
BVerfG: Gesetzgeber muss zum Schutz von Behinderten die Triage gesetzlich regeln
BVerfG: Warum der Gesetzgeber die Triage vorerst nicht gesetzlich regeln musste | |
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Ein Blick auf Italien hat deutlich gemacht: Die Corona-Pandemie hat auch in Deutschland eine Diskussion darüber ausgelöst, wer bei medizinischer Überlastung im Zweifel gerettet wird und wer nicht. Braucht Deutschland also ein Triage-Gesetz? Das BVerfG hat sich nun im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde von neun Personen mit dieser Frage befasst. mehr … |
BVerfG im Hauptsacheverfahren: Verfassungsbeschwerde begründet
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Der Gesetzgeber hat seine Handlungspflichten zum Schutz des Lebens verletzt, die aus Art. 3 Absatz 3 Satz 2 GG, der UN-Behindertenrechtskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) resultieren.
- Seiner Handlungspflicht muss der Gesetzgeber durch Schaffung von geeigneten Vorkehrungen unverzüglich nachkommen.
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Bei der konkreten Ausgestaltung hat der Gesetzgeber einen Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum.
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Was der Gesetzgeber tun kann
Dem Senat zufolge hat der Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten, dem obigen Schutzgebot zu genügen. Hierbei ist sein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum durch die Eigenart des betreffenden Sachbereichs und die einschlägigen Grundrechte aller Betroffenen vorgegeben und begrenzt. Innerhalb dieses Rahmens muss der Gesetzgeber nun selbst entscheiden, welche Vorgaben er zu den Kriterien von Verteilungsentscheidungen macht. Dabei darf er auch Kriterien, die den inhaltlichen Anforderungen der Verfassung entsprechen, selbst vorgeben. Hier einige wesentliche Punkte, die der Gesetzgeber bei einem etwaigen Triage-Gesetz beachten muss:
- Knappe Ressourcen zur Lebensrettung können Triage rechtfertigen: Den Umstand, dass aufgrund der Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht Leben gegen Leben abgewogen werden darf, sieht der Senat nicht von vornherein als Hindernis an, wenn es um die Verteilung knapper Ressourcen zur Lebensrettung geht. In diesen Situationen kann die Triage also gerechtfertigt sein.
- Nur aktuelle und kurzfristige Überlebenschancen als Gegenstand der Triage: Allerdings darf in der Triage nur die aktuelle und kurzfristige Überlebenschance ein Kriterium sein. Komplikationen aufgrund Behinderungen scheiden also aus.
- Zweckmäßigkeit von Maßnahmen: Der Gesetzgeber muss selber entscheiden, welche Maßnahmen zweckdienlich sind.
- Mehraugenprinzip und Dokumentation: Entspricht ein Mehraugen-Prinzip bei Auswahlentscheidungen nach Einschätzung des Gesetzgebers einem wirksamen Grundrechtsschutz, kann er entsprechende Vorgaben machen. Gleiches gilt für Vorgaben zur Dokumentation der Triage-Entscheidungen.
- Maßnahmen zur Vermeidung der Triage: Auch Unterstützungsmaßnahmen, die die Wahrscheinlichkeit von Triage-Entscheidungen zum Beispiel vor Ort verringern, sind denkbar. Gleiches gilt für spezifische Vorgaben zur Aus- und Weiterbildung in Medizin und Pflege – vor allem bei intensivmedizinischem Personal.
- Verfahrensfragen: Ebenso darf der Gesetzgeber Vorgaben zum Verfahren machen.
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Gerichtsentscheidungen rund um Corona | |
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Corona hat dazu geführt, dass der Gesetzgeber und die Behörden existenzielle Bürgerrechte eingeschränkt haben. Dies führte zu zahlreichen Gerichtsverfahren. Mittlerweile hat auch das BVerfG erste Sachentscheidungen zur „Bundesnotbremse“ getroffen. Ebenso können Sie eine Auswahl von Entscheidungen der Instanzgerichte, über die wir berichtet haben, unserer laufend aktualisierten Zusammenstellung entnehmen. mehr … |
(ESV/bp)
Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht