.esv.info/978-3-503-21222-4">Band</a> widmet sich der Frage nach der Entwicklung syntaktischer Strukturen bei Lernenden einer Zweitsprache. Er untersucht die syntaktischen Entwicklungsverläufe erwachsender Lernender mit der Erstsprache Arabisch mithilfe schriftlicher Daten aus einer 18-monatigen longitudinalen Studie. mehr …
Als in den letzten Jahren viele Lernende mit relativ homogenen Sprachhintergründen auf einmal neu nach Deutschland kamen, eröffnete sich gleichzeitig eine Reihe von Forschungsperspektiven. Es bot sich beispielsweise die Möglichkeit zur Realisierung von longitudinalen Zweitspracherwerbsstudien größeren Umfangs mit erwachsenen Lernenden. Dass dies einerseits ein großes Desiderat darstellte und immer noch darstellt, zeigen in jüngster Zeit Veröffentlichungen aus den deutschsprachigen Ländern, wie etwa die Studie „Deutsch im Beruf: Die sprachlich-kommunikative Integration von Flüchtlingen“, die das Leibniz-Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS) und das Goethe-Institut (GI) in Kooperation durchgeführt haben und in der die sprachlich-sozialen Hinter­gründe von Geflüchteten im Kontrast zu anderen Zugewanderten verglichen wurden (vgl. Hünlich et al. 2018 und Cindark / Hünlich 2019). Andererseits er­schienen viele sprachdidaktisch orientierte Veröffentlichungen, die die Rele­vanz für den Fachzusammenhang DaF/DaZ verdeutlichen und die besondere Situation von Lernenden mit Flucht- bzw. Migrationshintergrund in den Blick nahmen. Hier sind etwa das Sonderheft von Fremdsprache Deutsch „Deutsch­unterricht für Lernende mit Migrationshintergrund“ (vgl. Fandrych et al. 2016), der Band 97 der Reihe Materialien Deutsch als Fremdsprache „Wie schaffen wir das? Beiträge zur sprachlichen Integration geflüchteter Menschen“ (Middeke et al. 2017) oder die Themenschwerpunkte der Zeitschrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht „Ziel berufliche Integration: DaF-Unterricht für ge­flüchtete Jugendliche und junge Erwachsene“ (Merkelbach 2020) und der Zeit­schrift Informationen Deutsch als Fremdsprache „Deutsch für Seiteneinsteiger/ innen“ (Gamper et al. 2020) zu nennen.

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Die Grundlage der vorliegenden Untersuchung bilden vor diesem Hintergrund Daten, die zwischen 2016 und 2017 in einer Längsschnittstudie zum Zweit­spracherwerb erwachsener Lernender mit Arabisch als Erstsprache am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften (Leipzig) in Koope­ration mit dem Herder-Institut der Universität Leipzig erhoben wurden. Die leitende Frage der Studie war, wie sich das Gehirn den Anforderungen einer neu zu lernenden Zweitsprache anpasst, wobei die Plastizität des menschlichen Sprachnetzwerkes und die sich verändernden neuronalen Wechselwirkungen und Verbindungen innerhalb dieses Systems die Kerninteressen der Forschung bildeten. Sowohl aus neurowissenschaftlicher als auch aus der spracherwerbs­bezogenen Perspektive von DaF/DaZ spielen syntaktische und semantische Pro­zesse als Grundfunktionen von Sprache (vgl. Friederici 2013: 250) eine zentrale Rolle im Design der Studie und in der Formulierung der Forschungsfragen (vgl. Kapitel 1.2). Aus der Perspektive des Forschungszusammenhangs DaF/DaZ sind die vorliegende Studie und die in ihrem Rahmen gesammelten Daten aus ver­schiedenen Gründen aktuell und relevant. Einerseits erlaubt es der Aufbau der Studie, im Längsschnitt über insgesamt 17 Monate hinweg exakte und weitrei­chende Daten über den Erwerb bzw. die Entwicklung des Deutschen als Zweit­sprache zu sammeln. Eine weitere Forschungsperspektive eröffnet sich durch die erstsprachlich homogene Gruppe von Lernerinnen und Lernern, die sich ausschließlich aus Erwachsenen mit der Erstsprache Arabisch zusammensetzt. Die Zielgruppe erwachsener Lernender mit L1 Arabisch wird über die nächsten Jahre für die Didaktik und die Forschung im Kontext von DaF/DaZ eine Ler­nendengruppe von hohem Stellenwert bleiben. Eine weitere Forschungsebene ergibt sich aus der experimentellen Manipulation innerhalb der Studie, im Rahmen derer die Gruppe der Lernenden in zwei verschiedene Lerngruppen eingeteilt wurde. Eine Studie dieser Größe und Dauer kann wichtige Impulse und Erkenntnisse für die Zweitsprachdidaktik im Bereich der Erwachsenenbil­dung liefern, die zukünftig in fundierte Diskussionen um die sinnvolle Weiter­entwicklung und die empirische Überprüfung von Lehr- und Lernmaterialien und Lehr- und Lernmethoden im Kontext DaF/DaZ überführt werden könnten.

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Zum Autor
Matthias Schwendemann ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich Linguistik am Herder-Institut der Universität Leipzig tätig. Zu seinen Forschungs- und Lehrschwerpunkten gehören neben den Bereichen Lexikologie und Wissenschaftssprache der Erwerb und die Entwicklung des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache.

Die Entwicklung syntaktischer Strukturen
Eine Längsschnittstudie anhand schriftlicher Sprachdaten erwachsener Deutschlernender mit der Erstsprache Arabisch

Von Matthias Schwendemann

Diese Studie untersucht die Entwicklung syntaktischer Strukturen bei erwachsenen Lernenden des Deutschen als Zweitsprache mit der Erstsprache Arabisch. Hierzu werden schriftliche Daten aus einer longitudinalen Studie verwendet, die über insgesamt 18 Monate am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Kooperation mit dem Herder-Institut der Universität Leipzig durchgeführt wurde.
Die Studie verfolgt zwei methodische Perspektiven: Einerseits werden Daten auf Gruppenebene untersucht. Hier kommen neben Profilanalysen longitudinale Clusteranalysen zum Einsatz. Andererseits nimmt die Studie zwei Lernende in einer vergleichenden Einzelfallanalyse in den Blick. Hier bilden ebenfalls Profilanalysen den Ausgangspunkt der Datenanalyse. Diese werden durch grafische Variabilitäts- und Trendanalysen mit unterschiedlichen Korrelationsanalysen und Change Point-Analysen ergänzt.
Ziel dabei ist es, einerseits zu überprüfen, ob sich sequenzielle und implikationelle Erwerbsfolgen für die Lernerinnen und Lerner herausarbeiten lassen und andererseits die komplex-dynamischen Entwicklungen ausgewählter syntaktischer Strukturen im Zweitspracherwerb erwachsener Lernender detailliert zu modellieren.

ISBN 978-3-503-21222-4 

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache