
Wirksame Bekanntgabe eines Steuerbescheids trotz Widerrufs der Vollmacht
Bekanntgabe von Steuerbescheiden an Bevollmächtigten
Die Beteiligten streiten um die wirksame Bekanntgabe von Einkommensteuerbescheiden. Der Kläger wurde mit bestandskräftigen Einkommensteuerbescheiden vom 27.02.2020 für die Jahre 2014 und 2015 veranlagt. Anlässlich zweier Mitteilungen über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für 2014 und 2015 vom 16.12.2020 erließ das Finanzamt (FA) am 21.12.2021 (Dienstag) geänderte Einkommensteuerbescheide für 2014 und 2015. Diese führten zu einer Nachzahlung von Einkommensteuer.
Der Kläger hatte für seine Einkommensteuerveranlagung eine Steuerberaterkanzlei bevollmächtigt. Die Vollmachtserteilung war von der Kanzlei am 25.03.2021 in die elektronische Vollmachtsdatenbank bei der örtlichen Steuerberaterkammer eingestellt und anschließend vollautomatisiert in das Steuerkonto des Klägers übernommen worden. Die Bevollmächtigung umfasste auch die Entgegennahme von Steuerbescheiden. Die Bekanntgabe der beiden Änderungsbescheide erfolgte an die Kanzlei, die am 22.12.2021 (Mittwoch) dort eingingen.
Allerdings hatte der Kläger der Kanzlei zwischenzeitlich das Mandat entzogen. Die Kanzlei löschte die Vollmacht in der Vollmachtsdatenbank am 22.12.2021 und leitete den Widerruf an das Finanzamt (FA) weiter. Die Information über den Widerruf der Bevollmächtigung ging beim FA am 23.12.2021 (Donnerstag) ein. Am 27.12.2021 wurde die Bevollmächtigung im Steuerkonto des Klägers gelöscht. Die Änderungsbescheide wurden von der Kanzlei an den Kläger per einfachem Brief weitergeleitet.
Der Kläger erhob am 19.07.2022 beim Finanzgericht (FG) erfolgreich eine "Restitutionsklage" und brachte vor, die Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 vom 21.12.2021 nie erhalten zu haben. Das FG befand, dass die Änderungsbescheide vom 21.12.2021 für die Jahre 2014 und 2015 nicht wirksam bekanntgegeben worden seien.
Wirksame Bekanntgabe trotz Widerruf der Vollmacht
Die Revision des FA ist begründet. Denn das FG hat in der Sache rechtsfehlerhaft eine wirksame Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 jeweils mit Bescheiddatum 21.12.2021 verneint.
Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO ist ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird; er kann aber gemäß Satz 3 der Vorschrift auch gegenüber einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden. § 122 Abs. 1 Satz 3 AO räumt der Finanzbehörde hier ein Ermessen ein.
Wird ein Steuerbescheid durch die Post übermittelt (§ 122 Abs. 2 AO), gilt er gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben, außer wenn er nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist. Der Bekanntgabevermutung gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO steht nicht entgegen, dass das FA nach der Aufgabe des Verwaltungsakts zur Post von einem Widerruf der Vollmacht durch den Steuerpflichtigen Kenntnis erlangt hat.
§ 80 Abs. 1 Satz 3 AO bestimmt, dass der Widerruf der Vollmacht der Finanzbehörde gegenüber (erst) wirksam wird, wenn er ihr zugeht. Bis zu diesem Zeitpunkt kann das FA noch wirksam Verfahrenshandlungen im Sinne von § 80 Abs. 1 Satz 2 AO gegenüber dem Bevollmächtigten vornehmen. Daher ist die wirksame Bekanntgabe eines an einen Bevollmächtigten adressierten Verwaltungsakts, der durch die Post übermittelt wird, nicht davon abhängig, dass die Vollmacht auch bei Ablauf der Frist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO noch besteht.
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO, der die Bekanntgabe am dritten Tage nach der Aufgabe zur Post ohne weitere tatbestandliche Voraussetzungen vermutet, es sei denn, der Verwaltungsakt ist nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen. Dies ist auch Sinn und Zweck des § 80 Abs. 1 Satz 3 AO. Diese Regelung soll der Rechtssicherheit des FA dienen, damit dieses nicht im Nachhinein von dem Umstand einer nicht mehr existierenden Vollmacht überrascht wird. Die Behörde soll sich insoweit auf eine erteilte Vollmacht verlassen können, bis ihr der Widerruf der Vollmacht zugeht. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung, hier also der Zeitpunkt der Aufgabe der Steuerbescheide zur Post. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine Vollmacht vor und geht der Verwaltungsakt dem Bevollmächtigten auch zu, liegt eine wirksame Bekanntgabe vor.
Daher hat das FG zu Unrecht die wirksame Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 verneint. Die Einkommensteuerbescheide gelten der Kanzlei als Bekanntgabeadressatin am 24.12.2021 wirksam als bekanntgegeben (§ 122 Abs. 1 Satz 3 AO). Die Bescheide sind damit gegenüber dem Kläger als Inhaltsadressaten wirksam geworden (§ 124 Abs. 1 AO).
Fehlerhaft ist das FG davon ausgegangen, es spiele keine Rolle, dass die Kanzlei im Zeitpunkt der Absendung der geänderten Steuerbescheide noch Bevollmächtigte des Klägers gewesen sei. Die Einkommensteuerbescheide sind nach den Feststellungen des FG am 21.12.2021 zur Post gegeben worden. Der Kläger hatte der Kanzlei im Zeitpunkt der Absendung am 21.12.2021 noch die Empfangsvollmacht für Steuerbescheide erteilt.
Das FA hat damit das ihm gemäß § 122 Abs. 1 Satz 3 AO eingeräumte Ermessen, die geänderten Einkommensteuerbescheide 2014 und 2015 vom 21.12.2021 der Kanzlei als der Bevollmächtigten des Klägers anstatt dem Kläger selbst bekannt zu geben, fehlerfrei ausgeübt. Ein Ermessensfehler ist nach den Feststellungen des FG nicht erkennbar. Die beiden Einkommensteuerbescheide gelten daher der Kanzlei als am 24.12.2021 bekanntgegeben (§ 108 Abs. 1 und § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Da der Heiligabend ein Werktag ist, kommt die Regelung des § 108 Abs. 3 AO nicht zur Anwendung.
Fundstelle: Urteil des BFH vom 11. Juni 2024 - IX R 30/23, veröffentlicht am 17. Oktober 2024
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Programmbereich: Steuerrecht