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Dürfen beim Sampling bereits kleinste Tonfetzen übernommen werden? (Foto: Mike/Fotolia.com)
Urheberrecht

Unendliche Geschichte: Samplingstreit zwischen Moses Pelham und Band Kraftwerk landet vor EuGH

ESV-Redaktion Recht
12.06.2017
Musikalisches Sampling – Grundrecht oder Eingriff in Rechte des Tonträgerherstellers? Hierüber streiten Musikproduzent Moses Pelham und die Band Kraftwerk seit etwa 20 Jahren. Nachdem die deutschen Gerichte diese Frage bisher nicht klären konnten, hat der BGH nun den Europäischen Gerichtshof angerufen.
In der Sache geht es um Klangsequenzen, die etwa zwei Sekunden lang andauern. Beim Sampeln setzen Musiker Töne aus verschiedenen Tonquellen in ein neues Musikstück ein. Möglich macht dies die digitale Technik. Vor allem im Hip Hop entwickelte sich das Sampling zu einem musikalischen Gestaltungsmittel.   

Die Parteien streiten um die Übernahme einer Tonfolge aus dem Song der Band Kraftwerk „Metall auf Metall” von 1977. Die Pioniere des E-Pops hatten die Komponisten und Musikproduzenten des Hip-Hop-Titels „Nur mir” verklagt. Produzent Moses Pelham entnahm eine Tonfolge aus dem Kraftwerk-Song von etwa zwei Sekunden Länge. Diese legte er unter seinem Titel „Nur mir” ab. Die Tonsequenz, die ständig wiederholt wird, verlangsamte Pelham durch sogenanntes Looping um fünf Prozent.

Die Gruppe Kraftwerk meint, dass dies ihre Rechte als Tonträgerhersteller nach § 85 Absatz 1 UrhG verletzt. Nach ihrer Auffassung haben ausschließlich die Tonträgerhersteller das Recht, den betreffenden Tonträger zu verwerten. Dieses Schutzrecht würde die Herstellerleistung schützen, die sich technisch und wirtschaftlich im Tonträger verkörpert hat.

BGH: Eingriff in Recht der Tonträgerhersteller auch bei Übernahme „kleinster Tonfetzen”

Das Landgericht (LG) Hamburg sowie das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg gaben der Gruppe Kraftwerk Recht. Auch der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) meinte in seinem Urteil „Metall auf Metall I”, dass Pelham in das Recht des Tonträgerherstellers eingegriffen habe. Ein solcher Eingriff liege auch schon dann vor, wenn dem Tonträger nur „kleinste Tonfetzen” entnommen werden. Allerdings, so der Senat weiter, hätte das OLG prüfen müssen, ob § 24 UrhG einen solchen Eingriff erlaubt. Das Berufungsgericht musste also noch einmal entscheiden. Die Frage des BGH verneinte das OLG, weil Pelham die übernommene Sequenz auch selbstständig und gleichwertig hätte einspielen können.

BGH: § 24 UrhG rechtfertigt keine Fortentwicklung des Kulturschaffens

Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten wies der BGH in seiner Entscheidung „Metall auf Metall II” zurück. Danach rechtfertigt § 24 Absatz 1 UrhG  keine Fortentwicklung des Kulturschaffens. Auch die Kunstfreiheit gebe nicht das Recht, die Aufnahme ohne Einwilligung des Tonträgerherstellers zu nutzen.

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BVerfG: Entscheidungen des BGH greifen in Kunstfreiheit ein

Diese Auffassung teilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nicht. Im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen die BGH-Entscheidung stärkte das BVerfG die Rechte der Sampler. Danach greifen die Entscheidungen des BGH und der Instanzgerichte in das Grundrecht der Produzenten auf künstlerische Betätigung nach Art. 5 Absatz 3 GG ein.

Demgegenüber sei der Eingriff in das Eigentum der Tonträgerhersteller nur geringfügig. Die obersten deutschen Verfassungshüter haben die Sache allerdings an den BGH zurückverwiesen und meinten, dass auch eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) notwendig sein könnte. 

Mehr zum Thema: Grundrecht auf Sampling für Hip-Hopper.

BGH ruft EuGH an

Mit seinem Beschluss vom 01.06.2017 – Metall auf Metall III – hat der BGH das Verfahren nun ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen vorgelegt, die sich mit dem Eingriff in das Recht der Tonträgerhersteller befassen:
  • Eingriff bereits bei kleinsten Tonfetzen? Liegt ein Eingriff in das Recht der Tonträgerhersteller zur Vervielfältigung nach Art. 2 c der Richtlinie 2011/29/EG und Verbreitung nach Art. 9 I b  der Richtlinie 2011/29/EG vor, wenn dem Tonträger nur kleinste Tonfetzen entnommen und auf einen anderen Tonträger übertragen werden?
  • Reichweite der Schranke von § 24 Absatz 1 UrhG: Kann § 24 Absatz 1 UrhG das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht des Tonträgerherstellers so beschränken, dass ein selbstständiges Werk unter freier Benutzung des Tonträgers ohne Zustimmung des Herstellers verwertet werden darf? 
  • Eingriff durch Zitatrecht gerechtfertigt? Ist ein Eingriff in das Recht des Tonträgerherstellers möglicherweise vom Zitatrecht nach Art. 5 Absatz 3 d der Richtlinie 2011/29/EG) gerechtfertigt, auch wenn nicht erkennbar ist, dass ein fremdes Werk genutzt wird? Allerdings, so der BGH weiter, gebe es keine Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Tonfolge, die unter dem Song „Nur mir” liegt, einem fremden Tonträger oder Werk entnommen worden wäre.
  • Bundesverfassungsgericht zuständig? Darüber hinaus stellt der BGH die Frage, ob das BVerfG überhaupt zuständig ist. So seien deutsche Regelungen, die EU-Recht umsetzen, grundsätzlich nicht am Grundgesetz, sondern allein am Unionsrecht zu messen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die betreffende EU-Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum lasse. Dies würde die Frage aufwerfen, ob die EU-Vorgaben zum Recht des Tonträgerherstellers dem nationalen Gesetzgeber Umsetzungsspielräume lassen.
  • Tonträgerhersteller durch EU-Grundrechtecharta geschützt? Abschließend fragt der BGH, inwieweit beim Schutzumfang des Vervielfältigungs- und Verbreitungsrechts des Tonträgerherstellers die Grundrechte der EU-Grundrechtecharta zu berücksichtigen sind. 
Quelle: Pressemeldung des BGH zum Beschluss vom  01.06. 2017 – Az: I ZR 115/16 - „Metall auf Metall III”

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(ESV/bp)

Programmbereich: Wirtschaftsrecht