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Haartransplantationen haben medizinische und steuerliche Relevanz (Foto: Elnur / stock.adobe.com)
Neues aus der Rechtsprechung des BFH

Umsatzsteuerbefreiung für Haarwurzeltransplantationen bei Haarausfall

ESV-Redaktion Steuern
05.12.2024
Haarausfall kann eine ernstzunehmende medizinische Diagnose sein. Spätestens dann hat dies auch eine steuerjuristische Dimension. Denn für die Umsatzsteuerfreiheit einer Behandlung gegen Haarausfall muss ein therapeutischer Zweck der Behandlung vorliegen. In einem aktuellen Urteil beschäftigt sich der BFH damit, was das bedeutet.

Chirurgische Praxis mit Schwerpunkt Haartransplantation

Im Streit stand die Frage, inwieweit autologe Haarwurzeltransplantationen bei Patienten mit Alopezie (Haarausfall) umsatzsteuerbefreit sind.

Kläger und Revisionskläger war ein niedergelassener Facharzt für Chirurgie, dessen Praxis sich auf die Behandlung von Haarausfall spezialisiert hat. So wurden nach vorangehender Untersuchung, welche Erscheinungsform des Haarausfalls vorliegt, ggfs. im Anschluss bei bestimmten Formen des Haarausfalls (androgenetischer, hereditärer und vernarbender Alopezie beiderlei Geschlechts) Transplantationen patienteneigener Haarwurzeln vorgenommen.

In den Streitjahren 2010 bis 2012 erklärte der Kläger in den abgegebenen Umsatzsteuererklärungen 90 % seiner Umsätze als steuerfrei; es handele sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin nach § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, die er in Ausübung seiner Tätigkeit als Arzt durchgeführt habe.

Nach einer Außenprüfung nahm der Prüfer hingegen an, dass die vom Kläger in den Streitjahren erbrachten Haarverpflanzungen nur insoweit steuerfrei seien, als sie auf Patienten mit sogenannter narbiger Alopezie entfielen, da nur hier eine Krankheit i.S.d. § 27 Satz 1 Nr. 1 SGB V vorliege. Die übrigen Umsätze seien hingegen steuerpflichtig, da keine ärztliche Heilbehandlung gegeben sei. Es ergingen dementsprechende Umsatzsteuerbescheide, gegen die der spätere Kläger erfolglos Einspruch einlegte. Dabei begründete er umfangreich, dass die Transplantation in diesen besonderen Fällen medizinisch indiziert seien, der Behandlung oder Vorbeugung von Krankheiten oder anderen Gesundheitsstörungen dienten und einen therapeutischen Zweck verfolgten.

Das Finanzamt wies die Einsprüche mit dem Argument als unbegründet zurück, eine Steuerbefreiung komme ‑ über die vernarbende Alopezie hinaus ‑ nur insoweit in Betracht, als die medizinische Indikation im Einzelfall nachgewiesen werde. Dies sei schon mangels Vorlage anonymisierter Patientenakten nicht geschehen. Es sei davon auszugehen, dass die Transplantationen kosmetischen Zwecken gedient hätten. Die bloße Aufstellung der Behandlungsfälle, in denen der Kläger selbst die medizinische Notwendigkeit der Haarwurzeltransplantationen bescheinige, reiche als Nachweis nicht aus.

Das Finanzgericht gab der Klage insoweit statt, als es die Diagnosetätigkeit des Klägers als steuerfrei ansah; im Übrigen wies es die Klage ab. Es ließ dabei offen, ob es sich bei der androgenetischen Alopezie um eine Krankheit oder um einen körperlichen Mangel handele. Denn es fehle der Haarwurzeltransplantation jedenfalls an einer therapeutischen Zielsetzung, weil sie weder der Heilung noch der Behandlung der Ursachen der androgenetischen Alopezie diene. Die Behandlungen hätten in erster Linie zu einem kosmetisch-ästhetischen Ergebnis geführt. 

Bei einigen Formen des Haarausfalls besteht die Vermutung der Behandlungsbedürftigkeit

Die Revision des Klägers war begründet und führte zur Zurückverweisung an das FG.

Der BFH stimmt dem FG insoweit zu, als dieses entschieden hat, dass die Diagnosetätigkeit des Klägers steuerfrei ist.

Es hat den Transplantationen jedoch zu Unrecht  pauschal den therapeutischen Zweck abgesprochen und nicht hinreichend geprüft, inwieweit es sich bei den verschiedenen vom Kläger behandelten Formen des Haarausfalls um einen behandlungsbedürftigen Zustand handelt.

§ 4 Nr. 14 Buchst. a Satz 1 UStG stellt Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der Tätigkeit als Arzt (…) durchgeführt werden, steuerfrei. Die Regelung muss im Lichte des Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL unionsrechtskonform ausgelegt werden.

Der autonome unionsrechtliche Begriff "Heilbehandlung(en) im Bereich der Humanmedizin" erfasst Leistungen, die der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen, sie erfordert somit einen therapeutischen Zweck.

Daraus folgt jedoch nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zielsetzung einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist; so fallen medizinische Leistungen, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, unter die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL vorgesehene Steuerbefreiung.

Im Gegenschluss sind Leistungen, die zu einem anderen Zweck als dem der Diagnose, der Behandlung und, soweit möglich, der Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen durchgeführt werden und keinem solchen therapeutischen Ziel dienen, keine Heilbehandlungen. Das gilt insbesondere für Leistungen, die lediglich den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern oder das allgemeine Wohlbefinden steigern sollen.

