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BVerfG: Ein kirchlicher Abreitgeber darf unter bestimmten Voraussetzungen verlangen, dass seine Mitarbeiter einer christlichen Konfession angehören (Foto: Андрей Журавлев / stock.adobe.com)
Kirchliche Selbsbestimmung

BVerfG: Bewerber ohne christliche Konfession können abgelehnt werden – unter bestimmten Voraussetzungen

ESV-Redaktion Recht
24.10.2025
Darf ein kirchlicher Arbeitgeber eine Bewerberin ablehnen, weil sie keiner Konfession angehört? Oder fällt die Ablehnung unter das kirchliche Selbstbestimmungsrecht? Nachdem zu dieser Frage ein langwieriger Rechtsstreit entbrannt ist, der sowohl das BAG als auch den EuGH beschäftigt hat, musste sich nun das BVerfG damit befassen. Beendet ist die Sache damit aber noch nicht.
In dem Streitfall hatte eine Diakonie eine Stelle für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit eines kirchlichen Wohlfahrtsverbandes ausgeschrieben. Bei dem Bewerbungsverfahren wurde eine Bewerberin ohne Religionszugehörigkeit nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Die Bewerberin sah darin eine Diskriminierung und klagte vor dem Arbeitsgericht auf Entschädigung. Während die Ausgangsinstanz der Klägerin eine Entschädigung zusprach, wies die Berufungsinstanz die Klage ab.

Der Fall landete zum ersten Mal beim BAG. Das höchste deutsche Arbeitsgericht spielte den Ball aber weiter an den EuGH, mit der Frage, ob ein kirchlicher Arbeitgeber in Deutschland für eine ausgeschriebene Stelle verlangen kann, dass Bewerber auch einer bestimmten Konfession angehören müssen – auch wenn dies für die Tätigkeit keine unmittelbare Rolle spielt.
 

EuGH: Religiöse Anforderungen an Bewerber müssen objektiv notwendig und verhältnismäßig sein


Nach Auffassung des EuGH dürfen kirchliche Arbeitgeber nur dann religiöse Anforderungen an Bewerber stellen, wenn dies objektiv notwendig und verhältnismäßig ist. Dabei muss der Arbeitgeber rechtfertigen, dass eine Religionszugehörigkeit für die Ausübung der Stelle wesentlich ist. Hierbei reicht die bloße Berufung auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht aus und die nationalen Gerichte müssen überprüfen können, ob die Rechtfertigung stichhaltig ist.
 

BAG: Nichtberücksichtigung war Diskriminierung


Daraufhin sah das BAG in der Nichtberücksichtigung eine Benachteiligung aufgrund der fehlenden Religionszugehörigkeit und verurteilte die Diakonie zur Zahlung einer Entschädigung. Nach Auffassung des BAG hatte die Diakonie nicht plausibel vorgetragen, warum für die ausgeschriebene Stelle die Mitgliedschaft in einer Konfession erforderlich sein soll. Dabei meinte es, dass dass die ausgeschriebene Stelle keinen religiösen Bezug hat.

Zudem sah das Gericht im Streitfall keine wahrscheinliche und erhebliche Gefahr, die das Ethos des Beklagten beeinträchtigen würde. Dies schloss das BAG vor allem daraus, dass die Klägerin in einen „internen Meinungsbildungsprozess“ beim Beklagten eingebunden wäre. Daher konnte sie in Fragen, die das kirchliche Ethos betrafen, nicht unabhängig handeln. Die Höhe der Entschädigung setzte das BAG auf 3.915,46 EUR fest.

Gegen diese Entscheidung des BAG zog die Diakonie mit einer Verfassungsbeschwerde vor das BVerfG. Die Begründung, sein kirchliches Selbstbestimmungsrecht werde rechtswidrig eingeschränkt. 

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BVerfG: BAG hat methodisch falsch geprüft


Die Beschwerde hatte zum Teil Erfolg: Der Zweite Senat des BVerfG hat das BAG-Urteil aufgehoben und die Sache dorthin zurückverweisen. Nach Ansicht des Senats verletzt das angegriffene Urteil das Grundrecht der Kirche auf religiöse Selbstbestimmung im Sinne von Art. 4 GG in Verbindung mit Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV. Hierbei ließ sich der Senat von folgenden Erwägungen leiten:


Unionsrecht auch in Deutschland zu beachten


Zunächst
 betonte der Senat, dass das Unionsrecht bei der Auslegung des deutschen Rechts zu beachten ist. Dem Senat zufolge besteht auch kein Widerspruch zwischen EU-Recht und deutschem Recht.


Der Kern der Vorwürfe 


Allerdings ist auch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ernst zu nehmen, so der Senat. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass die Kirchen – in bestimmten Grenzen – selbst entscheiden können, welche Rolle die Religion bei Einstellungen spielt. Nach Auffassung des Senats hatte das BAG aber sein eigenes Verständnis von einer glaubwürdigen Vertretung des kirchlichen Ethos nach außen über das entsprechende Selbstverständnis der Diakonie gestellt.

Damit, so der Senat, hatte sich das BAG nicht nur einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem kirchlichen Selbstverständnis entzogen. Vielmehr hat es die Belange der Diakonie unvertretbar zurückgedrängt.

Mit anderen Worten: Die Gerichte dürfen der Kirche nicht sagen, was sie „glauben“ darf. Sie dürfen aber festellen, ob der Glaube ein Grund ist, Bewerber von einer Stelle auszuschließen. Das BAG hatte dem Senat zufolge nicht klar getrennt zwischen nicht überprüfbaren Glaubensinhalten und den objektiv prüfbaren Bezügen zur ausgeschrieben Stelle. Dies war nach Meinung des Senats ein methodischer Fehler.


Die Bedeutung der Entscheidung


Die Kirchen dürfen Bewerber zwar wegen Konfessionslosigkeit ablehnen – aber nicht automatisch. Sie müssen immer plausibel darlegen, warum die Zugehörigkeit zu einer christlichen Glaubensgemeinschaft für den konkreten Job erforderlich ist. Hierfür sind sie beweispflichtig. Diese Frage hatte das BAG nach Auffassung des BVerfG methodisch falsch geprüft. 


Was das BAG nun tun muss


Das BAG muss nun zunächst neu bewerten, ob der bisher festgestellte Sachverhalt zur Beantwortung der obigen Fragen ausreicht. Hierbei muss es folgendes tun:  

  • Zum Selbstverständnis der Diakonie: Das BAG muss das Selbstverständnis der Diakonie ernsthaft ermitteln und berücksichtigen. Es darf insbesondere nicht das Verständnis der Diakonie vom kirchlichen Ethos mit seinem eigenen Verständnis ersetzen und hat die kirchlichen Belange verfassungskonform mit einbeziehen.
  • Interessenabwägung: Es muss eine nachvollziehbare, rechtlich tragfähige Interessenabwägung vornehmen. In dieser dürfen die Anforderungen des kirchlichen Arbeitgebers nicht pauschal relativiert, sondern konkret geprüft und gewürdigt werden.
Sofern der bisherige Sachverhalt hierfür nicht ausreicht, muss es die Sache zur weiteren Aufklärung an die Berufungsinstanz zurückverweisen. 

Quelle: PM des BVerfG vom 23.10.2025 Nr. 96/2025 zum Beschluss vom 29.09.2025 – 2 BvR 934/19


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Herausgeber: Prof. Dr. Ulrich Becker, Prof. Dr. Dr. h. c. Eberhard Eichenhofer

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(ESV/bp)

Programmbereich: Arbeitsrecht