BAG: Beim Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall muss die Arbeitsunfähigkeit die einzige Ursache für den Arbeitsausfall sein (Foto: privat)
Arbeitsunfähigkeit und Monokausalität bei Entgeltfortzahlung
BAG zum Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bei Beschäftigungsverbot
ESV-Redaktion Recht
27.09.2024
Hat eine Krankenschwester gegen Ihre Arbeitgeberin einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn das Gesundheitsamt gegen sie ein Beschäftigungsverbot verhängt hat, weil sie keinen Nachweis für eine Impfung gegen Corona oder einen Genesungsnachwies vorgelegt hat? Diese Frage hat das BAG in einem kürzlich veröffentlichten Urteil entschieden.
In dem Streitfall arbeitete die Klägerin, die nicht gegen Corona geimpft war, seit Mai 2011 als Krankenschwester im Krankenhaus der Beklagten. Grundlage des Arbeitsverhältnisses waren die „Vorschriften der Kirchlichen Arbeitsvertragsordnung für Angestellte (BAT-KF)“.
Am 30.05.2022 erhielt sie eine Aufforderung des Gesundheitsamts der Stadt Essen, bis zum 07.06.2022 einen Nachweis über die medizinische Kontraindikation i. S. d. § 20a Abs. 2 Satz 1 IfSG aF vorzulegen. Dieser Aufforderung folgte die Klägerin nicht.
Mit Schreiben vom 20.06.2022 kündigte das Gesundheitsamt an, dass es im nächsten Schritt von der Möglichkeit Gebrauch machen werde, gegen die Klägerin ein Tätigkeitsverbot und/oder Betretungsverbot für die Einrichtung der Beklagten auszusprechen. Dem entgegnete die Klägerin, dass Impfungen gegen Corona weder sie selbst noch fremde Personen schützen würden.
Mit einer bestandskräftigen Ordnungsverfügung vom 06.09.2022 untersagte das Gesundheitsamt der Klägerin dann ab sofort, ihre Tätigkeit in der Einrichtung der Beklagten auszuüben. Zudem verbot die Behörde der Klägerin das Betreten der Einrichtung. Die Verbote galten bis zur Vorlage des geforderten Nachweises. Dabei berief sich das Gesundheitsamt auf § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG aF. Die Verfügung wurde der Klägerin am 08.09.2022 per Postzustellungsurkunde zugestellt.
Am Zustellungstag erschien die Klägerin nicht zur ihrer Arbeit, denn sie war arbeitsunfähig geschrieben. Einen Tag später schrieb sie ihr Hausarzt zunächst für den Zeitraum vom 08.09.2022 bis 23.09.2022 arbeitsunfähig. Anschließend legte sie der Beklagten noch drei weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeit vom 24.09.2022 bis einschließlich 02.11.2022 vor. Ihr Hausarzt hatte eine gesicherte Anpassungsstörung diagnostiziert. Ab dem 28.11.2022 arbeitete die Klägerin wieder.
Die Beklagte zahlte zunächst für die Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit – also vom 08.09.2022 bis zum 02.11.2022 - keine Vergütung. Im Januar 2023 forderte die Klägerin die Beklagte erfolglos zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall auf. Mit den Abrechnungen für Juli 2023 zahlte die Beklagte dann eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den 08. und 09. September 2022 – allerdings ohne Anerkennung einer Rechtspflicht.
Demgegenüber verlangte die Klägerin Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für den Zeitraum vom 10.09.2022 bis zum 19.10.2022. Sie meinte, dass das Prinzip der Monokausalität in ihrem Fall nicht anwendbar wäre, denn ihre Erkrankung hätte aufgrund des Zeitablaufs chronologisch Vorrang. Aufgrund ihrer Erkrankung ab dem 08.09.2022 hätte sie keine Möglichkeit einer Impfung gehabt. Da ihre Klage in den Instanzenzügen scheiterte, zog sie mit einer Revision vor das BAG.
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BAG: Arbeitsunfähigkeit keine alleinige Ursache für Arbeitsausfall
Auch die Revision blieb erfolglos. Nach Auffassung des 5. Senats des BAG hat die Klägerin für den von ihr geltend gemachten Zeitraum vom 10.09.2022 bis zum 19.10.2022 keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die tragenden Erwägungen des Senats:
- Keine Monokausalität: Dem Senat zufolge setzt ein Entgeltfortzahlungsanspruch grundsätzlich voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist (Monokausalität). Der Anspruch darf also nicht schon durch andere Ursachen entfallen.
- Ordnungsverfügung war Mit-Ursache für Arbeitsausfall: Dies gilt auch dann, wenn eine Gesundheitsbehörde dem Arbeitnehmer untersagt, seine Tätigkeit im Unternehmen auszuüben und der Arbeitnehmer in diesem Zeitraum arbeitsunfähig ist. Im Streitfall konnte die Klägerin auch aufgrund der Ordnungsverfügung des Gesundheitsamts die von ihr geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen.
- Keine Vergleichbarkeit mit Quarantänefällen: Anders als in den Quarantänefällen, in denen sich Arbeitnehmer aufgrund einer ansteckenden Krankheit in häusliche Isolierung begeben müssen, ist der Kausalzusammenhang vorliegend nicht gewahrt – denn das behördliche Arbeitsverbot war keine unmittelbare Folge einer Erkrankung. Vielmehr beruhte die Nichterbringung ihrer Leistung darauf, dass die Klägerin keinen Nachweis nach § 20a Abs. 5 Satz 1 IfSG aF vorgelegt hatte. Damit lag ein weiterer paralleler Umstand vor, der für sich genommen ein alleiniger Grund für die Arbeitsverhinderung gewesen wäre.
- Zeitpunkt der Ordnungsverfügung unerheblich: Es war nach Senatsauffassung auch nicht entscheidend, ob die Klägerin schon vor oder nach der Ordnungsverfügung am 08.09.2022 arbeitsunfähig war. Mit Zugang der Verfügung wäre ein vorheriger Entgeltfortzahlungsanspruch erloschen, denn die Klägerin konnte ihre vertraglich geschuldete Leistung auch aufgrund der Ordnungsverfügung nicht mehr erbringen.
Quelle:
Urteil des BAG vom 19.6.2024 – 5 AZR 241/23
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Herausgeber: Prof. Dr. Ulrich Becker, Prof. Dr. Dr. h. c. Eberhard Eichenhofer
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