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Bleibt auch nach dem 17. August erhalten: Die Verfügung durch Testament. (Foto: fox17/Fotolia.com)
Nachgefragt bei: Professor Dr. Walter Zimmermann

„Das Erbrecht nach der Staatsangehörigkeit zu richten, gilt nicht mehr als modern”

ESV-Redaktion Recht
19.10.2015
Für Todesfälle gilt seit dem 17. August die EU-Erbrechtsverordnung. Die Regelung soll das Erben in Fällen mit Auslandsbezug vereinfachen. Was nun gilt, erklärt Erbrechtsexperte Professor Dr. Walter Zimmermann im Interview mit der ESV-Redaktion.

Im August ist die neue EU-Erbrechtsverordnung - kurz: EuErbVO - in Kraft getreten. Auf welche Bereiche des deutschen Erbrechts wirken sich die neuen Regelungen aus Brüssel aus?


Walter Zimmermann: Die EuErbVO wirkt sich vor allem auf das für Todesfälle ab dem 17.August 2015 anwendbare Erbrecht aus. Nicht mehr die Staatsangehörigkeit des Erblassers, sondern dessen gewöhnlicher Aufenthalt ist – jedenfalls im Grundsatz – wesentlich. Ferner hat die Verordnung Auswirkung auf die internationale Zuständigkeit in bestimmten Erbsachen. Neben dem Erbschein ist jetzt ein Europäisches Nachlasszeugnis möglich, das in Deutschland ebenfalls vom Nachlassgericht erteilt wird – ein Europäisches Nachlassgericht gibt es ja nicht.

Viele Rentner verbringen ihren Lebensabend im Ausland: Nach Angaben der Rentenversicherung waren es im August 226.000. Weshalb beabsichtigte der europäische Gesetzgeber die Erbnachfolge nach dem Recht des Landes zu richten, in dem der Erblasser vielleicht nur wenige seiner letzten Jahre verbracht hatte?

Walter Zimmermann: Die Beweggründe der EU-Politiker sind mir nicht bekannt. Hintergrund ist vermutlich der Europagedanke und die Abwendung von der Staatsangehörigkeit, die nicht mehr als „modern” gilt. In der amtlichen Begründung wird behauptetet, es hänge mit der zunehmenden Mobilität der Bürger zusammen.

Die Regelungen über das anzuwendende Erbrecht – § 21 EuErbVO bzw. § 343 FamFG – sprechen von dem „letzten gewöhnlichen Aufenthalt”. Nun sind gerade ältere Menschen, die nach gut 30-jähriger Berufstätigkeit endlich mehr Zeit haben, gern auf Reisen. Wie bestimmt sich bei diesen Grenzpendlern der „gewöhnliche Aufenthalt“?

Walter Zimmermann: Es gibt viele Fälle, wo der letzte Aufenthalt zweifelhaft ist. Bei Grenzpendlern kann Art. 21 II EuErbVO helfen. Dieser bestimmt, dass auch das Recht eines anderen Staates Anwendung finden kann, wenn der Erblasser – im Zeitpunkt des Todes – eine offensichtlich engere Verbindung zu diesem Staat hatte; dies muss sich aus der Gesamtheit der Umstände ergeben.

Und was können diejenigen tun, die ihren Lebensabend lieber in Spanien verleben wollen, die Rechtsnachfolge sich aber nach deutschem Erbrecht richten soll?

Walter Zimmermann: Der Deutsche, der nach Spanien umzieht, kann in seinem Testament das deutsche Recht wählen. Wenn er aber dann in Mallorca stirbt, ist trotzdem die Behörde in Spanien für den Erbfall zuständig und wendet deutsches Recht an. Die deutschen Erben brauchen also Dolmetscher und Rechtsanwälte und müssen zur Klärung vermutlich selbst nach Spanien fahren. Die „Erbparteien” könnten das verhindern, indem sie vereinbaren, dass zum Beispiel das Nachlassgericht München international zuständig sein soll (Art. 5, 7c EuErbVO).

Was gilt, wenn der Ruhesitz in Länder außerhalb der EU-Grenzen verlegt wird?

Walter Zimmermann: Wer zum Beispiel in die USA umzieht oder in andere Länder, die nicht Mitgliedstaaten der EuErbVO sind, also Großbritannien, Irland und Dänemark, sollte sich über die dortige Rechtslage im Todesfall informieren; und zwar bei Anwälten des jeweiligen Landes. Da kann man erstaunliche Erkenntnisse gewinnen, etwa, dass in vielen Ländern gemeinschaftliche Testamente von Ehegatten nicht anerkannt werden.

