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Schreiben ist wichtig, so Prof. Dr. Ingo Thonhauser (Foto: privat)
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Ingo Thonhauser

Thonhauser: „Blogs oder Chats bieten neue Möglichkeiten des kooperativen Schreibens“

ESV-Redaktion Philologie
25.04.2019
Wir alle schreiben tagtäglich, ob mit der Hand, der Tastatur oder dem Smartphone. Doch wie wichtig ist Schreiben heute noch, und welche Rolle spielt es beim Fremdsprachenlernen? Geht es hier nicht vor allem um Sprechen? Prof. Dr. Ingo Thonhauser im Gespräch mit der ESV-Redaktion.
Lieber Herr Thonhauser, wie kann Schreiben dabei helfen, eine Fremdsprache zu lernen?

Ingo Thonhauser: Schreiben gibt Lernenden die Gelegenheit, ihre sprachlichen Ressourcen anders zu nutzen als beim Sprechen. Sie haben Zeit ihre Texte strategisch zu planen, sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst zu werden und nach Lösungen zu suchen, wenn der gerade benötigte sprachliche Ausdruck fehlt. Beim Schreiben können Lernende zudem ihre mehrsprachigen Repertoires nutzen, indem sie beispielweise Textsortenwissen, das in der Sprache des schulischen Lernens erworben wurde, auch für das Lernen (in) der Fremdsprache nutzen oder Parallelen zwischen Sprachen herstellen. Im handlungsorientierten Fremdsprachenunterricht stehen nicht einzelne sprachliche Fertigkeiten wie das Lesen oder Sprechen im Mittelpunkt, sondern komplexe Aufgaben, die alle sprachlichen Fertigkeiten mobilisieren.

Nicht zuletzt ist das Schreiben für die Lernenden eine Gelegenheit, an sprachlicher und orthografischer Korrektheit zu arbeiten. Hier gilt es aber zu vermeiden, dass dies immer unmittelbar mit Leistungsüberprüfungen verknüpft wird.

Seit der kommunikativen Wende wird immer mehr Wert auf die mündliche Kommunikation gelegt. Welche Rolle spielt das Schreiben heute im Fremdsprachenunterricht überhaupt noch?

Ingo Thonhauser: Es ist sicher richtig, dass nach der kommunikativen Wende der Schwerpunkt im Bereich des Mündlichen gesetzt wurde, seitdem hat sich aber einiges getan und das Schreiben hat heute seinen festen Platz im Fremdsprachenunterricht. Die Diskussion zur Rolle von Textkompetenz für das Lernen in der Schule hat gezeigt, dass das Schreiben im Fremd- und Zweitsprachenunterricht zur Entwicklung derjenigen Kompetenzen beiträgt, die Schulerfolg maßgeblich mitbestimmen.

Dies gilt natürlich besonders für Situationen, in denen Deutsch als Zweitsprache erlernt wird. Das Schreiben fordert und fördert Sprachbewusstheit, es schafft Distanz zur eigenen Sprachproduktion und bietet die Möglichkeit, die Vorteile der „zerdehnten Kommunikationssituation“, wie Konrad Ehlich es einmal genannt hat, zu nutzen. Damit ist gemeint, dass ich als Schreibender mit meinem Kommunikationspartner nicht unmittelbar in Kontakt bin und daher Texte planen, überarbeiten, verbessern und kontrollieren kann. Das Schreiben bietet daher besondere Lerngelegenheiten im Bereich der Lern- und Kommunikationsstrategien.

Nicht zuletzt gehört Schreiben heute im kommunikativen Alltag wieder zu den besonders wichtigen Fertigkeiten und damit zur kommunikativen Kompetenz, die das Ziel des Sprachunterrichts ist.

Fremdsprache Deutsch Heft 60 11.04.2019
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Wie kann man schon junge Kinder beim Schreiben unterstützen?

Ingo Thonhauser: In den 1990er Jahre wurde das Schreiben gerade auch für den frühen Fremdsprachenunterricht neu entdeckt, in dem es lange eine untergeordnete Rolle gespielt hatte. Dies hat einmal damit zu tun, dass man anerkannte, dass Schreiben ja immer schon Teil des schulischen Fremdsprachenunterrichts war. Auch das Ausfüllen eines Lückentexts ist schließlich eine Form des Schreibens.

Darüber hinaus bieten spielerische Formen des Umgangs mit dem Schreiben auch im frühen Fremdsprachenunterricht viele motivierende Möglichkeiten, die deutsche Sprache auszuprobieren und konkrete Produkte herzustellen, auf die man stolz sein kann. Dies kann zum Beispiel ein gemeinsam erstelltes Lernplakat oder ein erster kleiner Text sein, der dann im Sprachenportfolio seinen Platz findet.

Warum haben Lernende teilweise eine Art „Unlust“ auf Schreiben?

Ingo Thonhauser: Das Schreiben war und ist natürlich häufig mit Leistungsbeurteilung verbunden. Lernende befürchten daher, dass jedes Wort, das sie schreiben, „gegen sie verwendet werden könnte“. Schreiben ist zudem in vielen Fällen mit der Realisierung von Textsorten verbunden, die typisch für das Lernen in der Schule sind und in diesem Lehr- und Lernkontext auch ihre Legitimation haben. Ich denke da an die in Lehrwerken nach wie vor beliebte Postkarte aus dem Urlaub, aber auch an Lückentexte oder die im deutschen Sprachraum verbreitete Erörterung. Gerade hier liegt aber auch viel kreativer Gestaltungsspielraum für Lehrende, die Schülerinnen und Schülern zeigen können, dass das Schreiben nicht immer nur der Beurteilung dient und dass Schreibanlässe gefunden werden können, die von Lernenden als authentisch und motivierend erlebt werden.