Daher hat das FG zu Unrecht entschieden, eine Haartransplantation habe keinen therapeutischen Zweck, weil sie weder der Heilung noch der Behandlung der Ursachen der Alopezie dienten. Es legt dabei ein zu enges Verständnis des therapeutischen Zwecks zugrunde. Vielmehr kann ein therapeutischer Zweck im umsatzsteuerrechtlichen Sinne auch dann vorliegen, wenn nicht auf die Ursachen einer Krankheit eingewirkt wird. Gleiches gilt für andere Maßnahmen, die eine Krankheit zwar nicht heilen, aber die damit verbundenen Mängel ausgleichen.

Da das FG von falschen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sein Urteil aufzuheben.

Die Sache ist indes nicht spruchreif, so hat das FG nicht festgestellt, in welchem Umfang der Kläger in den Streitjahren Patienten behandelt hat, bei denen der Alopezie Krankheitswert zukommt.

Ästhetische Behandlungen wie Haartransplantationen kommen als steuerfreie Heilbehandlungen in Betracht, wenn die Leistungen dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist. Erfolgt der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken, reicht dies nicht aus.

Bei ästhetischen Behandlungen, die ‑ wie die Haartransplantationen des Klägers ‑ sowohl Heilbehandlungszwecken als auch bloß kosmetischen Zwecken oder der Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustands dienen können und insofern einem Grenzbereich zuzuordnen sind, liegt nicht in jedem Fall eine Heilbehandlung vor, sondern es kommt auf eine Prüfung anhand der Umstände des Einzelfalls an. Da es um die Beurteilung einer medizinischen Frage geht, muss sie auf medizinischen Feststellungen beruhen, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind.

Alopezie kann einen behandlungsbedürftigen Zustand darstellen, wenn der Verlust oder Mangel an Haaren bereits für sich betrachtet Krankheitswert hat, objektiv entstellend wirkt oder zu Folgeerkrankungen führt. Derjenige, der sich so auf die Steuerfreiheit der Umsätze beruft, muss dies in jedem Einzelfall nachweisen.

Der  BFH teilt nicht die Auffassung des Klägers, der Mangel an Haupthaar führe ab einem bestimmten Grad der Alopezie generell zu einer Beeinträchtigung von Körperfunktionen, so dass in diesen Fällen stets eine behandlungsbedürftige Krankheit oder Gesundheitsstörung vorliege.

Auch der Umstand, dass es sich bei Alopezie nach der "International Classification of Diseases (ICD)" der Weltgesundheitsorganisation um eine Krankheit handeln mag, ändert daran nach der Rechtsprechung des BFH nichts. Um eine behandlungsbedürftige Krankheit oder Gesundheitsstörung annehmen zu können, muss das Fehlen der Haare vielmehr als anormaler Zustand anzusehen sein, der den Betroffenen derart beeinträchtigt, dass er nach herrschender Auffassung einer medizinischen Behandlung bedarf.

Einige Formen des Haarausfalls stellen nach Auffassung des Senats typischerweise einen behandlungsbedürftigen Zustand dar. Menschen, die darunter leiden, mangelt es nach den tatsächlichen Feststellungen des FG bereits ab ihrer Geburt an Haaren, was sich im Laufe des Lebens teilweise verstärkt. Dies weicht ersichtlich vom Normalzustand ab. Der Senat geht daher davon aus, dass in solchen Fällen eine tatsächliche Vermutung dafür besteht, dass eine Behandlungsbedürftigkeit zu bejahen ist. Mögliche Ausnahmen hiervon wären gegebenenfalls in Bezug auf den jeweiligen Patienten von der Finanzverwaltung konkret nachzuweisen, wobei der Steuerpflichtige zur Sachverhaltsaufklärung heranzuziehen.

Anlagebedingter Haarausfall kann typischerweise nicht als krankhaft angesehen werden, weil er abhängig vom Alter die Mehrheit der Menschen betrifft und daher kein anormaler, sondern ein normaler Zustand ist. In diesen Fällen ist tatsächlich zu vermuten, dass eine Haarverpflanzung in diesen Fällen regelmäßig aus kosmetischen Zwecken und nicht zur Behandlung einer Krankheit erfolgt. Ein Krankheitswert kann dem dann beigemessen werden, wenn er entstellend wirkt.

Das Verfahren wird an das FG zurückverwiesen, da dieses die Umsätze noch genauer klassifizieren muss. Der Kläger, der sich auf die Steuerbefreiung beruft, trägt insoweit die Feststellungslast. Er hat, soweit keine entsprechende tatsächliche Vermutung besteht, das Vorliegen eines Ausnahmefalls für jeden einzelnen Patienten durch von medizinischem Fachpersonal zu treffende Feststellungen zu dokumentieren und nachzuweisen. Hierzu ist die ärztliche Expertise des Klägers allein nicht ausreichend; zu verlangen ist daher eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung, die Angaben insbesondere dazu enthalten soll, auf welcher tatsächlichen Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, welche Methode der Tatsachenerhebung angewandt wurde, wie die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) lautet, welchen Schweregrad die Erkrankung aufweist und welche (entstellenden oder psychischen) Folgen sich aus ihr ergeben. Zu beachten ist vom FG und den Beteiligten dabei auch, dass die Feststellung einer entstellenden Wirkung oder einer psychischen Erkrankung typischerweise nicht durch einen Chirurgen (wie den Kläger), sondern durch einen dafür zuständigen Facharzt erfolgt.


Fundstelle: BFH, Urteil vom 25. September 2024 - XI R 17/21 (veröffentlicht am 5. Dezember 2024)



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(ESV/cmx)

Programmbereich: Steuerrecht