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Was regelt das Europäische Nachlasszeugnis? Für wen ist es sinnvoll?

Walter Zimmermann: Das Europäische Nachlasszeugnis – kurz: ENZ – soll dem Erben im grenzüberschreitenden Verkehr helfen. Wenn ein Deutscher in Deutschland stirbt, aber ein Haus in Frankreich hinterlässt, soll die Veräußerung des Hauses erleichtert werden. Wird kein Auslandsvermögen hinterlassen, braucht man auch kein ENZ.

Das Verfahren zur Erlangung des ENZ ist allerdings kompliziert. Der Antrag umfasst viele Seiten; das ENZ umfasst selbst in einfachen Fällen etwa zehn Seiten, während der deutsche Erbschein nur eine Seite lang ist. Vermutlich werden nur Behörden im Ausland das ENZ akzeptieren, nicht aber Banken und Privatpersonen.

Erbschein und ENZ haben beide ein Charakteristikum: Die Gutglaubenswirkung. Wie ist ihr Verhältnis zueinander – schließen sich die beiden Nachweise bei unterschiedlichen Inhalten aus?

Walter Zimmermann: Theoretisch können Erbschein und ENZ keine unterschiedlichen Inhalte haben; in der Praxis wird das vorkommen, Die Folgen sind umstritten. Wegen der unterschiedlichen Gutglaubenswirkungen sollte immer zuerst – oder zumindest zugleich – ein Erbschein beantragt werden, erst dann das ENZ. Der Erbschein allein kostet in der Regel 2,0 Gebühren, Erbschein und ENZ zusammen, als „Doppelpack” sozusagen, kosten 2,25 Gebühr. Aber nochmals: man braucht kein ENZ, wenn kein Auslandsfall vorliegt.

Gesetzgebungen auf europäischer Ebene, die für alle Mitgliedsstaaten Geltung beanspruchen, haben immer auch ihre Schwächen. Wo sehen Sie die Knackpunkte der EU-Erbrechtsverordnung?

Walter Zimmermann: Die EuErbVO hat viele Schwächen; sie liegen in den zahlreichen unscharfen Begriffen. Nehmen Sie nur die Bezeichnung „Aufenthalt”: Gibt es einen speziellen erbrechtlichen Aufenthaltsbegriff – oder ist er für das gesamte internationale Recht identisch? Oder, ist eine bestimmte Mindestdauer notwendig, damit aus einem einfachen Aufenthalt ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne der EuErbVO wird? Wie verhält es sich bei Grenzpendlern, ist hier auch ein doppelter gewöhnlicher Aufenthalt möglich?

...gibt es weitere Schwächen?

Walter Zimmermann: Unklar ist beispielsweise auch, ob die Willenselemente des Erblassers bei der Frage des anzuwendenden Erbrechts berücksichtigt werden müssen? Denken Sie beispielsweise an den Fall, die Kinder bringen ihren geistig verwirrten Vater ohne oder gegen seinen Willen in das billigere polnische Altenheim, wo er dann verstirbt. Oder, ein Deutscher ist in Italien in Haft und stirbt dort vor seiner Rückkehr nach Deutschland. Was gilt dann? Über die nächste Reform beabsichtigt der Gesetzgeber, erst in zehn Jahren, also 2025, nachzudenken – so steht es in Artikel 82 der Verordnung. (ESV/akb)

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  Zur Person

Professor Dr. Walter Zimmermann war seit 1993 Vizepräsident des Landgerichts Passau und ist Honorarprofessor an der Universität Regensburg. In Passau geboren, studierte der heutige Erbrechtsexperte Rechtswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München, wo er anschließend auch promovierte.

Zimmermann ist auch in der Juristenausbildung und der Anwaltsfortbildung tätig. Neben weiteren Publikationen ist Prof. Zimmermann Autor des Buches Erbschein, Erbscheinsverfahren, das im November 2015 völlig neu bearbeitet und erweitert - beispielsweise um das Europäische Nachlasszeugnis - in 3. Auflage erscheinen wird.

Literaturhinweise zum Thema

Die wichtigsten Fragen zur Testamentsvollstreckung beantwortet das Buch Die Testamentsvollstreckung – Handbuch für die gerichtliche, anwaltliche und notarielle Praxis von Prof. Dr. Walter Zimmermann.

Das Juris PartnerModul Erbrecht beinhaltet all das, was für die Erbrechtspraxis wichtig ist – von der Testamentsgestaltung bis zur steuerlich optimalen Vermögensübertragung.

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht