Wann Bewertungsportale auf einen Manipulationsverdacht hinweisen dürfen oder sogar müssen
LG Kassel: Zahnärztin wahrscheinlich nicht verantwortlich
Verfügungsklägerin: Keine Möglichkeit, bei Aufklärung zu helfen
Ärzteportal hat nach Auffassung des LG Kassel vertragliche Nebenpflichten verletzt
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Keine gesetzliche Pflicht zur Anbringung von Warnhinweisen: Die Plattformanbieterin ist nach § 7 Abs. 2 Telemediengesetz (TMG) nicht zur Überwachung, zur Nachforschung oder gar zur Anbringung von Warnhinweisen verpflichtet. Nach Absatz 3 der benannten Norm muss die Plattformanbieterin nur bestimmte Bewertungen löschen.
- Keine ausdrückliche vertragliche Regelung: Auch im Vertrag findet sich keine ausdrückliche Vereinbarung über das Anbringen solcher Banner.
- Aber – Verletzung vertraglicher Nebenpflichten: Trotzdem sind nach Auffassung der Richter aus Kassel Warnhinweise möglich. Demnach sind die Grenzen zwischen einer zulässigen öffentlichen Kritik und einer rechtswidrigen negativen Bewertung durch Auslegung der gesamten vertraglichen Beziehungen einschließlich ihrer Nebenpflichten zu bestimmen. So hat die Plattform nach allgemeinem Zivilrecht gegenüber ihrem Vertragspartner nebenvertragliche Schutzpflichten gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB zu wahren. Aus diesen ergebe sich ein Mäßigungsgebot, was der BGH bereits 2006 in einem Urteil zur Verletzung des Bankengeheimnisses in einem Fernsehinterview entschieden habe, so das Gericht weiter.
- Deliktsrecht ergänzt vertragliche Pflichten: Diese Pflichten sind zudem durch die Bedeutung der deliktischen Regelungen der §§ 823 Absatz 1 und 824 BGB mitgeprägt.
- Interessen der Profilinhaberin überwiegen: Demnach ist zwischen dem Schutz der Interessen des Profilinhabers und etwa Verbrauchern, Mitbewerbern, aber auch den wirtschaftlichen Interessen des Plattformbetreibers abzuwägen. Überwiegt das Schutzinteresse der anderen, sollte ein Warnhinweis zumindest neutral formuliert sein, so das Gericht.
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Warnung als Lügnerin stigmatisiert Zahnärztin: Auch wenn in einem Satz explizit darauf hingewiesen wird, dass es sich nur um einen Verdacht handelt, stigmatisiert die „Warnung“ die Ärztin als Lügnerin. Die Richter werteten den Umstand, dass anderen Mitarbeitern aus der Praxis Manipulation vorgeworfen werden konnte, so, dass die Klägerin wahrscheinlich nicht verantwortlich ist. Der Hinweis wirkte dem LG zufolge auf den angesprochenen Verkehr aber so, als sei die Profilinhaberin beteiligt gewesen.
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OLG Frankfurt am Main: Hinweistext ausreichend neutral
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Text keine Vorverurteilung: Der Hinweis darf nicht den Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt.
- Keine Stigmatisierung: Der Beschwerdeführer erfährt keine Stigmatisierung als Lügner. Es ist zwar eine unglückliche Formulierung, wenn in den letzten Sätzen statt des „Verdachtsfalls“ nur noch von „Manipulation“ die Rede war. Der typische Rezipient erkennt aber an der Formulierung: „Es kann dennoch nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Profil weiterhin bzw. künftig manipulierte Bewertungen enthält“, das es sich um einen Standardtext handelt.
- Verdachtshinweis erkennbar: Zudem, so das OLG weiter, würde der Leser sehen, dass es nur einen Verdacht gibt. Immerhin ist in einem Satz erwähnt, dass der Verdacht derzeit nicht endgültig beurteilt werden kann. Vor allem hieraus werde deutlich, dass der Hinweis nicht auf eine Schuldzuweisung abzielt, sondern auf die Wahrung der authentischen Meinungsbildung.
- Öffentliches Interesse gegeben: Bei Vorgängen von gravierendem Gewicht besteht dem OLG zufolge ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit. Diese gravierende Gewichtigkeit schlussfolgert das Gericht einerseits aus den 6 Mio. monatlichen Nutzern, die auf Arztsuche sind. Den Umstand, dass die Bewertungen aus dem Zeitraum von Mitte Mai 2019 bis Anfang Februar 2020 stammen, sah das OLG noch als vertretbar an.
Weiterhin betonten die Richter aus Frankfurt am Main das überragende Interesse an dem Schutz der Verbraucher vor nicht-authentischen Bewertungen. Insoweit zog das OLG eine von der Beklagten zitierte Sektorenuntersuchung des Bundeskartellamts heran. Nach Auffassung des OLG wird man sogar von einer Pflicht der Portale ausgehen können, Verbraucher über den Verdacht von Manipulationen zu informieren.
Quellen:
- Urteil des LG Kassel vom 15.6. 2020 – 10/O 703/20
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(ESV/jp/bp)
Programmbereich: Wirtschaftsrecht