Ist Schreiben an der Hochschule sehr anders als Schreiben in der Schule?

Ingo Thonhauser: Die drei Phasen des Schreibprozesses (Planung – Formulierung – Überarbeitung) sind eine Grundlage der methodisch-didaktischen Zugänge zur Entwicklung des Schreibens in der Fremdsprache. Dies gilt für die Schule ebenso wie für die Hochschule. Einen wesentlichen Unterschied sehe ich jedoch darin, dass Lernende im tertiären Bereich über Textkompetenz verfügen, die in der Schule erworben wurde. Didaktisch bedeutet dies, diese in anderen Sprachen erworbenen Kompetenzen für die Entwicklung von Schreibkompetenz in der Studien- und Wissenschaftssprache Deutsch zu mobilisieren und zu nutzen.

Studierende haben zudem in der Regel spezifische Lernziele und arbeiten an studienspezifischer Sprachkompetenz. Studienbegleitender Fremdsprachenunterricht bietet häufig didaktische Möglichkeiten, die in der Schule nicht so einfach zu realisieren sind. Ich denke hier an Formen der Schreibberatung oder an die Arbeit an ganz bestimmten Textsorten und fachsprachlichen Charakteristika der deutschen Wissenschaftssprache, wie sie in Ausgabe 61 der Zeitschrift Fremdsprache Deutsch Thema sind, die im Oktober 2019 erscheint.

Viele Kinder und Jugendliche, die heute Schreiben lernen, sind sogenannte Digital natives. Welchen Einfluss hat dies auf ihr Schreiben?

Ingo Thonhauser: Ich denke, dass diese Tatsache viele neue Möglichkeiten für den Fremdsprachenunterricht eröffnet. Neue Kommunikationsformen wie Blogs oder Chats bieten ganz neue Möglichkeiten des kooperativen Schreibens. Zudem besteht hier eine Verbindung mit der Sprachverwendung der Lernenden außerhalb der Lehr- und Lernkontexte des Fremdsprachenlernens. Dies kann das Schreiben im Unterricht daher zu einer Sprachaktivität werden lassen, die Schüler und Schülerinnen als authentisch erleben. Natürlich gibt es hier auch viele offene Fragen: Im Zeitalter der digitalen Kommunikation verändert sich der Sprachgebrauch rapide und dies stellt Normen und Konventionen infrage. Wir werden uns in Zukunft sicher überlegen müssen, in welcher Form die sich verändernde Sprache zum Lehr- und Lerngegenstand in der Schule werden kann.

Was ist Ihr persönlicher Geheimtipp zum Schreiben im Fremdsprachenunterricht?

Ingo Thonhauser: Ich denke, dass wir das Schreiben von der Leistungsbeurteilung loslösen und nach vielfältigen Schreibanlässen suchen sollten, die sich an der Schreibpraxis der Lernenden orientieren und diesen die Möglichkeit geben, Textkompetenz zu entwickeln, die ihnen Chancen am Bildungs- und Arbeitsmarkt eröffnet.

Prof. Dr. Ingo Thonhauser
Professor für die Didaktik des Deutschen als Fremdsprache an der Pädagogischen Hochschule des Kantons Waadt (Schweiz). Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Textarbeit, Textkompetenz und Textsorten im Fremdsprachenunterricht, Ausbildung von Lehrkräften.

Fremdsprache Deutsch Heft 60 (2019): Schreiben
Themenheftherausgeber: Ingo Thonhauser

In der 60. Ausgabe von Fremdsprache Deutsch steht wie in der ersten, 1989 erschienenen Ausgabe das Schreiben als zentrale sprachliche Fertigkeit im Mittelpunkt.
Welche Bedeutung hat das Schreiben heute für Lernende im Kontext einer intensiven Diskussion um Bildungssprache, um die sprachliche Dimension allen Lernens in unseren von Mehrsprachigkeit geprägten Bildungssystemen? Wie kann mit der raschen Veränderung von Kommunikationsformen im Zeitalter des Smartphones umgegangen werden? Lassen sich z. B. Blogs, Foren, Kurznachrichten in den Deutschunterricht integrieren und welche didaktischen Fragen wirft dies auf?

Diese Ausgabe zeigt an konkreten Beispielen, wie heute in der Fremdsprache Deutsch geschrieben wird und welche methodisch-didaktischen Wege erprobt wurden. Praktikerinnen und Praktiker stellen ihre Erfahrungen in der Schule und an der Hochschule vor. Kooperatives Schreiben ist dabei ein wichtiges Thema, wenn Lernende z. B. gemeinsam an einer Online-Schülerzeitung arbeiten oder einen Comic-Roman verfassen. Schreiben ist aber auch Arbeit an Sprache, wie Beiträge zur Rechtschreibung oder zum Umgang mit Beschreibungen darstellen. Zum Schreiben gehört immer auch der kreative Umgang mit Sprache und natürlich die Nutzung sozialer Medien. Die erste Ausgabe von Fremdsprache Deutsch stand 1989 im Zeichen der „Wiederentdeckung“ des Schreibens, die Beiträge der 60. Ausgabe zeigen, welche neuen Formen des Schreibens sich heute für den Deutschunterricht entdecken lassen.

(ESV/lp)

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache