
„Whistleblower handeln im Interesse des Unternehmens und aller Mitarbeitenden“
Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, Whistleblowern wirksame Kanäle zur vertraulichen Meldung von Verstößen gegen EU-Vorschriften zur Verfügung zu stellen und ein robustes System zum Schutz vor Vergeltungsmaßnahmen einzurichten. Florian Block, Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei CMS Hasche Sigle, erläutert im Interview mit Wolfhart Fabarius, worin bei der Umsetzung in Deutschland die zentralen Punkte liegen, wie es nun weitergeht und welche Rolle Whistleblowing bei der Etablierung einer Compliance-Kultur spielt.
Welches sind aus Ihrer Sicht die wesentlichen Punkte, an denen die Umsetzung des Hinweisgeberschutzgesetzes in Deutschland bislang scheiterte?
Florian Block: Wenn man sich die Argumentation der Unionsparteien, die das Gesetz im Bundesrat haben scheitern lassen, ansieht, wurde das Gesetz wegen zwei Punkten als zu weitgehend abgelehnt. Erstens: Der sachliche Anwendungsbereich des Gesetzes gehe ohne Not über den von der EU-Hinweisgeberrichtlinie gesetzten Rahmen hinaus. Insbesondere würden jegliche Straftaten und bestimmte Ordnungswidrigkeiten mit einbezogen, obwohl dies von der EU-Hinweisgeberrichtlinie nicht vorgegeben sei. Durch diese Erweiterung würden die Unternehmen unnötig belastet. Zweitens: Die zuletzt aufgenommene Verpflichtung der Unternehmen, auch anonyme Meldungen zu bearbeiten und ab 2025 technische Meldekanäle einzurichten, die eine Kommunikation mit anonym bleibenden Hinweisgebern ermöglichen, sei zu weitgehend. Es bestehe die Gefahr, dass Unternehmen durch eine Vielzahl denunziatorischer Meldungen überlastet würden. Auch die Kosten für technische Meldekanäle würden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen überfordern.
Wie bewerten Sie insbesondere die Ausdehnung des Anwendungsbereichs im Gesetzesentwurf verglichen mit der EU-Richtlinie? Der Gesetzgeber will ja aufgrund der weiterführenden Auslegung alle Verstöße einbeziehen, die strafbewährt sind, ebenso wie bestimmte bußgeldbewährte Verstöße.
Meines Erachtens ist die Ausdehnung des Anwendungsbereichs im Vergleich zur EU-Hinweisgeberrichtlinie unbedingt geboten. Der Anwendungsbereich der EU-Hinweisgeberrichtlinie ist ja nur deswegen auf Verstöße gegen EU-Recht beschränkt, da die EU keine Kompetenz hat, auch Verstöße gegen nationale Gesetze mit in den Anwendungsbereich einzubeziehen. Dies ist Aufgabe der Mitgliedsstaaten. Es hat auch überhaupt keinen Sinn, dass Hinweisgeber zwar bei Meldungen über Verstöße gegen europarechtliche Produktsicherheitsvorschriften oder die DSGVO geschützt sind, nicht jedoch bei Meldungen über schwere Wirtschaftsstraftaten wie Bestechung und Betrug. Auch für die Unternehmen sollte es von Interesse sein, dass Hinweisgeber etwaige Straftaten, die im Unternehmen begangen werden, melden können und dabei geschützt sind. Für Hinweisgeber wäre es auch abschreckend, wenn sie vor Abgabe einer Meldung erst einmal eine rechtliche Prüfung durchführen lassen müssten, ob der zu meldende Sachverhalt nun durch das Gesetz geschützt ist.
Und wie steht es um das Argument, Unternehmen würden durch die Erweiterung des Anwendungsbereichs überlastet?
Das ist aus praktischer Sicht auch haltlos. Es gehen im Normalfall gerade bei kleinen und mittleren Unternehmen nur wenige Meldungen über ein Hinweisgebersystem ein. Der Aufwand, diese zu bearbeiten, ist daher überschaubar. Und wenn man als Unternehmen ohnehin ein Hinweisgebersystem einführen muss, sollte es auch gleich alle wesentlichen Verstöße abdecken. Weshalb das zu einer unnötigen Mehrbelastung der Unternehmen führen soll, leuchtet mir nicht ein. Vor diesem Hintergrund empfehlen wir unseren Mandanten auch regelmäßig, beim Aufbau eines Hinweisgebersystems den sachlichen Anwendungsbereich so weit zu fassen, dass Meldungen über jegliche erheblichen Verstöße gegen geltendes Recht geschützt werden.
Halten Sie es für sinnvoll, dass sich Meldestellen auch mit anonymen Hinweisen beschäftigen müssen?
Die verpflichtende Bearbeitung und Entgegennahme von anonymen Hinweisen ist meines Erachtens sehr sinnvoll. Die Erfahrung aus der praktischen Beratung zeigt, dass gerade bei schwerwiegenden Verstößen Hinweise häufig anonym abgegeben werden, da dies aus Sicht der Hinweisgebenden der sicherste Weg ist, wegen der Meldung später nicht belangt zu werden. Die Möglichkeit der anonymen Meldungsabgabe dürfte trotz gesetzlichem Hinweisgeberschutz ein erheblicher Anreiz für Hinweisgebende sein, überhaupt eine Meldung über das unternehmensinterne Hinweisgebersystem und nicht über die künftig auch zur Verfügung stehende externe Hinweisgeberstelle abzugeben. Auch das Argument, die verpflichtende Bearbeitung von anonymen Meldungen verursache unangemessenen Mehraufwand für Unternehmen, sehe ich nicht. Es gibt heute gute digitale Meldesysteme auf dem Markt, die für kleine Unternehmen ab rund 50 Euro pro Monat erworben werden können. Diese Meldesysteme bieten dem anonym bleibenden Hinweisgebenden die sichere Möglichkeit, mit der Meldestelle des Unternehmens zu kommunizieren.
