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OLG Frankfurt am Main: Warnhinweise auf Online-Portalen sind nach den Grundätzen der Verdachtsberichterstattung im Presserecht zu behandeln (Foto: Song_about_summer / stock.adobe.com)
Fake-Bewertungen auf Online-Portalen

Wann Bewertungsportale auf einen Manipulationsverdacht hinweisen dürfen oder sogar müssen

ESV-Redaktion Recht
07.12.2020
Die Frage, wann und auf welche Weise Bewertungsportale ihre Nutzer auf einen Manipulationsverdacht hinweisen müssen, ist auch bei den Gerichten nicht ganz unumstritten. Dies zeigen zwei aktuelle Entscheidungen des LG Kassel und des OLG Frankfurt am Main.
In den Streitfällen hatte ein Bewertungsportal die Profile von zwei Ärzten mit längeren Hinweistexten versehen. In den Texten wurden Profilbesucher zunächst darüber informiert, dass die Website gegen Manipulierungen vorgeht und dass bei den Profilen der Verdacht auf manipulierte Bewertungen besteht. Zudem enthielten die Texte den Hinweis, dass die Inhaber ihre Verantwortung für die vermeintlichen „Fake-Bewertungen“ bestreiten. Vorher hatte der Plattformbetreiber die Profilinhaber um Aufklärung gebeten. Zu den Entscheidungen:
 

LG Kassel: Zahnärztin wahrscheinlich nicht verantwortlich

Im Juni 2020 verlangte eine Zahnärztin im Rahmen ihres Antrags auf eine einstweilige Verfügung von dem Bewertungsprotal „jameda“ die Entfernung des Hinweises. Allerdings hatte das Portal bei anderen Mitarbeitern aus der Gemeinschaftspraxis nachgewiesen, dass diese in eine Manipulation involviert waren.

Verfügungsklägerin: Keine Möglichkeit, bei Aufklärung zu helfen

Dem entgegnete die Zahnärztin, dass sie niemanden beauftragt habe und über manipulierte Bewertungen nichts wisse. Der Plattform bot sie an, mithilfe der E-Mail-Adressen der – möglicherweise gekauften – Bewerter, bei der Aufklärung zu helfen. Wegen des Datenschutzes gab die Plattform die Adressen allerdings nicht heraus. Daraufhin beanstandete die Profilinhaberin, dass ihr mangels E-Mails und trotz eidesstattlicher Erklärung der Unkenntnis eine unzureichende Unterstützung bei der Aufklärung vorgeworfen wurde.
 
Ärzteportal hat nach Auffassung des LG Kassel vertragliche Nebenpflichten verletzt

Das LG Kassel untersagte dem Portal, das Profil der Zahnärztin mit den beanstandeten Hinweistexten zu versehen. Das Gericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt:
 
  • Keine gesetzliche Pflicht zur Anbringung von Warnhinweisen: Die Plattformanbieterin ist nach § 7 Abs. 2 Telemediengesetz (TMG) nicht zur Überwachung, zur Nachforschung oder gar zur Anbringung von Warnhinweisen verpflichtet. Nach Absatz 3 der benannten Norm muss die Plattformanbieterin nur bestimmte Bewertungen löschen.
  • Keine ausdrückliche vertragliche Regelung: Auch im Vertrag findet sich keine ausdrückliche Vereinbarung über das Anbringen solcher Banner.
  • Aber – Verletzung vertraglicher Nebenpflichten: Trotzdem sind nach Auffassung der Richter aus Kassel Warnhinweise möglich. Demnach sind die Grenzen zwischen einer zulässigen öffentlichen Kritik und einer rechtswidrigen negativen Bewertung durch Auslegung der gesamten vertraglichen Beziehungen einschließlich ihrer Nebenpflichten zu bestimmen. So hat die Plattform nach allgemeinem Zivilrecht gegenüber ihrem Vertragspartner nebenvertragliche Schutzpflichten gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu wahren. Aus diesen ergebe sich ein Mäßigungsgebot, was der BGH bereits 2006 in einem Urteil zur Verletzung des Bankengeheimnisses in einem Fernsehinterview entschieden habe, so das Gericht weiter.
  • Deliktsrecht ergänzt vertragliche Pflichten: Diese Pflichten sind zudem durch die Bedeutung der deliktischen Regelungen der §§ 823 Absatz 1 und 824 BGB mitgeprägt.
  • Interessen der Profilinhaberin überwiegen: Demnach ist zwischen dem Schutz der Interessen des Profilinhabers und etwa Verbrauchern, Mitbewerbern, aber auch den wirtschaftlichen Interessen des Plattformbetreibers abzuwägen. Überwiegt das Schutzinteresse der anderen, sollte ein Warnhinweis zumindest neutral formuliert sein, so das Gericht.
  • Warnung als Lügnerin stigmatisiert Zahnärztin: Auch wenn in einem Satz explizit darauf hingewiesen wird, dass es sich nur um einen Verdacht handelt, stigmatisiert die „Warnung“ die Ärztin als Lügnerin. Die Richter werteten den Umstand, dass anderen Mitarbeitern aus der Praxis Manipulation vorgeworfen werden konnte, so, dass die Klägerin wahrscheinlich nicht verantwortlich ist. Der Hinweis wirkte dem LG zufolge auf den angesprochenen Verkehr aber so, als sei die Profilinhaberin beteiligt gewesen.

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OLG Frankfurt am Main: Hinweistext ausreichend neutral

Ein weiterer Arzt wollte unter ähnlichen Umständen seinen Unterlassungsanspruch geltend machen. Er wendete sich mit einer sofortigen Beschwerde gegen einen Beschluss des LG Frankfurt am Main vom 9.6.2020 – 2-03 O 167/20. Mit diesem hatte das LG seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 23.04.2020 zurückgewiesen. Nun musste das OLG Frankfurt am Main entscheiden.

Anders gelegen war hier, dass der Arzt die Bewertungsmanipulationen nicht auf Angestellte oder Kollegen zurückführen konnte. Das Gericht sah den Hinweistext, im Gegensatz zum LG Kassel, aber als ausreichend neutral an und wies die sofortige Beschwerde zurück. Hierzu führten Sie aus, dass die Hinweistexte wie nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung zu behandeln sind ließen sich im Wesentlichen von folgenden Überlegungen leiten:

  • Text keine Vorverurteilung: Der Hinweis darf nicht den Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. 
  • Keine Stigmatisierung: Der Beschwerdeführer erfährt keine Stigmatisierung als Lügner. Es ist zwar eine unglückliche Formulierung, wenn in den letzten Sätzen statt des „Verdachtsfalls“ nur noch von „Manipulation“ die Rede war. Der typische Rezipient erkennt aber an der Formulierung: „Es kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Profil weiterhin bzw. künftig manipulierte Bewertungen enthält“, das es sich um einen Standardtext handelt.
  • Verdachtshinweis erkennbar: Zudem, so das OLG weiter, würde der Leser sehen, dass es nur einen Verdacht gibt. Immerhin ist in einem Satz erwähnt, dass der Verdacht derzeit nicht endgültig beurteilt werden kann. Vor allem hieraus werde deutlich, dass der Hinweis nicht auf eine Schuldzuweisung abzielt, sondern auf die Wahrung der authentischen Meinungsbildung.
  • Öffentliches Interesse gegeben: Bei Vorgängen von gravierendem Gewicht besteht dem OLG zufolge ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit. Diese gravierende Gewichtigkeit schlussfolgert das Gericht einerseits aus den 6 Mio. monatlichen Nutzern, die auf Arztsuche sind. Den Umstand, dass die Bewertungen aus dem Zeitraum von Mitte Mai 2019 bis Anfang Februar 2020 stammen, sah das OLG noch als vertretbar an.
Pflicht zum Verbraucherschutz nach Vorgaben des Bundeskartellamts?

Weiterhin betonten die Richter aus Frankfurt am Main das überragende Interesse an dem Schutz der Verbraucher vor nicht-authentischen Bewertungen.  Insoweit zog das OLG eine von der Beklagten zitierte Sektorenuntersuchung des Bundeskartellamts heran. Nach Auffassung des OLG wird man sogar von einer Pflicht der Portale ausgehen können, Verbraucher über den Verdacht von Manipulationen zu informieren.

Quellen:

  • Urteil des LG Kassel vom 15.6. 2020 – 10/O 703/20

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(ESV/jp/bp)

Programmbereich: Wirtschaftsrecht