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ArbG Kiel: Wer in Corona-Risikogebiete fliegt, verschuldet eine Erkrankung nur dann, wenn die Inzidenz am Zielort deutlich höher ist als am Wohnort (Foto: Janina_PLD / stock.adobe.com)
Entgeltfortzahlung und Corona

ArbG Kiel zur Entgeltfortzahlung bei Corona-Infektion nach Urlaub in Hochrisikogebiet

ESV-Redaktion Recht
21.07.2022
Wann hat derjenige, der seinen Urlaub in einem Corona-Hochrisikogebiet verbringt und anschließend an Corona erkrankt, seine Erkrankung selbst verschuldet? Hierzu hat sich das ArbG Kiel aktuell geäußert.
 
In dem Streitfall reiste eine Arbeitnehmerin – die dreimal gegen Corona geimpft war – während ihres Urlaubs im Januar/Februar 2022 in die Dominikanische Republik. Im Januar 2022 hatte das Robert-Koch-Institut (RKI) die Urlaubsregion zum Hochrisikogebiet erklärt. Am Tag ihrer Abreise lag die Inzidenz dort bei 377,7. Demgegenüber lag dieser Wert in Deutschland bei 878,9. Etwa eine Woche nach ihrer Rückkehr fiel die Inzidenz im Urlaubsgebiet auf 72,5. In Deutschland hingegen war der Inzidenzwert auf 1.465,4 angestiegen. Unmittelbar nach ihrer Rückkehr wurde die Arbeitnehmerin positiv auf Corona getestet und legte ihrer Arbeitgeberin eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. 


Beklagte: Klägerin hat Erkrankung an Corona selbst verschuldet

Die Arbeitgeberin verweigerte jedoch die Anerkennung und zahlte während des angegebenen Zeitraums kein Entgelt. Nach dem Vortrag der Arbeitgeberin war die Arbeitnehmerin mangels Symptomen nicht arbeitsunfähig. Sie hatte gegenüber der Arbeitgeberin unter anderem auch erklärt, dass es ihr gut gehe. Zudem habe sie ihre Erkrankung aufgrund ihrer Reise in ein Hochrisikogebiet selber schuldhaft herbeigeführt. Daraufhin klagte die Arbeitnehmerin ihren Anspruch auf Entgeltfortzahlung vor dem ArbG Kiel ein. 

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ArbG Kiel: Kein grober Verstoß der Klägerin gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen

Ihre Klage hatte Erfolg: Das Kieler Arbeitsgericht ging davon aus, dass die Klägerin tatsächlich an Corona erkrankt war. Demnach ist ein Arbeitnehmer auch dann arbeitsunfähig, wenn er trotz eines positiven Tests keine Symptome zeigt. Die weiteren Erwägungen des Gerichts:
 
  • Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht erschüttert: Die bloße Mitteilung der Klägerin an die Arbeitgeberin, dass es ihr „ganz gut gehe“, erschüttert den hohen Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht.
  • Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht entfallen: Ebenso wenig lässt die Quarantäne, die gegenüber der Klägerin angeordnet war, den Entgeltfortzahlungsanspruch entfallen.
  • Kein Verschulden der Klägerin: Vor allem aber hat die Klägerin nach Auffassung des Gerichts ihre Arbeitsunfähigkeit nicht selber im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EntgFG (siehe unten) verschuldet. Nach dieser Norm ist ein  grober Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen erforderlich. Insoweit wendete das Gericht die grundsätzliche Wertung von § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG (siehe ebenfalls unten) nicht an. Die Begründung: Zwar entfallen nach dieser Norm Entschädigungsansprüche, wenn eine Person die Erkrankung durch Nichtantritt der Reise in ein bestehendes Risikogebiet, hätte vermeiden können. Dies kann dem Gericht zufolge aber nur dann gelten, wenn die Inzidenzwerte im Urlaubsgebiet deutlich höher sind als im Wohn- und Arbeitsort der Arbeitnehmerin oder als in der Bundesrepublik Deutschland. Ist dies nicht der Fall, begründet eine Reise in das Risikogebiet nur eine Gefahr, die sich im Rahmen des allgemeinen Lebensrisikos bewegt.
Das ArbG hat allerdings die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zugelassen.
 
Quelle: Zahlreiche Medienberichte unter Berufung auf eine PM des LAG Kiel vom 18.07.2022 (Nr. 4/22) zum Urteil des ArbG Kiel vom 27.06.2022 – 5 Ca 229 f/22


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Im Wortlaut: § 3 Absatz 1 Satz 1 EntgFG – Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (Auszug)

(1) Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, ohne daß ihn ein Verschulden trifft, so hat er Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. […]

§ 56 Absatz 1 Satz 4 IfSG – Entschädigung (Auszug)

Eine Entschädigung … erhält nicht, wer … durch Nichtantritt einer vermeidbaren Reise in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes Risikogebiet ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können. [ ... ]


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(ESV/bp)

Programmbereich: Arbeitsrecht