Wie sind in diesem Zusammenhang der Spagat zwischen möglichem Missbrauch des Meldesystems und sinnvollem Abbau von Hemmschwellen zur Abgabe eines Hinweises zu bewerten?
Das Risiko missbräuchlicher Nutzung erscheint mir gering. Alle verfügbaren Studien zu Hinweisgebersystemen zeigen, dass der Anteil missbräuchlicher Meldungen in der Praxis zu vernachlässigen ist. Es gibt zwar hin und wieder missbräuchliche Meldungen, die sind aber eher selten. Die Vorteile der anonymen Meldemöglichkeit überwiegen daher die Risiken einer missbräuchlichen Nutzung aus meiner Sicht deutlich.
Die Bundesregierung dürfte nun den Vermittlungsausschuss anrufen. Mit welchen Änderungen im Gesetzentwurf ist im Zuge der folgenden Verhandlungen zu rechnen?
Das ist schwer vorherzusagen. Es könnte auch sein, dass die Regierung versuchen wird, ein zustimmungsfreies Gesetz durch den Bundestag zu bringen, das dann nicht mehr der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Solche Überlegungen scheint es bereits zu geben. Ansonsten könnte ich mir vorstellen, dass es irgendeinen Kompromiss zu den aufgeworfenen Streitpunkten Anwendungsbereich und Anonymität gibt. Wie der aussehen könnte, bleibt abzuwarten. Ob ein solcher Kompromiss dann auch sachgerecht sein wird, wird man sehen müssen.
Ein Hinweisgeberschutzgesetz ist ohnehin zwingend einzuführen. Für wann rechnen Sie nun mit der Verabschiedung?
Auch das ist schwer zu sagen. Aufgrund der mittlerweile von der EU-Kommission eingereichten Klage gegen die Bundesrepublik wegen der verzögerten Umsetzung der EU-Hinweisgeberrichtlinie dürfte es nicht allzu lange dauern. Mit einer weiteren Verzögerung um einige Monate ist dennoch zu rechnen. Ich gehe aber davon aus, dass das Hinweisgeberschutzgesetz bis zum vierten Quartal 2023 in Kraft treten dürfte.
Was bedeutet die weitere Verzögerung konkret für die Unternehmen? Immerhin haben wir ja die EU-Richtlinie als Orientierungspunkt.
Nach meiner Erfahrung aus der Beratung von Unternehmen, die ein Hinweisgebersystem einrichten müssen, bedeutet die Verzögerung für Unternehmen gerade keine Entlastung, sondern eine zusätzliche Belastung. Die Unternehmen wissen, dass sie handeln müssen, es fehlt jedoch weiterhin die klare gesetzliche Vorgabe. Dies führt zu Mehraufwand bei der Implementierung und zu Unsicherheit – beides ist nicht im Sinne der Unternehmen. Richtig unglücklich ist es für Unternehmen, die europaweit tätig sind. In den meisten Mitgliedsstaaten sind die lokalen Hinweisgeberschutzgesetze zwischenzeitlich bereits verabschiedet. Die Unternehmen brauchen hier Rechtssicherheit, um ein Hinweisgebersystem aufbauen zu können, das alle lokalen Anforderungen erfüllt.
Geben die Unternehmen ohne eigene Meldestelle für Hinweisgebende nicht das Heft aus der Hand, weil Personen, die Missstände melden, sich bereits heute an externe Meldestellen wenden können?
Das ist richtig. Aus Unternehmenssicht sollte es von größtem Interesse sein, dass alle Hinweise auf Fehlverhalten im Unternehmen auch intern gemeldet werden. Nur so können Verstöße schnell aufgeklärt und abgestellt werden. Compliance-Risiken können im Idealfall frühzeitig entdeckt und abgestellt werden. Meldungen, die an eine externe Meldestelle abgegeben werden, haben eher das Potenzial, dem Unternehmen zu schaden, da im Fall einer behördlichen Untersuchung auch das Risiko von erheblicher Unruhe im Unternehmen und Reputationsschäden einhergehen können.
Inwiefern hilft Whistleblowing bei der Etablierung einer Compliance-Kultur im Unternehmen?
Für die Compliance-Kultur in Unternehmen ist Whistleblowing ein ganz wesentlicher Aspekt. Richtig kommuniziert wird durch ein Hinweisgebersystem die Botschaft ausgesendet, dass Compliance ein wesentlicher Bestandteil der Unternehmenskultur ist und Personen, die Hinweise auf Verstöße abgeben, gerade keine Nestbeschmutzer sind, sondern im Interesse des Unternehmens und aller Mitarbeitenden handeln. Ein funktionierendes Hinweisgebersystem wird daher schon lange als Best Practice in guter Compliance-Arbeit angesehen. Nicht umsonst schauen sich zum Beispiel die Behörden in den USA bei der Bemessung von Sanktionen sehr genau an, ob ein Unternehmen ein funktionierendes Compliance-System installiert hat. Hierzu zählt explizit auch ein Hinweisgebersystem.
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Programmbereich: Management und Wirtschaft