Hat die Begleichung von Rechungen Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug? (Photo: ImagineSine / Adobe Stock)
Neues aus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
Widerruf der Gestattung der Ist-Besteuerung wegen Missbrauchs
ESV-Redaktion Steuern
15.12.2023
Liegt eine mißbräuchliche Umsatzsteuergestaltung vor, wenn ein Leistungsempfänger bereits zur Vornahme des Vorsteuerabzugs berechtigt ist, obwohl beim leistenden Unternehmer aufgrund der Gestattung der Ist-Besteuerung noch keine Umsatzsteuer entstanden ist? Mit dieser Frage beschäftigte sich der BFH in einem aktuellen Urteil.
Widerruf der sog. Ist-Besteuerung
Die Beteiligten streiten darüber, ob das Finanzamt die dem Kläger erteilte Gestattung der Besteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten (sogenannte Ist-Besteuerung) zu Recht widerrufen hat.
Kläger ist ein Unternehmer, der seine Umsätze aufgrund einer Genehmigung aus dem Jahr 1987, die unter dem Vorbehalt des Widerrufs erteilt wurde, nach vereinnahmten Entgelten versteuert.
Im Sommer 2015 fand beim Kläger eine Außenprüfung durch das Finanzamt D statt. Dabei fiel der Prüferin auf, dass der Kläger als Geschäftsführer verschiedener Firmen (Leistungsempfänger) unternehmerisch tätig war, denen er in erheblichem Umfang Rechnungen mit gesondertem Ausweis von Umsatzsteuer erteilt hatte, die von diesen Leistungsempfängern jedoch nur über Verrechnungskonten gebucht und über mehrere Jahre hinweg nicht bezahlt wurden. Dabei waren in den Rechnungen weder Zahlungsfristen genannt noch Fälligkeiten ausgewiesen. Die Prüferin wertete diese Praxis so, dass ein zeitnaher Zufluss der Entgelte für die abgerechneten Leistungen beim Kläger gar nicht angestrebt worden sei, sondern hätte gezielt vermieden werden sollen.
Das Finanzamt D widerrief daraufhin die Genehmigung zur Besteuerung der Umsätze nach vereinnahmten Entgelten mit Bescheid vom 18.11.2015 zum 01.01.2016. Die sofortige Vornahme des Vorsteuerabzugs bei den Leistungsempfängern bei fehlender Vereinnahmung der Entgelte für die Umsätze beim Kläger begründe bei nahestehenden Personen die Vermutung eines Gestaltungsmissbrauchs.
Eine Klage hiergegen vor dem FG Rheinland-Pfalz hatte keinen Erfolg.
Auslegung von Art. 167 MwStSystRL
Der BFH hat der Revision stattgegeben und die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben.
Das Finanzamt beruft sich auf eine Gefährdung des Steueraufkommens im Streitfall, die im Sachverhalt auch eingetreten ist. Allerdings steht nach Art. 167 MwStSystRL den Leistungsempfängern des Klägers der Vorsteuerabzug erst dann zu, wenn diese wiederum die Umsatzsteuer an den Kläger gezahlt haben.
Die vom Finanzamt als Widerrufsgrund angeführte und vom FG ebenfalls bejahte Gefährdung des Steueraufkommens beruht auf der unionsrechtlich unzutreffenden Prämisse, dass bei Leistungsbezug vom Kläger den Leistungsempfängerinnen der sofortige Vorsteuerabzug zusteht. Dies trifft jedoch nicht zu (Art. 167 MwStSystRL).
Der BFH lässt offen, ob der Begriff „geschuldet“ im Sinne von § 15 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG im Lichte der EuGH-Rechtsprechung (EuGH vom 10. Februar 2022 – C 9/20, Grundstücksgemeinschaft Kollaustraße 136) sowie der Art. 167, Art. 179 Satz 1 MwStSystRL eine zeitliche Komponente enthält. Dann könnte der Begriff so zu verstehen sein, dass die Umsatzsteuer vom Leistenden schon geschuldet werden muss, um vom Leistungsempfänger als Vorsteuer abgezogen werden zu können.
Im Umkehrschluss würde dies bedeuten, dass die Vorsteuer vom Leistungsempfänger noch nicht abgezogen werden darf, solange sie vom Leistenden noch nicht geschuldet wird. Nach dem BFH kommt es nicht darauf an, ob, nach welcher Vorschrift und wann die vom Kläger in Rechnung gestellte Umsatzsteuer entstanden ist.
Quelle: Urteil des BFH vom 12. Juli 2023 (
XI R 5/21), veröffentlicht am 7. Dezember 2023.

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Herausgegeben vom Erich Schmidt Verlag GmbH & Co. KG
Bearbeitet von Matthias Gehm, Dr. Ulrich Grünwald, Stefan Heinrichshofen, Benno Scharpenberg, Prof. Rolf Radeisen u.a.
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(ESV/cmx)
Programmbereich: Steuerrecht